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Ausgabe:

April/2007

Spalte:

435-437

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Zingg, Edith

Titel/Untertitel:

Das Reden von Gott als »Vater« im Johannesevangelium.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien-Barcelona-Rom-New York: Herder 2006. VII, 377 S. m. Tab. gr.8° = Herders Biblische Studien, 48. Geb. EUR 60,00. ISBN 978-3-451-28950-4.

Rezensent:

Frances Back

Gegenstand der Dissertation von E. Zingg (Theologische Fakultät der Universität Luzern) ist die im JohEv besonders häufig verwendete Bezeichnung Gottes als »Vater«. Viele der Gottesbilder, welche die synoptischen Evangelien kennen, werden im JohEv auf Jesus angewendet, während sich die Rede von Gott auf die Vatermeta­pher konzentriert. Ihr geht Z. nach, indem sie danach fragt, wie »Gott bzw. der Vater im JohEv charakterisiert« wird, ob es innerhalb des JohEv eine Entwicklung der Sicht auf den Vater gibt und welche »Erkenntnisprozesse« sich daraus für die impliziten Leser des Evangeliums ergeben (19). Das Anliegen ist dabei von dem hermeneutischen Interesse bestimmt, durch die Darstellung vielfältiger johanneischer Vaterbilder und ihrer Wirkung auf die impliziten Leser die gegenwärtige christliche Rede von Gott als Vater zu bereichern und ggf. in Frage stellen zu können.
Nach einer Einleitung (1–30), die über den Stand der Forschung und die verwendeten, primär aus dem Bereich der narrativen Analyse stammenden Methoden informiert sowie statistische Beobachtungen zur Verwendung von »Gott« und »Vater« im JohEv macht, gibt die Textauslegung (31–302) eine breit angelegte Übersicht über die Texte in Joh 1,1–20,31, in denen die Vaterbezeichnung besonders oft erscheint. Mit der großen Zahl der entsprechenden joh Texte steht Z. vor einer Fülle exegetischer Probleme, auf die sie in Einzelexegesen zu Joh 1,1–18 und 20,17; 5,1–47; 8,31–59; 10,22–39; 13,31–14,31; 15,1–17; 16,25–33 und Joh 17,1–26 zum Teil in Form des Überblicks, zum Teil detailliert eingeht. Die Besprechung von Joh 1,1–18 und 20,17 steht am Anfang, da sie den ersten (1,14) und den letzten Beleg (20,17) für Gott als Vater im JohEv bieten und besonders Joh 20,17 inhaltlich signifikant ist, da Gott hier zum ersten Mal im JohEv nicht nur als Vater Jesu, sondern auch als Vater der Jünger bezeichnet wird.
In Joh 5,1–47; 8,31–59 und 10,22–39 wird, so Z., vor allem das Verhältnis zwischen »Vater« und »Sohn« bedacht. Die Auswirkungen auf andere Menschen – Erzählfiguren sowie Evangeliumsleser – sind eher indirekter Natur: So erscheint der Vater in Joh 5,1–47 als der, welcher den Sohn liebt und ihn mit der Vollmacht, Leben zu spenden und Gericht zu üben, zu einem Handeln ermächtigt, das charakteristisch für sein eigenes Handeln ist (105 f.). In Joh 8,31–59 wird kritisch darüber reflektiert, wer ein Verhältnis zu Gott als Vater für sich beanspruchen kann. In der Auseinandersetzung mit den Juden wird deutlich, dass sich eine Beziehung zu Gott als Vater aus joh Perspektive nicht auf Abstammung gründet, sondern nach Z. eine »Lebensweise« und ein Handeln voraussetzt, in dem Gottes eigene »Handlungsart, seine Zuwendung zu den Menschen, seine Gegenwart erfahrbar und erkennbar wird« (131). Besonders in Joh 10,22–39 sind die Aussagen zu Gott als Vater nach Z. auf seine Beziehung zum Sohn beschränkt (reziproke Immanenz und Einheit), auch wenn sie Folgen für die Glaubenden haben (165 f.).
