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Ausgabe:

April/2007

Spalte:

417-420

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Collins, John J.

Titel/Untertitel:

Introduction to the Hebrew Bible.

Verlag:

Minnea­pol­is: Fortress Press 2004. XXV, 613 S. m. Abb., Ktn. u. CD-ROM. gr.8°. Kart. US$ 49,00. ISBN 0-8006-2991-4.

Rezensent:

Hans-Christoph Schmitt

Das Lehrbuch des renommierten Alttestamentlers der Yale University versteht sich nicht als eine auf die literarhistorischen Fragen beschränkte klassische »Einleitung in das Alte Testament«, sondern will eine »Einführung« in den Gesamtbereich der historisch-kritischen Auslegung des Alten Testaments für Studierende geben, die am Beginn ihres bibelwissenschaftlichen Studiums stehen. Auf wissenschaftliche Auseinandersetzungen wird daher weitgehend verzichtet. Über die neueste Forschungsdiskussion kann sich der Leser aber anhand der den einzelnen Abschnitten des Buches beigegebenen Hinweise auf »further reading« (mit knappen Charakterisierungen der angegebenen Publikationen) informieren, die sich allerdings – wegen des studentischen Adressatenkreises – auf englischsprachige Literatur beschränken.
Neben dem historischen Verständnis thematisiert das Werk gleichzeitig die theologische Bedeutung des Alten Testaments, wobei der Vf. sich vor allem der ethischen Wirkungsgeschichte widmet. Dabei versucht er sowohl dem jüdischen als auch dem christlichen (katholischen und protestantischen) Bibelverständnis gerecht zu werden, was sich besonders in der Einbeziehung der deuterokanonischen, nur griechisch überlieferten Bücher des Al­ten Testaments zeigt (der Titel des Buches »Introduction to the Hebrew Bible« ist insofern irreführend). Für den deutschen Leser ist dieses Lehrbuch insofern von besonderem Interesse, als es deutlich macht, welche Ergebnisse der alttestamentlichen Forschung ein amerikanischer Altmeister der alttestamentlichen Wissenschaft für so elementar hält, dass er sie Studierenden als »Grundwissen« vermittelt.
Das Lehrbuch setzt ein mit einer »Introduction« (1–22: »What are the Hebrew Bible and Old Testament?«), die zum einen über die verschiedenen Kanonformen (und auch Textformen) des »Alten Testaments« informiert und zum andern im Rahmen des Problems »Bibel und Geschichte« die Methoden bibelwissenschaftlicher Forschung vorstellt.
»Part One« (23–179) ist »der Tora« gewidmet, bei deren Behandlung der Vf. zunächst in Kapitel 1 den altorientalischen Kontext thematisiert und in die – den Hintergrund von Gen 1–11 darstellenden – Aussagen der babylonischen Überlieferungen des Enuma elish, von Atrah.asis und von Gilgamesh, der kanaanäischen My­thologie und der ägyptischen Religion einführt. Kapitel 2 behandelt dann die Geschichte der Pentateuchforschung, bei der der Vf. – in Auseinandersetzung mit Erhard Blum – sich für eine modifizierte neuere Urkundenhypothese entscheidet: Zu rechnen sei mit einer »elohistischen« und einer »jahwistischen« Quelle, die nach dem Untergang des Nordreiches 722 v. Chr. bereits vor der deuteronomischen Reform miteinander verbunden wurden (ein Teil der Urgeschichte Gen 2–11* könnte allerdings wegen ihrer Bezüge zur babylonischen Mythologie später zugefügt sein). Die pries­terliche Schicht sei als eine mehrschichtige nachexilische »editorial layer« zu verstehen, die die ersten vier Mosebücher bearbeitete, und zwar bevor das Deuteronomium und kleinere deuteronomistische Zu­sätze zugefügt wurden. In den Kapiteln 3 bis 6 wird dann bei der Urgeschichte, den Patriarchenerzählungen, den Exodusberichten und der Sinaiüberlieferung nur insoweit auf die literarische Schichtung Bezug genommen, als sie für das Verständnis der Texte von unmittelbarer Bedeutung ist. Genauere Darstellungen der »Priestly Theology: Exodus 25–40, Leviticus and Numbers« und der Theologie des Deuteronomium finden sich in den ab­schließenden Pentateuchkapiteln (Kapitel 7–8). Dabei führt der Vf. das Deuteronomium in seinem Grundbestand auf weisheitliche Jerusalemer Schreiberkreise der Zeit Josias zurück, die sich u .a. mit assyrischen Vertragsvorstellungen auseinandersetzen.
Gleichzeitig verteidigt er eingehend die exilisch-nachexilische Datierung von P gegenüber den Einwänden von Yehezkel Kaufmann. Neben den literarischen Fragen behandelt das Lehrbuch jedoch auch die Frage nach der Historizität der Väter- und der Exodusüberlieferung. Dabei nimmt der Vf. an, dass Gen 12 ff. »reflects a form of popular family religion that flourished before the Deuteronomic reform« (90). Etwas positiver äußert er sich bei der Frage nach der Historizität des Exodus: So hält er es für nicht ausgeschlossen, dass »some historical memories underlie the tradition of the exodus« (110). Der Exodus könnte jedoch bestenfalls von einer ziemlich kleinen ehemaligen Nomadengruppe erlebt worden sein, wobei als Hintergrund am ehesten die Situation im Ägypten des 13 .Jh.s in Frage komme (109). Tradiert worden sei die Exodustradition– wie 1Kön 12,28 zeige – vor allem im Nordreich, dessen »charter myth« (110) sie darstelle.
