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Ausgabe:

Juli/August/2007

Spalte:

791–793

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Van Seters, John

Titel/Untertitel:

The Edited Bible. The Curious History of the »Editor« in Biblical Criticism.

Verlag:

Winona Lake: Eisenbrauns 2006. XVI, 428 S. gr. 8°. Geb. US$ 39,50. ISBN 978-1-57506-112-2.

Rezensent:

Ludwig Schmidt

Van Seters bestreitet in dem Buch, dass für die Entstehung und Überlieferung alttestamentlicher Schriften »editors« bzw. »redactors« eine Rolle spielten. Das will er mit einer Forschungsgeschichte dieser Vorstellung im Vergleich mit der Geschichte der Homerforschung zeigen. Nach »1 Introduction« (1–26) stammt die Vorstellung aus der Zeit der Renaissance, als die Werke klassischer Autoren erstmals gedruckt veröffentlicht wurden. Damals habe man anachronistisch die Tätigkeit des Herausgebers auf die textkritische Beschäftigung alexandrinischer Gelehrter mit den Werken Homers seit dem 3. Jh. v. Chr. zurückprojiziert. Für ihre Entstehung habe dann vor allem durch F. A. Wolf (1759–1824) die Vorstellung von »editors« eine große Rolle gespielt und die damalige alttestamentliche Forschung beeinflusst. Während aber die Homerforschung im 20. Jh. diese Vorstellung aufgegeben habe, werde in der alttestamentlichen Wissenschaft die Redaktionskritik im Anschluss an den Neutestamentler Marxsen auf die Verfasser der alttestamentlichen Schriften ausgeweitet. Demgegenüber sei für Pentateuch und Geschichtsbücher, für die die Redaktionshypothese zunächst entstand, an dem alternativen Modell festzuhalten, dass der Jahwist im Pentateuch und der Deuteronomist als Verfasser des dtr Geschichtswerks (Dt n–2Kön) antike Historiker waren. In Kapitel 2–9 begründet und entfaltet V. S. seine Auffassung.
Nach »2 The Early History of Editing« (27–59) haben erstmals hellenistische Gelehrte in Alexandria in Abschriften klassischer Texte, besonders der Werke Homers, Schreibfehler korrigiert und von ihnen angenommene Interpolationen markiert. Ihre Abschriften seien aber für die weitere Verbreitung der Texte nicht als verbindlich angesehen worden. Das gelte auch für die Überlieferung alttestamentlicher Texte durch die Sopherim und die Kirchenväter (»3 Jewish and Chris­tian Scholarship and Standardization of Biblical Texts«, 60–112). Es habe zwar gegen Ende des ersten/Anfang des zweiten Jh.s einen hebräischen »vulgate« Text gegeben, ein Standardtext sei aber erst in der Renaissance entstanden, als man textkritisch »›authorized‹ editions« herstellen wollte (»4 Classical and Biblical Text Editions: Editing in the Age of the Printing Press«, 113–132).
In »5 Editing Homer: The Rise of Historical Criticism in Classical Studies« (133–184) referiert V. S. Theorien über die Entstehung der Werke Homers. Zwischen dem für sie von F. A. Wolf vertretenen Schema und der folgenden Entwicklung der Pentateuchkritik bestehe eine enge Verwandtschaft. Es werde jeweils ein Prozess von mündlichen Einzelüberlieferungen bis zu einer »final edition« angenommen. Dabei spiele der »editor« für die Endgestalt eine sehr bedeutende Rolle (150 f.). Das Schema Wolfs sei aber in der Homerforschung des 20. Jh.s aufgegeben worden. Für Ilias und Odyssee werde nun jeweils ein Verfasser angenommen (163 ff.).
