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Ausgabe:

April/2007

Spalte:

438-440

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Horsley, Richard A. [Ed.]

Titel/Untertitel:

Christian Origins.

Verlag:

Minneapolis: For­tress Press 2005. XVIII, 318 u. XV S. m. Abb. u. Ktn. gr.8° = A People’s History of Christianity, 1. Lw. US$ 35,00. ISBN 0-8006-3411-X.

Rezensent:

Katharina Greschat

Das Werk enthält zwölf Artikel verschiedener Autoren und bildet den ersten Band einer insgesamt auf sieben Bände angelegten Reihe der »People’s History of Christianity«. In den nächsten Jahren sollen in ähnlicher Konzeption und Aufmachung Late Ancient Christianity, Byzantine Christianity, Medieval Christianity, Reformation Christianity, Modern Christianity to 1900 und abschließend Twentieth-Century Global Christianity folgen. A People’s History of Chris­tianity versteht sich dabei ausdrücklich als ein interdisziplinäres und vor allem sozialgeschichtliches Projekt (www.peopleshistoryofchristianity.com), welches Kirchengeschichte in Abgrenzung zur ge­wohnten Konzentration auf gesellschaftliche und kirchliche Eliten, zentrale Texte und theologische Entscheidungen und Debatten beleuchten will. Denis R. Janz als Herausgeber der Reihe kennzeichnet das Gemeinschaftsprojekt als ersten, vorläufigen Versuch, die Kirchengeschichte aus der Perspektive derer neu zu schreiben, die er als »the voiceless, the ordinary faithful who wrote no theological trea­tises, whose statues adorn no basilica, who negotiated no concordats, whose very names themselves are largely lost to historical memory« (XIV) charakterisiert. Dementsprechend bilden die Sichtweisen der einfachen Leute, das alltägliche Leben sowie Frauen- und Sklavengeschichte die Schwerpunkte der Darstellung auch des hier zu besprechenden ersten Bandes, der lose in die drei Abschnitte: »Early Jesus Movements« (21–110), »Cities and Texts« (111–198) und »Social Patterns and Practices« (199–286) unterteilt ist. Jedem der mit Karten versehenen und reich bebilderten Artikel wird eine knappe Bibliographie zur Vertiefung des Gelesenen beigefügt.
Richard A. Horsley führt dem Leser in seiner Einleitung zu diesem Band (1–20) eindringlich vor Augen, was ihn bei diesem postkolonialen Ansatz erwartet, der die gängige Engführung der Geschichtswissenschaften auf die Eliten und die nachaufklärerische Verbannung der Religion in den privaten Bereich gleichermaßen aufbrechen will. Ebenso plakativ wie die Beschreibung des Ausgangspunktes gerät nun auch die im wörtlichen Sinne höchst schematische Entgegnung zu Fragestellungen und Methoden der »standard history« und der »New Testament studies« (5). Wie H. selbst zugibt, stellt die Quellensituation eine besondere Schwierigkeit für die Untersuchung dar (14–16), weil die einfachen Leute selten schriftliche Dokumente hinterlassen und die Eliten sie häufig nur erwähnt haben, wenn sie sich in ihren Augen unbotmäßig verhielten. Zudem gesteht H. ein, dass die Texte fast immer von Männern verfasst worden seien und die deutliche Tendenz zeigten, Frauen zu negieren. Dennoch behauptet er, dass einige Texte der neutestamentlichen Zeit insofern einzigartig seien, als ihnen die Betrachtungsweise einfacher Leute zu Grunde liege (15 f.). Ohne das näher zu begründen oder sich über seine Kriterien Rechenschaft abzulegen, konstruiert H. daraufhin einen sehr eigenen »Kanon im Kanon«, indem er die Evangelien, abgesehen von Lk, zu solchen Texten erklärt (vgl. dazu die Artikel von William R. Herzog: »Why Peas­ants responded to Jesus«, 47–70; Warren Carter: »Matthew’s People«, 138–161; Allen D. Callahan: »The Gospel of John as People’s History«, 162–176) und in dem von ihm verfassten Beitrag (»Jesus Movements and the Renewal of Israel«, 23–46) nachweisen möchte, dass sowohl hinter Mk als auch Q »popular movements in resistance to the Jerusalem as well as the Roman rulers« (45) stehen, die auf eine Erneuerung Israels in ihrem Sinne hofften. Darüber hinaus spiegele sich das Gedankengut einfacher Menschen auch in der Offenbarung, der Didache, dem Hirten des Hermas und dem Jakobusbrief, während die Deuteropaulinen und insbesondere die Pastoralbriefe davon zeugen, dass den »communities of ordinary people« (16) die dominante gesellschaftliche Ordnung aufgeprägt werden sollte.
