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Ausgabe:

Juli/August/2007

Spalte:

810 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Die mittelalterlichen Handschriften der Signaturengruppe B in der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf. Teil 1

Titel/Untertitel:

Ms. B 1 bis B 100. Beschrieben v. E. Overgaauw, J. Ott u. G. Karpp.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz 2005. 406 S. 4° = Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf – Kataloge der Handschriftenabteilung, 1. Lw. EUR 86,00. ISBN 3-447-05072-1.

Rezensent:

Tilo Brandis

Die Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf besitzt einen bedeutenden Bestand an mittelalterlichen, überwiegend aus säkularisiertem Klosterbesitz vom Niederrhein und aus Westfalen stammenden Handschriften, deren wesentliche Inhalte und Illuminationen zwar allgemein bekannt und in dem »Handschriftencensus Rheinland« (1993), auch neueren Ausstellungskatalogen, nach ihren Titeln nachgewiesen sind, für die aber bisher ein detaillierter Katalog mit Aufführung und möglichst präziser Identifizierung sämtlicher, auch beiläufigster Eintragungen fehlte. Dieser wird hier für einen Teilbestand von 100 Handschriften des 9. bis frühen 16. Jh.s aus der Signaturengruppe B, d. s. Theologica (ohne Bibeln, hagiographische und liturgische Handschriften) mit ausführlicher Beschreibung aller kodikologischen Besonderheiten, insbesondere wenn sie Erkenntnisse zur Datierung, Lokalisierung und Provenienz bieten, in vorbildlicher Weise vorgelegt. Damit ist jetzt auch Düsseldorf, und zwar als letzte, mit 386 Bänden ganz große mittelalterliche Handschriftensammlung Deutschlands, in der inzwischen über 200 Bände umfassenden (bibliographisch nicht einheitlichen, sondern nach Sammlungsorten aufgesplitterten) Folioreihe moderner Kataloge deutscher Handschriftenfonds vertreten, die um 1960 begonnen wurde und für viele Bestände bereits abgeschlossen ist.
Der hier katalogisierte Bestand umfasst im Wesentlichen häufig überlieferte patristische, hoch- und spätmittelalterliche Schriften von Autoren A bis N, besonders viele von Augustin, Beda, Bernhard von Clairvaux, Jean Gerson, Gregor dem Großen und Hieronymus. Es sind meist Bibelkommentare, Predigtzyklen sowie verschie­dens­te Summen und Kompilationen dogmatischer, mystischer und moraltheologischer Texte, die als typisches Bibliotheksgut für den praktischen, seelsorgerischen Bedarf und die vita contemplativa im Klosteralltag genutzt wurden. Die detaillierten Beschreibungen der drei Bearbeiter bieten besonders durch die konsequent durchgeführten akribischen Wasserzeichenbestimmungen sämtlicher Papiere des Bestands sowie durch kenntnisreiche Vergleiche und souveräne Beurteilung der paläographischen Befunde eine Fülle von neuen, ganz präzisen Datierungen und sicheren Zuweisungen der Hände, oft an bekannte Schreibernamen (B 1, 28, 37, 38, 42 u. ö.).
Dadurch wird – wie auch durch die vielen glücklichen Ermittlungen von Textabhängigkeiten, indem Vorlagen für einzelne Abschriften und Korrekturdurchgänge im Düsseldorfer Handschriften- und Druckebestand (B 1, 23 T.3, 58,4r, 59, 66, 91) und auch aus Kölner (B 9, 10) Handschriften nachgewiesen werden – höchst willkommenes Belegmaterial für neue Erkenntnisse über den gezielten Aufbau der rheinischen Klosterbibliotheken bereitgestellt, hier besonders der um 1440 gegründeten Kreuzherrenkonvente in Düsseldorf (39 Hss) und Marienfrede (21 Hss), aber auch der älteren zisterziensischen Klöster Altenberg (17 Hss), Kentrop (fünf Hss) und des Kanonissenstifts Essen (sechs Hss).
Hervorzuheben sind die äußerst gründlich ermittelten Editions- und bibliographischen Nachweise zu allen identifizierten Texten, wobei die Beschreibungen der bekannten Zimelien des Bestands, z. B. des illustrierten Bernhard-Codex’, 13. Jh. (B 31), des Gregor-Codex’ mit altsächsischen Texten, 10. Jh. (B 80), der Sammelhandschrift aus Corbie, 9. Jh. (B 3), zu veritablen übersichtlichen Lexikonartikeln bzw. Monographien geraten sind. Fehlen derartige Druck- oder Repertoriumshinweise, stößt man bei der Durchsicht des Katalogs auf oft sehr interessante neue Texte, und zwar nicht nur auf unveröffentlichte Versgedichte, u. a. Kleintexte, z. B. über Steinfarben (B 5, 250 v) oder die Lektüreempfehlungen De generibus librorum für einen Kreuzherrnbruder (B 73,101v), sondern auch auf größere Texte, so auf einen unbekannten, vielleicht echten Traktat Hugos von St. Viktor De dignitate humanae naturae (B 71,281v), auf dramatische Teufelsmirakel von Amsterdam um 1400 und einen Bericht über das Erdbeben in Katalonien von 1427 (B 83, 258r) sowie eine niederdeutsche Übersetzung von Bernhards Hoheliedpredigten (B 42,147r).
So wird mit dem sehr kompetent erarbeiteten Katalog ein überraschend reiches Spektrum bekannter, aber auch vielfach noch nicht edierter theologischer Literatur aus der niederrheinisch-westfälischen Klosterlandschaft des Hoch- und besonders Spätmittelalters eröffnet. Ein rascher Fortgang des Düsseldorfer Katalogunternehmens ist sehr zu wünschen.