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Ausgabe:

April/2007

Spalte:

442-444

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Noffke, Eric

Titel/Untertitel:

Cristo contro Cesare. Come gli ebrei e i cristiani del 1 secolo risposero alla sfida dell’imperialismo romano.

Verlag:

Turin: Claudiana 2006. 319 S. 8° = Piccola biblioteca teologica, 71. Kart. EUR 22,50. ISBN 88-7016-598-1.

Rezensent:

Tobias Georges

Eric Noffke bezeichnet es als Ansinnen seines Werkes, die Reaktion der Juden und Christen des 1. Jh.s auf die »ideologia imperiale romana« herauszuarbeiten (10) – ein ambitioniertes Unterfangen. Der Obertitel beschränkt den Blickwinkel offensichtlich auf die Konfrontation der Christen mit der römischen »Ideologie«; diese und andere Unschärfen begegnen im Verlauf der Untersuchung immer wieder.
Die Vorgehensweise N.s erscheint auf den ersten Blick schlüssig: In einem ersten Teil (13–73) wird der historische Kontext abge­steckt und die Expansion des römischen Reiches nach Osten, insbesondere in die für die Auseinandersetzung relevanten Regionen, dargestellt; der zweite Teil (75–152) dient der Beschreibung der »ideologia imperiale« und ihrer Propaganda; im dritten Teil (153–261) folgt die Analyse des Ringens von Juden und Christen mit dieser »Ideologie«. – Bei näherem Besehen wird innerhalb dieser Grobstruktur allerdings deutlich: Sowohl grundlegende Begriffe als auch der genau­ere Zuschnitt der Untersuchung bleiben unterbestimmt – auf Kos­ten der Stringenz der Analyse. So klärt N. an keiner Stelle, was er unter dem für das ganze Unterfangen tragenden Terminus »ideologia« versteht – wenn er ihn bisweilen mit »teologia« in eins setzt, wird die Unklarheit für den Leser nicht geringer.
Innerhalb des ersten Teils wirkt es sich vor allem aus, dass Grundüberlegungen zur Zusammengehörigkeit sowie Abgrenzung von »mediogiudaismo« und »cristianesimo« unterbleiben: N. hat bei den Auswirkungen der römischen Expansion lediglich das Judentum im Blick; ob er die ersten Christen als Teil des Judentums mitverhandelt, bleibt unklar. Jedenfalls erwähnt er sie hier mit keinem Wort, um sie aber in der zweiten Hälfte des dritten Teils, die für das Untersuchungsergebnis entscheidende Bedeutung hat, umso deutlicher als eigenständige Gruppe hervortreten zu lassen. Neben dieser terminologischen und methodischen Unschärfe offenbart der erste Teil eine weitere für das ganze Buch zu beobachtende Schwäche: Bei der Rekonstruktion des Geschichtsverlaufs kommen die Quellen auf weiten Strecken fast gar nicht zur Geltung. Die Ereignisse werden zumeist dargestellt, indem Lehrbuchwissen und einzelne Forschungsthesen referiert werden, und auch der Herkunftsnachweis dieser Inhalte lässt oft zu wünschen übrig. Bisweilen werden unterschiedliche Thesen gegeneinander abgewogen, wobei häufig der Mangel an Quellenanalysen den argumentativen Gehalt solcher Abwägungen in Frage stellt.
Spätestens im zweiten Teil wäre eine klare Definition des Schlüsselbegriffs »ideologia imperiale« zu erwarten. Diese unterbleibt aber; stattdessen wird der Beginn dieser »Ideologie« im Zeitalter des Augustus konstatiert und ihr Gehalt anhand Aussagen Virgils, Horatius’ und Tacitus’ umschrieben – wobei diese Autoren als Propagatoren einer sich entwickelnden, aber eben inhaltlich noch gar nicht näher bestimmten »ideologia« dargestellt werden. Als wesentlicher Faktor der »Ideologie« erschließt sich dem Leser die Verehrung des Kaisers als eines universalen Herrschers, die sich vor allem daraus speist, dass der Kaiser als Garant der »pax romana« fungiert. Der zweite Teil ist geprägt von der mangelnden Klärung und Unterscheidung von »ideologia imperiale« sowie »Propaganda«: Klärungsversuche zum Begriff »Propaganda« erfolgen erst (97–101), nachdem die genannten schriftlichen Zeugnisse der »Ideologie« längst als »Propaganda« behandelt worden sind (77–95), und auch die weiteren Zeugnisse – Münzen, Inschriften, Werke aus Kunst und Architektur – werden ununterschieden hier danach befragt, was sie für die »Ideologie« austragen, dort danach, wie durch sie die Verbreitung der »Ideologie« erfolgt. Unvermittelt schließt sich an die Erörterung dieser Zeugnisse die Behandlung des Kaiserkults an, der – wiederum zumeist unter Berufung auf die Forschungsliteratur – als »summa« der »propaganda dell’ideologia imperiale« charakterisiert wird (151).