Nach »6 The History of the ›Editor‹ in Biblical Criticism from Simon to Wellhausen« (185–243) unterschied Simon 1678 für Pentateuch und Ge­schichts­bücher zwei Arten von »editors«. Die einen hätten wie ein »historical editor« Materialien gesammelt und in ihre endgültige kompositionelle Form gebracht. Der zweite Typ sei »the scribal scholar«, der wie die Textkritiker seit der Renaissance aus vielen fehlerhaften Abschriften einen Standardtext herstelle. Beide Modelle gingen auf die humanistische Gelehrsamkeit zurück und seien für die frühe Geschichte der Bibel »entirely anachronistic« (238). Im späten 19. Jh. habe sich die Vorstellung vom Redaktor erheblich gewandelt. Einerseits werde nun die Verbindung verschiedener Quellenschriften im Pentateuch einem Redaktor zugeschrieben, der seine Vorlagen ohne wesentliche Zusätze miteinander verband. Andererseits würden aber auch Interpolationen und Textfehler auf »editors« zurückgeführt. Damit habe die Vorstellung vom Redaktor wenig Ähnlichkeit mit der ursprünglichen Analogie »and takes on a life of its own« (243).
In »7 The History of Redaction in the Twentieth Century: Crisis in Higher Criticism« (244–297) betont V. S., dass von Rad im Unterschied zu Gunkel den Jahwisten nicht nur als Sammler von Überlieferungen, sondern auch als Verfasser und Historiker verstanden habe, der dem Pentateuch seine grundlegende Form gab. Für Noth sei Dtr der Verfasser des Geschichtswerks von Dtn–2Kön gewesen. Die folgende Generation deutscher Forscher sei aber zu der Position des frühen 19. Jh.s zurückgekehrt, dass »multiple editors« für die Endgestalt von Pentateuch/Hexateuch und des dtr Geschichtswerks verantwortlich waren. »They went so far as to replace all authors with editors or school of editors or some other nebulous editorial process« (296). Das gehe auf neutestamentliche Untersuchungen zurück, wo für die Analyse der Synoptiker eine neue Redaktionskritik erfunden (»invented«) worden sei. Dabei werde jedoch eine Terminologie benutzt, die bereits Wellhausen in die neutestamentliche Forschung eingeführt habe, um in Analogie zu der Urkundenhypothese im Pentateuch zwischen (schriftlichen) Quellen und Evangelisten zu unterscheiden (297).
Da die Vorstellung von einem alten »editor« auf die Textkritik zurückgehe, bespricht V. S. in »8 Editing the Bible and Textual Criticism« (298–350) Theorien von einem »final editor«. Gegen sie spreche, dass in Qumran verschiedene Texttypen nebeneinander toleriert worden seien. MT, LXX und Samaritanischer Pentateuch seien somit nicht das Produkt »of intentional editing or recension« (347). McKane habe für die Unterschiede zwischen dem kürzeren LXX- und dem längeren MT-Text des Jeremiabuches überzeugend das Modell eines ›rolling corpus‹ vertreten. Danach seien die Erweiterungen »as sporadic, limited to the small pieces of text to which they are attached, and ›triggered‹ by their immediate context« zu erklären (348). Auf diesen Prozess, und nicht auf eine dtr Redaktion (so Thiel), gingen bereits die Prosareden in Jer zurück (32 8f.). Die sog. Rezensionen der LXX seien durch zweisprachige Abschreiber entstanden, die Texte an eine hebräische Fassung angeglichen hätten, ohne dass dabei ein hebräischer Standardtext vorausgesetzt werde (349).
Nach »9 Editors and the Creation of Canon« (351–390) entstand im rabbinischen Judentum gegen Ende des ersten Jh.s eine ausgewählte Liste von 22 oder 24 Büchern als Schriften, »very likely as a kind of Hebrew classics and sacred text in imitation of the Greek Homer and ›pagan‹ antiquity’s corpus of classics« (375). Gegen die Methoden des »canonical criticism« (Childs, Sanders) und der »innerbiblical exegesis« (Fishbane) spreche, dass bei ihnen »ancient editors« vorausgesetzt würden (390).

