Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2007

Spalte:

420-422

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Hardmeier, Christof

Titel/Untertitel:

Erzähldiskurs und Redepragmatik im Alten Testament. Unterwegs zu einer performativen Theologie der Bibel.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2005. VIII, 444 S. gr.8° = Forschungen zum Alten Testament, 46. Lw. EUR 89,00. ISBN 3-16-148772-9.

Rezensent:

Helmut Utzschneider

Dass Christof Hardmeier eine Auswahl seiner exegetisch-theologischen Aufsätze aus dem Zeitraum von 1981–2005 nun als leicht zu­gängliche Sammlung vorlegt, ist dankbar zu begrüßen. Der Haupttitel »Erzähldiskurs und Redepragmatik im Alten Testament« gibt wieder, wofür H. in der alttestamentlichen Wissenschaft seit langem steht. Das Besondere, ja der »Clou« der Sammlung ist indes nicht so sehr ihr diesbezüglicher dokumentarischer Wert, sondern die im Untertitel angedeutete synthetische Perspektive: »Unterwegs zu einer performativen Theologie der Bibel«. H. versteht die in dem Band gesammelten Aufsätze mithin als Bausteine zu einer Theologie der Bibel (!). Für die an theologischen Synthesen derzeit nicht gerade reiche Bibelwissenschaft ist dies ein ebenso wegweisendes wie anspruchsvolles Unterfangen.
Die programmatische Einführung (3–31) ist mit dem Untertitel des Buches überschrieben, und H. stellt darin bereits die Weichen: Biblische Texte seien »verschriftete Mündlichkeit«. Die Schriftlichkeit diene »primär ihrer Wiederholung durch Vorlesen und Hören von Generation zu Generation« (3). Eben dieser Nachvollzug im Lesen und Hören macht ihren »performativen Grundzug« (4) aus. Zur performativen Theologie werden die Texte darin, dass sie »zu einem verantwortlichen Leben vor Gott« anleiten (ebd.). Dann skizziert H. seine eigene theologisch-wissenschaftliche Biographie als »Stadien auf dem Weg zu einer performativen Theologie der Bibel« (5–20). Als seine theologischen Vordenker nennt er u. a. E.Fuchs und E. Jüngel. Letzterer brachte ihn mit J. L. Austins Sprechakt­theorie in Verbindung. Vor allem aber beruft sich H. auf D. Bonhoeffers Desiderat einer nicht-religiösen Interpretation biblischer Begriffe, das H. als Plädoyer für eine Theologie interpretiert, die »keiner metaphysischen oder begriffsdogmatischen Metaebene« be­darf (4). Die Stichworte »Linguistik«, »computergestützte Exe­­gese und Textempirie«, »kommunikationspragmatisches Text­verständ­nis« und »Le­sehermeneutik der Behutsamkeit«, »kommunikationspragmatische Narratologie« geben Einblick in H.s wis­senschaft­liche Wege und Umwege, die sich – wie die Auf­satz­sammlung zeigt– als notwendige »Stadien auf dem Weg« erweisen.
Nun aber zu den Aufsätzen, die wir in Auswahl, je nachdem, was sie zum Konzept einer »performativen Theologie« beitragen, be­leuchten wollen. Eine erste Gruppe steht unter der Überschrift »Erzählen – eine Basisform theologischer Reflexion in der hebräischen Bibel«. – In einer frühen Arbeit »Erzählen – Erzählung – Er­zählgemeinschaften. Zur Rezeption von Abrahamserzählungen in der Exilsprophetie« (1981, 35–55) werden – im Gespräch mit H. Weinrich – Erzählungen als Sprachgestalten lebendigen Glaubens beschrieben (49ff.). Der Aufsatz »Old Testament Exegesis and Linguistic narrative research« (1986, 57–76) erprobt an Am 7,10–17 das Konzept einer kommunikationsorientierten Erzähltextanalyse.
Die zweite, für das theologische Thema gewichtigere Gruppe (»Zur erinnerungskulturellen Singulärgestalt der deuteronomistischen Tora«) stellt neuere Aufsätze zum Dtn zusammen.
In »›Geschichten‹ und ›Geschichte‹ in der hebräischen Bibel. Zur Toraform von Geschichts-Theologie im kulturwissenschaftlichen Kontext« (2005, 97–121) arbeitet H. heraus, dass es dem alttestamentlichen Geschichtsdenken weder um historische Legitimation noch um Identitätsbildung zu tun ist. Vielmehr halte es die »Kontingenz als Widerfahrnis-Dimension des Unverfügbaren ... lebendig« (119). In der Arbeit zum Schema‘ Jisra’el (2000, 123–149) interpretiert H. das Schema‘ als »Bekenntniszitat« (149), das die »Bundesinstruktion« (Dtn 6,1–26,19) eröffnet und das »Schlüsselmoment in der Inszenierung und Vergegenwärtigung des Horebbundes« darstellt. Es handelt sich um »Tora im Vollzug«. In »Die Weisheit der Tora (Dtn 4,5–8) …« (2003, 155–184) entfaltet H. das Verständnis der Tora als (verschrif­tetes) »mündliches Lehrgeschehen und interaktiven Unter­weisungs­vor­gang« (157). In diesem Geschehen gehe es »nicht nur um Gebotsinhalte als solche«, »sondern mindestens ebenso sehr, wenn nicht sogar primär um die Vermittlungsformen und um die Art und Weise, wie die Tora-Lehre … performativ vollzogen wird« (164 f.). Das durch die »Erinnerungspädagogik« in Gang gesetzte Ereignis des Tora-Lehrens und Lernens ist theologisch entscheidend und konstituiert die Re­spekts- und Loyalitätsbeziehung ohne »irgendeine mythische, metaphysische oder philosophisch-theoretische Begründung« (182).