Die paulinische Korrespondenz ist in diesem »Kanon« ebenfalls vor allem im Hinblick auf die Situation der jeweiligen Adressaten von Interesse (vgl. den Beitrag von Raymond Pickett: »Conflicts at Corinth«, 113–137). Neben dieser willkürlichen Auswahl an Texten stützen sich die einzelnen Artikel jedoch zusätzlich auf alles verfügbare Material aus der Welt und Umwelt des frühen Christentums, einschließlich der archäologischen Zeugnisse. Die Sichtweisen von Frauen kommen in den Untersuchungen von Antoinette C. Wire: »Women’ s History from Birth-Prophecy Stories« (71–93) und Barbara R. Rossing: »Prophets, Prophetic Movements, and the Voices of Women« (261–286) in den Blick. In den Referaten von Neil Elliot: »Disciplining the Hope of the Poor in Ancient Rome« (177–197) und Steven J. Friesen: »Injustice or God’s Will: Explanations of Poverty in Proto-Christian Texts« (240–260) geht es um den Umgang mit dem allgegenwärtigen Problem der Armut. Der Beitrag von Clarice J. Martin: »The Eyes Have It: Slaves in the Communities of Christ-Believers« (221–239) bringt die Stellung der Sklaven zur Sprache und Caroline Osiek beschreibt unter dem Titel: »Family Matters« (201–220) anschaulich und unter Einbeziehung der Archäologie die Struktur des Hauses in der römischen Welt, die auch die frühchristlichen Gemeinden zutiefst geprägt hat.
Vollkommen unerwartet findet sich in dem Abschnitt »Early Jesus Movements« auch ein Kapitel über die Mandäer (Jorunn J. Buckley: »Turning the Tables on Jesus: The Mandaean View«, 94–109), die nach einer alten, schon von Kurt Rudolph (Die Mandäer I, Göttingen 1960) energisch zurückgewiesenen These als direkte Nachfahren der Johannesjünger in Konkurrenz zur Jesusbewegung angesehen werden. Buckley will dieser These wieder neues Leben einhauchen, indem sie auch in den vergleichsweise jungen mandäischen Texten »historical nuggets« (99) entdeckt, die ihre Interpretation stützen, wonach »their [sc. the Mandaean] arguments against Judaean traditions constitute a parallel to the activity of Jesus, who also contested the Israelite heritage« (109). Von den zu Grunde liegenden Kriterien für dieses Verfahren oder von einer Auseinandersetzung mit Vertretern, die das aus nachvollziehbaren Gründen anders sehen, erfährt man jedoch leider nichts.
Im Rahmen dieser Rezension ist es unmöglich, sämtliche Beiträge vorzustellen und eingehender zu diskutieren. Deshalb sei das Profil des Bandes, dessen Ansatz in der Tradition von Robert M. Grant, John Gager, Abraham J. Malherbe, Wayne A. Meeks und Gerd Theißen steht, anhand einiger Beispiele skizziert. Während es den Genannten jedoch darum geht, die Ergebnisse der sozialgeschichtlichen Forschung mit der Ideen-, Geistes- und Theologiegeschichte ins Gespräch zu bringen, um vielleicht etwas besser nachvollziehen zu können, wie frühchristliche Menschen sich in ihrer Welt verstanden und ihr Anliegen zur Sprache gebracht haben, ist »A People’s History« nahezu ausschließlich an den sozialen Verhältnissen interessiert. Diese werden entsprechend des von H. in der Einleitung vorgestellten binären Modells, das Peter Burke und den New Historicists verpflichtet ist, in sehr einfache Gegensätze aufgelöst. Durchgängig liegt die marxistische Vorstellung zu Grunde, dass die Gesellschaft in jeder Hinsicht zutiefst in Herrscher und Beherrschte (Herzog, 48 ff.), wenige Mächtige und eine große Zahl von Ohnmächtigen gespalten ist, die dann mit den honestiores und humiliores in den antiken Quellen identifiziert werden (Osiek, 208). Immer wieder ist in den Beiträgen auch ganz explizit vom Klassenkampf die Rede (Elliot, 179.180), der als zentrales Thema einer »People’ s History« angesehen wird: »A people’s history approach identifies these struggles of the powerless against the powerful as central to the historical inquiry« (Carter, 161).