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Ausgabe:

Juli/August/2007

Spalte:

788–790

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Pola, Thomas

Titel/Untertitel:

Das Priestertum bei Sacharja. Historische und traditionsgeschichtliche Untersuchungen zur frühnachexilischen Herrschererwartung.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2003. X, 354 S. gr.8° = Forschungen zum Alten Testament, 35. Lw. EUR 74,00. ISBN 3-16-147667-0.

Rezensent:

Holger Delkurt

Das babylonische Exil bedeutet nach Ausweis der biblischen Texte einen tiefen Einschnitt in das Selbstverständnis Israels und seines Glaubens. Eine der in diesem Zusammenhang am häufigsten diskutierten Fragen lautet: Wie sollte nach dem Ende des Exils die judäische Selbstverwaltung organisiert werden?
Ein Zentrum dieser Diskussion bildet die Person des Serubbabel, der rechtmäßiger Nachfolger auf dem Thron Davids gewesen wäre, diesen aber nie bestieg. Zu den wenigen sicheren Informationen zählt, dass Serubbabel 521/20 v. Chr. mit einer Gruppe Exulanten aus Babylon nach Juda zog (Esr 2 = Neh 7) und in Jerusalem an der Grundsteinlegung des Tempels beteiligt war (Sach 4,9 f.). Umstritten bleibt jedoch, ob Serubbabel erwartete, als König über Juda herrschen zu können, und ob es Kreise gab, die ihn dabei unterstützten.
Auffällig ist, dass zwar von der Grundsteinlegung des Tempels durch Serubbabel die Rede ist, aber nur in der Ankündigung Sach 4,9 auch von der Vollendung durch ihn. In den Berichten von der feierlichen Einweihung des zweiten Tempels (Esr 3,9–13; 6,15–18) wird Serubbabel hingegen nicht genannt. Auch sein weiteres Ergehen bleibt im Dunkel: Ist er, nachdem er die Repatriierung der Exulanten erfolgreich durchgeführt hat, nach Babylon zurückgekehrt? Ist er überraschend (eines natürlichen Todes) gestorben, ohne dass es irgendwo Erwähnung fand? Oder haben ihn Priester gewaltsam getötet, um ihre Macht zu vergrößern? (So zuletzt Th. J. Lewis, The Mysterious Disappearance of Zerubbabel, in: »Seeking Out the Wisdom of the Ancients«. Essays Offered to Honor Michael V. Fox on the Occasion of His Sixty-Fifth Birthday. Ed. by R. L. Troxel, K. G. Friebel and D. R. Magary, Winona Lake, Indiana, 301–314.)
Hinter dem Schicksal Serubbabels steht die Frage: Hoffte man auf eine nahtlose Anknüpfung an die vorexilischen Verhältnisse, das heißt vor allem auf eine Wiedereinführung des Königtums der Davididen? Oder hat man als Folgerung aus den Fehlern der vorexilischen Zeit eine völlig andere Konzeption entwickelt, in deren Zentrum statt des Königs nun die Priesterschaft stehen sollte? Diese Frage steht im Mittelpunkt der Tübinger Habilitationsschrift von Th. Pola.
Bereits im Vorwort skizziert P. die These seiner Arbeit: Nicht die Anknüpfung an das vorexilische Königtum spiegelt sich in den wichtigsten Quellen der Zeit, vor allem den Prophetenschriften Haggai und Sacharja 1–8 sowie dem Esrabuch, wider, sondern eine Transformation des Königtums hin zur Erwartung eines endzeitlichen Messias aus dem Hause Davids, der in der Zwischenzeit vertreten wird durch das Priestertum (V). So sei nicht geplant gewesen, Serubbabel zum König zu ernennen; er selbst habe sich mit der Rolle des Repatriierungskommissars begnügt. Zu Recht verweist P. darauf, dass die Wirren im persischen Reich, die früher oft als Begründung für den Versuch, Serubbabel an die Macht zu bringen, angeführt wurden, zu Beginn des Auftretens von Sacharja bereits überwunden waren.