Im dritten Teil stellt sich schließlich heraus, dass der eigentliche Bezugspunkt für die Auseinandersetzung in jüdischen und christlichen Schriften nicht allein die »ideologia imperiale«, sondern zugleich die faktische Weltmachtstellung des imperium romanum in von Juden und Christen bewohnten Gebieten ist – die doch schwerlich schon als »Ideologie« zu kennzeichnen wäre: Lassen sich die Aussagen Philos und Flavius Josephus’, die N. als »collaboratori dell’impero« einordnet, noch teilweise als Reflex einer »Ideologie« werten, so reagieren die zum jüdischen »Widerstand« gerechneten Schriften (PsSal, Schriften aus Qumran, 4Esr, 2Bar, Jakobsleiter, Sib) oft schlicht auf das Faktum der römischen Besatzung, und auch bei den anschließend behandelten Stimmen Jesu, Paulus’ sowie der frühen Christen (Synoptiker und Apk) steht häufig die Auseinandersetzung mit den römischen Machthabern im Vordergrund. Im dritten Teil wird nun N.s Grund dafür ersichtlich, das Werk eingangs auf die Auseinandersetzung mit der »ideologia imperiale« zu fokussieren: Dieser Fokus trägt seiner Zentralthese Rechnung, welche er nun formuliert: Der Orient sei der römischen »ideologia imperiale« gegenüber wehrlos gewesen, bis die Christen dieser ihre »contro-ideologia« entgegengesetzt hätten; die »contro-ideologia« hätte die »ideologia imperiale« mit der messianischen Tradition des Alten Testaments verschmolzen, um die Gegenwart des Gottesreichs und die Herrschaft Jesu Christi gegen die römische »Ideologie« zu beanspruchen (191 f.). Die Problematik dieser These und der in ihr transportierten Etiketten mag dahingestellt bleiben – N.s Eintreten dafür kann jedenfalls kaum überzeugen: Zusätzlich zu den genannten Unschärfen seien hier nur die Mängel des dritten Teils genannt, welche den Wert der Untersuchung in Frage stellen:
Die jüdischen wie die christlichen Quellen werden angesichts der Vielfalt der strittigen Fragen, die sich mit ihrer Interpretation verbinden (gerade bei Quellen wie Sib und Apk), in viel zu verkürzter und ausschnitthafter Weise behandelt.
Um ein Beispiel zu nennen: Für die »Jakobsleiter« weist N. zwar darauf hin, dass deren Interpretation sehr umstritten ist, lässt sich von diesem Sachverhalt aber nicht daran hindern, das Werk in eineinhalb Seiten abzuhandeln: Er bedient sich ohne Angabe von Gründen der These, die Person Esaus sei in der »Jakobsleiter« mit Rom, speziell mit dem Kaiser zu identifizieren, um aufbauend auf dieser These Schlüsse aus zwei kurzen Textausschnitten zu ziehen. Die Auslegungsproblematik selbst – der Text dieser ursprünglich vermutlich griechischsprachigen Schrift ist nur in slavischer Übersetzung und in sehr korrumpiertem Zustand überliefert, Herkunft und Datierung des Werkes liegen im Unklaren – wird mit keinem Wort beleuchtet.
Bei der Untersuchung der Quellen werden Einleitungsfragen teils gar nicht, teils allein durch das Referieren einer Forschungsthese beantwortet; die Textgrundlage für die Analyse bietet jeweils die italienische Übersetzung; Einflüsse einer »ideologia imperiale« werden konstatiert, aber kaum im Detail nachgewiesen – wie soll auch der Nachweis gelingen, dass eine so unscharf bestimmte »Ideologie« und nicht anderes Gedankengut für die analysierten Texte prägend ist?