In »10 Summary and Conclusion« (391–401) fasst V. S. seine Ergebnisse zusammen. »I have concluded from this study that there never was in antiquity anything like ›editions‹ of literary works that were the result of an ›editorial‹ process, the work of editors or redactors.« Auch für die literarische Uneinheitlichkeit des Pentateuch sei diese Annahme unnötig, da alte literarische Werke häufig im Lauf der »scribal transmission« Zusätze und Interpolationen er­fahren hätten (398). Moderne Forscher »have populated their imaginary biblical world with myriads of text-corrupting editors, who virtually replace the actual authors of the text«. Es sei an der Zeit, die biblische Wissenschaft von dieser großen Phantasie zu befreien und zu versuchen, die Entwicklung des biblischen Texts als Basis seiner Interpretation und Exegese historisch zu rekonstruieren. Für die Bücher Ge n–Kön und den Chronisten sei die Untersuchung der Gattung der antiken Geschichtsschreibung der fundamentale Schlüssel für Form und Interpretation (400 f.).
V. S. verzichtet völlig auf die Berücksichtigung altorientalischer Texte. Für sie ist aber anscheinend teilweise mit einer Redaktion zu rechnen (vgl. z. B. für das Gilgamesch-Epos K. Hecker, TUAT III/4, 646 ff.). Dann gibt es aus dem Altertum doch Belege für Redaktionen. Es gab zudem sicher eine Pentateuchredaktion, da Dtn von seiner Fortsetzung in Jos abgetrennt und Gen–Dtn als selbständiger Komplex tradiert wurde. Dieser Vorgang lässt sich nur mit einer bewussten Redaktion erklären, für die der Pentateuch die normativen Grundlagen für Glauben und Leben enthielt. Schon an diesem Beispiel wird deutlich, dass sich die grundsätzliche Bestreitung von Herausgebern/Redaktoren als anachronistische Vorstellung durch V. S. nicht halten lässt. Das geht auch aus der priesterlichen Schicht im Pentateuch hervor, die sich deutlich abhebt. V. S. bestreitet zwar (m. E. zu Unrecht), dass sie aus einer selbständigen Priesterschrift stammt und hält sie für Ergänzungen. Da aber die verschiedenen priesterlichen Texte aufeinander bezogen sind, müssten sie dann von einer priesterlichen Redaktion stammen. Mit dem Prozess der »scribal transmission« lassen sie sich nicht erklären.
Die Behauptung von V. S., dass die These Noths vom Dtr als Verfasser des Geschichtswerks von der neueren Redaktionskritik völlig überlagert und ausgelöscht werde (271), ist zumindest für die sog. Göttinger Schule (Smend, Dietrich, Veijola) falsch. Das ergibt sich bereits aus dem von ihr gebrauchten Siglum DtrH (= dtr Historiker) für den Verfasser des Grundbestands. Da schon Noth mit erheblichen Erweiterungen der ursprünglichen Fassung rechnete, hat die Göttinger Schule mit der Annahme Einzeltexte übergreifender Bearbeitungen (Redaktionen) die Auffassung Noths weiterentwickelt.
Mit dem Vorwurf, dass die Vertreter der Redaktionskritik die Verfasser durch eine Vielzahl von »text-corrupting editors« ersetzen (400), verzeichnet V. S. polemisch das Ziel dieser Methode. Mit ihr sollen die Interpretationsprozesse in alttestamentlichen Schriften beschrieben werden. Dagegen wird bei V. S. leider nicht deutlich, welche Relevanz späteren Erweiterungen zukommt.
Allerdings ist m. E. der weite Begriff von »Redaktion« problematisch, wonach bereits die Abfassung eines literarischen Werks Gegenstand der Redaktionskritik ist (so z. B. K. Koch, O. H. Steck). Diese Auffassung hat zwar den Vorteil, dass der schriftliche Entstehungsprozess unter einem Begriff beschrieben werden kann. Aber dann wäre z. B. Paulus der Redaktor seiner Briefe. Für sie kann aber auf den Begriff des Verfassers schwerlich verzichtet werden. Auch für alttestamentliche Schriften, die nicht nur aus Sammlungen bestehen, ist m. E. zwischen ihrer literarischen Entstehung und späteren Redaktionen zu unterscheiden (so z. B. G. Fohrer u. a., Exegese des Alten Testaments 61993, 139 ff.). Deshalb betont V. S. mit Recht, dass der Grundbestand des dtr Geschichtswerks und das Werk des Jahwisten nicht von einem Redaktor, sondern von einem Verfasser stammen. Aber das schließt spätere Redaktionen nicht aus. Ohne die Annahme von Redaktoren bzw. Bearbeitern lassen sich die literarischen Befunde nicht erklären.
M. E. ist es V. S. nicht gelungen, die Annahme von Redaktoren zu widerlegen, weil über die Berechtigung dieser Vorstellung nicht eine Analogie zwischen alttestamentlichen Schriften und den Werken Homers, sondern die Textbefunde in diesen Schriften selbst entscheiden.