Mit dem »Deuteronomistischen Geschichtswerk« beschäftigt sich »Part Two« (189–279) des Lehrbuches. Der Vf. geht dabei von verschiedenen Editionen dieses Geschichtswerkes aus, deren früheste er im Gefolge von F. M. Cross noch in der Josiazeit im späten 7. Jh. ansetzt. Die Unterschiede, die zwischen den einzelnen Bü­chern des dtr Geschichtswerks bestehen, führt der Vf. auf die jeweils zu Grunde liegenden unterschiedlichen Überlieferungen zurück, die durch die dtr Redaktoren nicht geglättet, sondern vielmehr bewusst bewahrt wurden. Die einzelnen Kapitel dieses Teiles (Kapitel 9–14) sind vor allem diesen vordeuteronomistischen Überlieferungen des Josua-, des Richter-, der beiden Samuel- und der beiden Königsbücher gewidmet. Im Josuakapitel geht ein längerer Abschnitt auf die Historizität der Landnahmeüberlieferungen ein. Unter den von der Forschung entwickelten Theorien der Entstehung Israels entscheidet sich der Vf. für das »model of gradual emergence« (190), wobei er mit der Möglichkeit rechnet, dass die Jahweverehrung auf Teilnehmer am Exodus zurückgehe.
In »Part Three« des Werkes (281–424: »Prophecy«) behandelt der Vf. die Schriftpropheten in chronologischer Reihenfolge und in entsprechenden Zuordnungen: »Amos and Hosea« (Kapitel 15); »Isaiah, Micah, Nahum, and Zephaniah« (Kapitel 16); »The Babylonian Era: Habakkuk, Jeremiah, and Lamentations« (Kapitel 17); »The Exilic Period: Ezekiel and Obadiah« (Kapitel 18); »Postexilic Prophecy: Haggai, Zechariah, Malachi, Joel« (Kapitel 20). Ein besonderes Kapitel (Kapitel 19) ist den »Additions to the Book of Isaiah« (Deuterojesaja, Tritojesaja und sog. Jesajaapokalypse) gewidmet. Abschließend geht der Vf. kurz auf das Zwölfprophetenbuch ein, das er als eine weitgehend chronologisch angeordnete Schriftensammlung versteht, deren Einheit nicht überbetont werden sollte. Dem Kapitel über Amos und Hosea sind knappe Ausführungen zum Phänomen der Prophetie (auch im Alten Orient) vorangestellt. Die Darstellung der einzelnen Propheten rechnet zwar mit späteren Zufügungen zu den Prophetenbüchern, doch geht sie von einem breiten auf den Propheten zurückgehenden Kernbestand aus (so kann sich der Vf. z. B. Jes 9,1–6 als jesajanisch vorstellen).
Unter dem Titel »The Writings« widmet sich »Part Four« (425–605) den restlichen Schriften der Hebräischen Bibel und gleichzeitig den deuterokanonischen Büchern der griechisch-lateinischen Tradition, die eigentlich nicht zu dem mit »Ketubim« (»Schriften«) bezeichneten dritten Kanonteil gehören. Die Kapitel 21 und 22 be­handeln zunächst die späten Geschichtsbücher der Hebräischen Bibel, wobei der Vf. nicht mit einem »Chronistischen Geschichtswerk« rechnet, sondern Esra/Nehemia und die Chronik als selbständige Bücher versteht. In Übernahme der biblischen Tradition nimmt er dabei an, dass Esra (458 v. Chr.) vor Nehemia (445 v. Chr.) in Erscheinung getreten ist. In Kapitel 23 wird in die Psalmen und in das Hohelied eingeführt. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf den Psalmengattungen. Die Kapitel 24 und 25 enthalten eine Darstellung der Weisheitsliteratur der Hebräischen Bibel (einer­seits Proverbien und andererseits die beiden von einer Krise der Weisheit ausgehenden Bücher Hiob und Kohelet). In sehr geschick­ter Weise werden in Kapitel 26 unter der Gattung »Hebrew Short Story« die hebräischen Erzählungen Rut, Jona und Ester mit den deuterokanonischen Erzählungen Tobit und Judit zusammengestellt. Überzeugend einander zugeordnet sind in Kapitel 27 auch das »apokalyptische« Danielbuch und die den historischen Hintergrund des Danielbuches darstellenden Makkabäerbücher. Als letzte alttestamentliche Bücher werden in Kapitel 28 die deuterokanonischen Weisheitsbücher Sirach, Weisheit Salomos und Baruch behandelt. Dabei stellt nach Meinung des Vf.s die Weisheit Salomos wegen ihrer intensiven Rezeption der griechischen Philosophie einen Höhepunkt der alttestamentlichen Literatur dar, der vor allem die christliche Theologie entscheidend beeinflusst hat. Das abschließende Kapitel 29 geht dann noch einmal auf die theologische Bedeutung des Kanons ein und betont in Auseinandersetzung mit Brevard S. Childs, dass die Bibel eine Sammlung von gegensätzlichen Schriften darstellt, die sich vor allem durch eine lebhafte interne Debatte und durch einen sich auch gegen eigene Traditionen richtenden Geist der Selbstkritik auszeichnet (vgl. 603 f.).
Das Werk überzeugt als Lehrbuch durch eine äußerst gelungene Verbindung von biblischer Literarhistorie, altorientalischer Kulturgeschichte und Archäologie mit theologisch-ethischen Ge­genwartsfragen. Zur besseren Benutzbarkeit sind ihm 13 Land­karten zur Geschichte Israels, 20 Abbildungen von archäologischen Zeugnissen und eine Reihe von Übersichtstafeln beigegeben. Außerdem liegt ihm auf einer CD ein Study Guide bei, der einen elektronischen Zugang (mit Suchfunktion) zum Text des Buches, zu seinen Literaturangaben und zu Testfragen zu den einzelnen Buchkapiteln ermöglicht.