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Ausgabe:

Juli/August/2007

Spalte:

786–788

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Fischer, Alexander Achilles

Titel/Untertitel:

Von Hebron nach Jerusalem. Eine redaktionsgeschichtliche Studie zur Erzählung von König David in II Sam 1–5.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2004. VIII, 386 S. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 335. Lw. EUR 98,00. ISBN 3-11-017899-0.

Rezensent:

Georg Hentschel

Die Erzählungen über Saul und David faszinieren die Exegeten offenbar immer noch, so dass gerade in letzter Zeit mehrere Arbeiten zum Thema erschienen sind (u. a. J. Klein, David versus Saul, 2002; J. Vette, Samuel und Saul, 2005; Th. A. Rudnig, Davids Thron, 2006; K.-P. Adam, Saul und David in der judäischen Geschichtsschreibung, 2007). Die Studie von F. ist als Habilitationsschrift im Sommersemester 2003 an der Theologischen Fakultät in Jena eingereicht worden.
F. geht von einem kritischen Geschichtsbild aus, demzufolge David »ausschließlich als Dynastiegründer des Süd- und nicht des Nordreichs in die Geschichte« eingetreten sei (3). Wie kommt es, dass er später auch als König von Nordisrael angesehen worden ist? Wer hat zu welcher Zeit das traditionelle Bild Davids geschaffen? F. beschränkt seine Analyse im Wesentlichen auf jene Kapitel (2Sam 1–5), die einerseits gern zur Aufstiegserzählung Davids gezählt worden sind, andererseits aber durch Sprache, Motive und Rollenspiel (Joab!) der sog. Thronfolgeerzählung ähneln. F. entdeckt eine »David-Redaktion«, die aus vorgegebenen älteren Erzählungen einen Textzusammenhang geschaffen habe. In »Fortschreibungstexten« wird David vom Vorwurf freigesprochen, für den Tod von Saul, Abner oder Ischbaal verantwortlich zu sein (2Sam 1,5–10.12*. 13–16; 3,31–37; 4,7–12). Die beiden »Brückentexte« (2,1–11* und 5,1–12*) dienen dazu, die ausgestaltete Abner-Ischboschet-Geschichte mit Davids Trauer um Saul und mit den Erzählungen am Jerusalemer Hof zu vernetzen. Einem ähnlichen Ziel dienen die »Klammerverse« (1,1–2*; 2,12; 4,1; 5,17). Herausragende Themen dieser Redaktion sind die Trauer Davids um das Haus Sauls, die Bestrafung der Mörder (2Sam 1,13–16; 4,8–12) und Israels Übergang zu David. Insgesamt lässt sich die Absicht der David-Redaktion so beschreiben: »David ist kein Usurpator gewesen, der sich gewaltsam des israelitischen Throns bemächtigt hätte.« (276) Als eine Zielgruppe stehen dem Redaktor die Nordisraeliten vor Augen. Sie sollen für die davidische Dynastie gewonnen werden. Ein solcher Anspruch ließ sich natürlich erst erheben, nachdem »das wirtschaftlich überlegene und politisch gewichtigere Königreich« des Nordens nicht mehr exis­tierte. F. denkt an eine Abfassung etwa zur Zeit des Königs Manasse. Die David-Redaktion hat dabei auf ältere, fragmentarisch erhaltene Texte zurückgreifen können. Als Beispiel sei die ältere Abner-Isch­boschet-Erzählung (3,1–8.11–12a.19ab α.20.21b.22abα.24–26a.27abαβ. 32a) genannt, die »etwa in die mittlere bis frühe Königszeit hinaufreichen« kann (279). F. erneuert mit seiner Studie die Fragmenten- und Ergänzungshypothese, die sich schon in dem »seltsam komplizierten« Kommentar von W. Caspari von 1926 findet. F. steht mit der Annahme einer judäischen, aber noch vordtr Redaktion auch nicht allein, sondern kann auf Vorgänger wie F. Langlamet, W. Dietrich und O. Kaiser hinweisen; Letzterer hat ihn sogar zu dieser Arbeit angeregt. F. will nicht leugnen, dass die Sprache der David-Redaktion den dtr Formulierungen nahesteht, achtet aber auch recht genau auf die Unterschiede (287). Die erste dtr Bearbeitung bezeichnet F. mit dem Siglum Dtr(Sam), ohne eine Beziehung zu DtrH oder DtrP auszuschließen. Die späteren dtr Bearbeitungen weist er DtrS zu.