Nach P. verlief die Transformation des Königtums wie folgt: Schon bei Jesaja (7,1 ff.; 9,1 ff.; 11,1 ff.) wird ein Zukunftsherrscher erwartet, der zwar aus der Davidsippe stammen und auf dem Zion wohnen, aber ohne äußere Machtmittel herrschen wird. Dieser Zu­kunftsherrscher wird Jer 23,5 f. als »Spross« bezeichnet. Haggai und Sacharja, die nach P. beide priesterliche Einflüsse zeigen, nähmen diese Erwartung eines messianischen Davididen auf. Während Sacharja als Priester wirke, sei Haggai wohl Laie, stehe aber »im Gefolge der Ezechiel-Schule einschließlich der Priesterschrift« (58). Die Gemeinsamkeiten Haggais mit Ez und P sind allerdings so spärlich, dass man daraus kaum, wie auch die Mehrheit der Exegeten urteilt, eine Gefolgschaft wird ableiten können.
Das Zentrum der Untersuchung P.s bildet Sach 4. Wer sind die רהָצְיִּהַ־ינֵבְ ינֵשְׁ, für gewöhnlich mit »die beiden Söhne des Öls« übersetzt? P. sieht in ihnen – wie die Mehrheit der Exegeten – Josua und Serubbabel verkörpert; allerdings seien sie noch nicht gesalbt ge­wesen. Sie bildeten eine »Dyarchie«, also die »egalitäre Nebenordnung von König ... und oberstem Priester« (81). Der üblicherweise für das Salböl verwendete Begriff ןמֶשָׁ wird gemieden; statt dessen gebraucht Sacharja den Begriff רהָצְיִ, der sonst nicht im Kontext von Salbungen begegnet.
Nach P. bezeichnet רהָצְיִ das wertvollere Öl (80f.). Gerade die Wahl des ungewöhnlichen Terminus drücke »die Vermeidung einer personbezogenen, eine Institution konstituierende[n] messianische Implikation hinsichtlich der Dyarchie« (106) aus. Ist das aber sinnfällig? Der Terminus רהָצְיִ bezeichnet den noch nicht bearbeiteten Saft der Olive, vergleichbar dem Traubensaft aus der Frucht der Traube. Erst aus diesem Saft wird das Salböl gewonnen. Fast immer begegnet רהָצְיִ in Verbindung mit Aussagen über die Fruchtbarkeit des Landes. רהָצְיִ bildet darum kaum das wertvollere Öl, selbst wenn man den Begriff von רהצ »glänzen« ableitet (vgl. H. Ringgren, Art. רהָצְיִ ThWAT III [1982], 825 f., hier 825: »Diese Herleitung aber trägt zum Verständnis des Begriffs wenig bei.«).
Allerdings gilt nach P.: Auch ohne diese Terminologie sei die Aufgabe der »Ölsöhne« klar: »Die Identifikation der beiden Ölsöhne mit Serubbabel und Josua ist nicht abhängig vom Verständnis des Ausdrucks רהָצְיִּהַ־ינֵבְ ינֵשְׁ als ›Gesalbten‹. Vielmehr bedeuten Serubbabel und Josua für den kultischen Kontext des Leuchters, der die im Tempel erfahrbare Gegenwart des הוהי רוֹבכְּ bzw. Jahwes selbst darstellt, daß sie durch ihr Werk, den Tempelbau und die Initiation einer neuen Priesterschaft und eines neuen Kultes, das permanente Erstrahlen dieses Lichtes für die Tempelgemeinde bzw. die Welt ermöglichen.« (81) Dies gilt freilich nur, wenn man Sach 3 und 4,6aβ–10a hinzunimmt, in denen Serubbabel und Josua entsprechende Rollen explizit zugewiesen werden. Beide Texte gehören, wie auch P. festhält, nicht zum Grundbestand des Zyklus. So urteilt etwa R. Hanhart: »Wer diese beiden Gestalten ihrer Bestimmung nach sind, ist nicht aus den Aussagen des fünften Nachtgesichts ... eindeutig erkennbar.« (R. Hanhart, Sacharja [BK.AT XIV/7], Neukirchen-Vluyn 1998, 292)