In den Abschiedsreden tritt dagegen ein anderer Akzent in den Vordergrund: Mit der Vaterbezeichnung, die nun sehr viel häufiger erscheint, wird nach Z. nicht mehr ausschließlich die Beziehung zwischen Jesus und Gott, sondern auch das Verhältnis zwischen dem Vater und den Menschen thematisiert. Hier müsste nur jeweils deutlicher zwischen den »Menschen«, den »Jüngern« und den »Glaubenden«, die Z. zum Teil synonym verwendet, unterschieden werden. Nach Z. erhalten die Glaubenden in Joh 13,31–14,31 Anteil an der Beziehung zwischen Vater und Sohn (211). Ihr Verhältnis zu Jesus und untereinander ist, wie Joh 15,1–17 zeigt, nicht unabhängig von der Beziehung zwischen dem Vater und Jesus zu denken (237). Nach Joh 16,25–33 können sie künftig den Vater selbst bitten und werden einen direkten Zugang zu ihm haben (254). Die Aussagen zu Gott als Vater finden nach Z. ihren Höhepunkt in Joh 17,1–26, da dieses Kapitel eine besonders konzentrierte Darstellung der charakteristischen Züge des Vaters bietet.
Im letzten Teil »Die Charakterisierung Gottes als ›Vater‹ im Johannesevangelium« (303–327) werden die Funktionen des Vaters, die sich auf Grund der Textauslegungen ergeben haben, zusam­mengestellt und nach Aussagen über die Beziehung zwischen Vater und Sohn sowie Vater und Menschen geordnet. Zusammenfassend wird u. a. hervorgehoben, dass die Leser »bei der fortlaufenden Lektüre mit verschiedenen Konnotationen des ›Vater‹-Bildes konfrontiert« werden, wodurch »Entwicklungslinien in der joh Darstellung des ›Vater‹-Bildes« entstehen (317 f.).
Dass die joh Vater-Aussagen vielfältig sind und im Laufe der Lektüre vor den Augen der Leser ein immer facettenreicheres Bild von Gott als Vater entsteht, wird in Z.s zum Teil ausführlicher Kommentierung der Texte deutlich herausgearbeitet. Über die Feststellung einer solchen »Entwicklung des Vaterbildes« auf Grund der Charakterisierungen des Vaters hinaus wäre es m. E. aufschlussreich, auch die Frage nach den Gründen für diese Veränderung zu stellen und nach einer Erklärung für das Phänomen zu suchen, weshalb Gott ab Joh 13 häufiger »Vater« als »Gott« genannt wird, während das Verhältnis der Gottesbezeichnungen »Gott« und »Vater« in der ersten Hälfte des JohEv ausgeglichener ist. So könnten viele gute Textbeobachtungen in Z.s Arbeit stärker auf das Thema hin zugespitzt und die Zahl der exegetischen Fragen, die mit der Behandlung der untersuchten Passagen verbunden sind, etwas begrenzt werden. Interessant ist m. E. vor allem die von Z. beobachtete Tatsache, dass sich das Bild von der Beziehung zwischen Gott und den Jüngern im Laufe der Erzählung qualitativ ändert und die Bezeichnung Gottes als Vater dabei eine zentrale Rolle spielt. Joh 20,17 markiert mit dem Hinweis auf den Aufstieg Jesu zu »meinem Vater und euerm Vater« in der Erzählung den entscheidenden Zeitpunkt, zu dem die Beziehung der Jünger zu Gott als Vater überhaupt erst möglich wird, die in den entsprechenden Passagen der Abschiedsreden antizipierend für die nachösterliche Zukunft ins Auge gefasst wird. Dass Joh 20,17 ein »Höhepunkt« der joh Aussagen zu Gott als Vater ist, hebt auch Z. hervor (49), geht aber nicht näher auf die Gründe ein, weshalb Gott erst in Joh 20,17 auch als Vater der Jünger bezeichnet wird, während er bis dahin nur als der Vater Jesu gilt. Mit einer Klärung dieser Frage könnte m. E. die These von einer »Entwicklung« der joh Auffassung von Gott als Vater auf einer tieferen Ebene reflektiert werden.
Im Blick auf die Frage nach den Erkenntnisprozessen, die sich für die Leser aus den vielfältigen joh Bildern von Gott als Vater ergeben, wären Reflexionen über den nachösterlichen »Standort« der im JohEv anvisierten Leser und deren Perspektive im Rückblick auf die erzählten Ereignisse hilfreich sowie manche Differenzierung in der Terminologie (z. B. in der Verwendung der Begriffe »Menschen«, »Jünger«, »Glaubende«). Mit einer deutlichen Unterscheidung von textinterner und textexterner Ebene ließe sich das Profil der Leser schärfer herausarbeiten, vor allem im Hinblick auf das Problem, wie sie sich jeweils zu den Figuren der Erzählung, besonders den Jüngern verhalten. Mit den Jüngern lassen sie sich ja nicht immer bruchlos identifizieren – gerade auch im Blick auf Joh 20,17 versteht sich eine solche Gleichsetzung (48 f.) m. E. nicht von selbst, da die Leser im Gegensatz zu den Jüngern nicht zu den Osterzeugen gehören.