Aus der mit »Diskurspragmatik in Prophetie und Psalter« überschriebenen Gruppe ist zunächst die Arbeit »Geschwiegen habe ich seit langem … wie eine Gebärende schreie ich jetzt. Zur Komposition und Geschichtstheologie von Jes 42,14–44,23« (1989, 291–313) zu erwähnen: Deuterojesaja sei eine »Schrift zur Vorlesekommunikation«, deren charakteristische Rhetorik »die Hörer argumentativ überzeugen und zur Gotteserkenntnis in ihrer Erfahrungswelt bringen will« (302). Auch hier geht es nicht um »objektivierende Theorie«, sondern um kommunikative Beziehung. In ganz be­sonderer Weise ist die Beziehung zwischen Gott und Mensch in »Denn im Tod ist kein Gedenken an dich ... (Psalm 6,6). Der Tod des Menschen – Gottes Tod?« (1988, 315–335) thematisiert. Der Tod des Menschen ziehe auch den Tod Gottes nach sich, insofern als sich »aufgrund des performativen Charakters von Gebeten … die Gottesbeziehung von Beter und Gemeinde in jedem Gebetsvollzug neu« konstituiert (327). Es gebe für »das Sein und die Wirklichkeit Gottes als deus revelatus keinen anderen Seinsgrund, als daß er in seinem Handeln an den Menschen biblisch bezeugt ist und als solcher je neu erfahren und neu bezeugt wird« (333). Tritt H. hier eine Art »performativen Gottesbeweises« an? – Die letzten drei Aufsätze unter der Überschrift »Systematische Ansätze einer Performativen Theologie der Bibel« bringen manches bereits Gesagte auf den Begriff und ziehen interdisziplinäre Linien aus.
In »Bible Reading AND Critical Thinking« (2004, 355–369) und »New Relations between Systematic Theology and Exegesis and the Perspectives on Practical Theology and Ethics« (2005, 371–381) bekräftigt H. das performative Erinnern als angemessene Form, vom Gott der Bibel zu sprechen (359, vgl. 379). Wieder wendet sich H. gegen die begriffsdogmatische oder ontologische Rede über Gott und begründet dies mit dem Bilderverbot (359 f.) und mit der »Unverfügbarkeit Gottes« nach Ex 3,14 (372 f., vgl. 345). In »Systematische Elemente der Theo-logie in der Hebräischen Bibel. Das Loben Gottes – ein Kristallisationsmoment biblischer Theologie« (1995, 339–354) entfaltet H. den dankenden Lobpreis Gottes der Todapsalmen als Diskursgeschehen zwischen Gott, dem einzelnen Beter und der Gemeinde. In der Toda sagt »sich die Gewißheit der Gläubigen weiter, daß sie im Unbestimmbaren und Unverfügbaren selbst der abgründigsten Lebens- und Erfahrungswirklichkeit geborgen bleiben …« (348). Dieser Diskurs schließt immer auch einen »actus tradendi« ein und ist »dis­kurs­systematisch« viel zentraler, als es eine inhaltssystematische »Mitte« der Schrift je sein könnte (350). An Stelle der von G. von Rad vorgeschlagenen »Nach-Erzählung« sei die Toda »als legitimste Form theologischen Redens« anzusehen.
Insgesamt gelingt es H. eindrucksvoll, seine Arbeiten unter die Perspektive einer performativen, die Einzelnen und die Gemeinde einbeziehende Gottesbeziehung zu stellen. Damit könnte eine Richtung für eine künftige »Theologie des Alten Testaments« gewiesen sein. H.s Vorstellung von der Buchgestalt seines Konzepts – eine biblische Theologie sei »als Literaturgeschichte zu schreiben« (353)– ist allerdings blass und fällt hinter den Ansatz zurück. Weitere Fragen und Einwände wären zu bedenken, so etwa, ob H.s fast ausschließlich am Sprechen und Hören orientiertes Konzept des Performativen noch zeitgemäß ist. Keineswegs nur in der Theaterwissenschaft, sondern auch in der Theologie und punktuell selbst in der alttestamentlichen Wissenschaft gehören zur Performanz bib­lischer Texte imaginative Bildlichkeit und Sinnlichkeit dazu (vgl. etwa Klaas Huizings »Ästhetische [Lese-]Theologie«). Weiterhin: Ist es ratsam, theologische Inhalte und Themen zu Gunsten der Performanz der Beziehung so hintanzusetzen, wie H. dies immer wieder propagiert (aber glücklicherweise nicht durchhält)? Schließlich würde der Rezensent die Brücken zur (begriffs-)dogmatischen Tradition nicht so radikal abbrechen wollen, wie H. dies bisweilen vorschlägt. Kein Geringerer als W. Pannenberg, ein Meister des Be­griffs, hat die Doxologie, den anbetenden Lobpreis, als wesentliches Strukturelement der dogmatischen Aussage über Gott bezeichnet.