Der Rezensent kann F. in vielerlei Hinsicht zustimmen. F. überrascht immer wieder durch genaue Beobachtungen zum Text. Er widersteht in der Regel auch der Versuchung, sich dadurch zu profilieren, dass er von einem inzwischen erreichten Konsens ab­weicht. Auch wenn er besonders das literarische Wachstum untersucht, ist er doch nicht nur an den Vorstufen eines Textes interessiert. Die knappe und zugleich schwierige Anekdote über die Eroberung Jerusalems (2Sam 5,6–8b) wird z. B. nicht literarkritisch zerpflückt, bis nur noch ein Torso zurückbleibt, sondern einer »Kohärenzprüfung« unterzogen, deren behutsam erzieltes Ergebnis für sich selbst spricht. Das vorsichtige Urteil F.s zeigt sich auch daran, dass er zwischen Erinnerung und konkreter Formulierung unterscheidet. Einerseits führt er die Krönung Davids über Juda (2Sam 2,4a) darauf zurück, »daß David primär als Begründer der Dynastie Judas erinnert wird« (57). Andererseits spreche der Gebrauch von »Haus Juda« (vgl. Hos 5,12–14) »gegen die Annahme eines alten Überlieferungsfragments« (62). Zu Recht wehrt sich F. auch gegen die »Hermeneutik der Verdächtigung« (188–193), die W. Dietrich bekanntlich so charakterisiert hat: »Je entschiedener man das Gegenteil dessen sagt, was der biblische Text sagen will, desto sicherer glaubt man historisch ins Schwarze zu treffen.«
Die Studie lässt natürlich auch noch Fragen offen. F. geht z. B. davon aus, »dass die Spannung zwischen I Sam 31,1–7 und II Sam 1,5–10 gewollt ist« (21). Der Leser soll erkennen können, dass der Amalekiter im Vergleich zum Waffenträger Sauls (1Sam 31,4) »schändlich gehandelt hat« (22). Entsteht durch die Aussage des Amalekiters (2Sam 1,9.10a) aber nicht der Eindruck, dass er sich einer Tat rühmt, die er gar nicht begangen hat? Doch wie kann der Redaktor dann den Amalekiter Stirnreif und Armspange vorweisen lassen? – F. stellt sehr genaue Berechnungen zur Chronologie der Herrschaft Davids an. Weil sich die 40-jährige Regierungszeit (2Sam 5,4) eng an die Krönung Davids zum König über Israel anschließe (5,3), ergebe sich ein Widerspruch: Einerseits habe David 40 Jahre über Israel geherrscht (5,4), andererseits nur 33 Jahre, weil er zunächst sieben Jahre König von Juda war (5,5). Dabei gerät etwas aus dem Blickfeld, dass das Wort »Israel« in 5,4 nicht fällt (vgl. 1Kön 2,11). Der vorliegende Endtext ist widerspruchsfrei. – F. macht darauf aufmerksam, dass der Name Ischboschet ursprünglich sein kann, wenn man das im Nordwestsemitischen belegte theophore Element *b āšt berücksichtigt (72). Vielleicht lassen sich die griechischen Namensformen tatsächlich so erklären, kaum aber der Name »Eschbaal« in 1Chr 8,33 und 9,39. Außerdem beweist der Name »Jerubbaal« (1Sam 12,11) nicht, dass im Samuelbuch das theophore Element *baal immer erhalten geblieben ist, zumal gerade der Name Jerubbaal »orthodox« begründet worden ist (Ri 6,25–32). – Es ist verständlich, dass F. seine Beobachtungen an 2Sam 1–5 durch weitere Hinweise aus dem Bereich der sog. Thronfolgegeschichte stützen möchte (301–316). Dabei kommt F. zu sehr schnellen Urteilen, die nicht immer begründet werden können. Wer z. B. bislang überzeugt war, dass der Auftritt Natans (2Sam 12,1–15a) auch vordtr Elemente enthält (12,1–7a), wird sich durch die schlichte Be­hauptung des Gegenteils kaum überzeugen lassen.
F. schließt seine Untersuchung mit einer »Revision der ge­schichtlichen Zeugnisse« (319–329). Er folgert aus seinen Beobachtungen zum Kampf vor den Toren Gibeons, dass David »die Hegemonie über das benjaminitische Königtum zu erlangen suchte und das saulidische Haus zunehmend in die Defensive drängte« (322). Es ist immer erfreulich, wenn historische Urteile nicht nur unter dem Blickwinkel der Ökonomie gefällt werden, sondern mit der gestaltenden Kraft einer Persönlichkeit rechnen. Vielleicht hat der Gründer des Hauses Davids das saulidische Haus nicht nur bedrängt. F. macht sich zu Recht Gedanken, aus welchen Gründen die Nordisraeliten nach 722 v. Chr. ausgerechnet nach Juda geflohen seien, wenn es doch vordem nie eine gemeinsame Geschichte gegeben habe. Es sei »naheliegend, das Gemeinbewußtsein von Nord- und Südreich auf ihre religiöse Bindung zurückzuführen« (282). Letztere habe darin bestanden, dass nur in Israel und Juda Jahwe der offizielle und gemeinsame Staatsgott gewesen sei. F. kann natürlich die angeschnittenen religionsgeschichtlichen Fragen nicht weiter erörtern. Aber der Leser fragt sich, ob der gemeinsame Staatsgott nicht doch eine gemeinsame Geschichte von Süd und Nord voraussetzt, die vor dem 7. Jh. v. Chr. anzusetzen wäre. Die präzisen und klaren Beobachtungen F.s zu einem bedeutenden Teil der Davidstradition und -re­daktion werden aber durch solche Einwände nicht in Frage gestellt.