Die Wahl des Begriffs רהָצְיִ zeigt nach P. zudem, dass Serubbabel und Josua Jahwes Geist brauchen, um den Tempel bauen zu können. »Es handelt sich hier im Zusammenhang mit dem Tempelbau um eine funktionale Messianität Serubbabels und Josuas ... Sach 4,14 setzt also weder bei Serubbabel noch hinsichtlich Josua eine personenbezogene oder eine permanente Institution begründende Salbung voraus.« (105) Die »funktionale Messianität« sei nötig für den Beginn des Tempelbaus und zur Einrichtung des Prie­stertums. Warum wird nur die Grundsteinlegung durch Serubbabel er­wähnt, nicht aber die Vollendung? Im Rahmen des »transformierten Herrschaftsverständnisses« sei der Davidide nicht mehr Erbauer des Tempels, sondern nur noch Schirmherr. Dass ein legitimierter Thronanwärter an der Grundsteinlegung beteiligt ist, sei für die Legitimität des Tempelbaus – wie im gesamten Orient – entscheidend. Da allerdings nach Jer 22,24 ff. dem Davididen Jojachin Glück- und Kinderlosigkeit angekündigt wurde, habe »eine Jeremia ebenbürtige prophetische Autorität, der greise Haggai« (172) die Verwerfung der Davididen rückgängig machen müssen (Hag 2,20–23).
Die Rolle Josuas wird vor allem in Sach 3 erkennbar. P. hält hier– trotz gewisser formaler und inhaltlicher Unterschiede vor allem zwischen V. 1–7 und V. 8–10 gegen die übliche Auffassung der Exegeten – V. 1–10 für einheitlich (nur V. 5abβ sei Zusatz). Er datiert den Text in die Zeit zwischen der Abfassung der sieben Grundvisionen und dem Abschluss des Tempelbaus und führt ihn auf Sacharja selbst zurück. Sach 3 diene der Einführung des neuen Amts des Hohenpriesters, das königliche, prophetische und pries­terliche Aufgaben umfasse, und legitimiere so den Kult des zweiten Tempels. Begrenzt werde die Autorität des Hohenpriesters dadurch, dass er das Amt nur so lange verwalte, bis der »Spross« komme.
Der umstrittene Text Sach 6,9–15 ist nach P. nicht bearbeitet worden; schon immer sei das Thema die Krönung Josuas gewesen und nicht die Serubbabels, wie man in der Exegese des 20. Jh.s zumeist meinte (mit der Begründung, dass üblicherweise ein König und nicht ein Hoherpriester gekrönt werde und »Spross« die Bezeichnung für einen Königsanwärter sei). Auch weist P. die Vermutung zurück, wegen der Pluralform תוֹרטָעֲ »Kronen« seien Josua und Serubbabel gekrönt worden: Hier liege ein Abstraktplural vor, der die »Transformierung des Königlichen ins Messianische ... andeuten soll« (264). Die Krone, die nach 6,14 im Tempel deponiert wird, symbolisiere den »Spross« und lasse ihn dort präsent werden. Die Krönung Josuas sei »ein bewusst paradox ausgedrückter Vorgang, der nur durch den Auftrag der Deponierung der Krone im Tempel entschärft wird« (263 f.). Damit finde zugleich eine Verlagerung zum Priesterlichen statt: Der Hohepriester übernehme die Aufgaben des Königs bis zur Ankunft des Messias.
Die spannend zu lesende Arbeit beeindruckt durch die Ge­schlossenheit der Darstellung. Problematisch scheint mir, dass sie sich überwiegend auf Texte (wie Sach 6,9–15) oder Termini (wie רהָצְיִ) stützt, die in ihrer Deutung stark umstritten sind und es wohl auch bleiben werden. Außerdem: Darf man zum Verständnis des Siebener-Zyklus Aussagen der in ihrer Verfasserschaft nicht eindeutig be­stimmbaren Ergänzungen (3; 4,6aβb–10) heranziehen? Die zu­künf­tige Diskussion wird zeigen müssen, ob Sacharja im Sinne des ezechielischen Verfassungsentwurfs (Ez 40–48) Kult und Priestertum stärken will oder ihnen nicht eher zurückhaltend gegenübersteht und an einer durch die vorexilische Zeit vorgegebenen Verbindung von Palast und Tempel festhält. (Vgl. vor allem D. L. Petersen, Haggai & Zechariah 1–8 [OTL], London 1985. Etwa der häufig kultkritisch gedeutete Text Sach 2,5–9 wird von P. nicht untersucht.)