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Ausgabe:

April/2007

Spalte:

411-413

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Greenfield, Jonas C., Stone, Michael E., and Esther Eshel

Titel/Untertitel:

The Aramaic Levi Document. Edition, Translation, Commentary.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2004. XIV, 281 S. m. Abb. gr.8° = Studia in Veteris Testamenti Pseudepigrapha, 19. Geb. EUR 109,00. ISBN 978-90-04-13785-1.

Rezensent:

Jan Dochhorn

Das Aramäische Levi-Dokument, das im vorliegenden Band neu ediert, ins Englische übersetzt und kommentiert wird, stellt trotz seines fragmentarischen Erhaltungszustandes eines der wichtigs­ten Zeugnisse der frühjüdischen Literatur dar. Seine Bedeutsamkeit resultiert aus seinem hohen Alter und seiner Wirkungsgeschichte im frühen Judentum: Ausweislich der direkten und der indirekten Bezeugung stammt es aus vorqumranischer Zeit; es wird von Greenfield (†), Stone und Eshel auf das dritte Jh. v. Chr. datiert (19–22). Es gibt nur wenige Produkte der parabiblischen Literatur, die auf frühere Zeit zurückgehen. In den christlichen Kirchen ist es ab dem Mittelalter nicht mehr überliefert worden. Spuren einer Rezeption sind mit zwei Interpolationen im Testament Levis gegeben (in Test Levi 2,3 und Test Levi 18,2), die allein der Codex Athos Koutloumous 39 (= Athos gr. 3108) aus dem 11. Jh. bezeugt, sowie in zwei Zitaten des Ammonas (4. Jh.), von denen die Vf. allerdings nur eines als Zeugen für das Aramäische Levi-Dokument gelten lassen (22–23); daneben ist ein syrisches Fragment aus dem 9. Jh. zu erwähnen (23). Alle anderen Textzeugen sind jüdischer Provenienz; neben sieben – sehr kleinen – Qumran-Fragmenten (vgl. 4) sind vor allem zwei Fragmente aus der Bodleian Library (Oxford) und der Cambridge University Library zu erwähnen, die einmal zusammengehörten und der Kairoer Geniza entstammen; sie sind vor 1000 n. Chr. zu datieren und wurden erstmalig im Jahre 1900 von Pass ediert (vgl. 1–4). Diese beiden Fragmente bilden die Hauptmasse des Textes (vgl. die Fotos, 52–55).
Die im Vergleich zu anderen parabiblischen Erzählungen schmale Bezeugung des Aramäischen Levi-Dokuments, vor allem auch sein Verschwinden in der kirchlichen Überlieferung, darf nicht über den beträchtlichen Einfluss hinwegtäuschen, den es in den ersten Jahrhunderten nach seiner Entstehung ausübte: Dies belegt zunächst einmal die breite Bezeugung in Qumran, die es mit der des 1Hen oder des Gigantenbuchs in Qumran durchaus aufnehmen kann. Daneben diente es, wie man schon länger weiß, dem Testament des Levi (Test Levi), einem der Testamente der 12 Patriarchen (Test XII), als Quellenschrift; die Parallelen werden in der vorliegenden Ausgabe – jeweils unter dem Text – dokumentiert. Laut den Verfassern wird das Aramäische Levi-Dokument auch im Damaskusdokument zitiert (vgl. CD IV,15 und im vorliegenden Buch: 4–5) und lag dem Jubiläenbuch (Lib Jub), das in die erste Hälfte des 2. Jh.s v. Chr. datiert wird, als Quellenschrift vor (19–20). Schließlich bildete es ihnen zufolge das älteste Werk einer Serie von Schriften, die aus den Höhlen von Qumran auf uns gekommen sind und in denen die levitischen Vorfahren Aarons als Priester sowie als Empfänger und Tradenten priesterlicher Überlieferung fungieren (Testament des Qahat = 4Q 542; Visionen des Amram = 4Q 543–548, vielleicht auch 4Q 549), vgl. 29–31.
Mag eine Abhängigkeitsbeziehung des Lib Jub sowie des Test Qahat und der Vis Amram zum Aramäischen Levi-Dokument auch einer tiefergehenden Begründung bedürfen (hier wird sie lediglich behauptet; im Falle der beiden Testamente noch nicht einmal unter Hinweis auf Sekundärliteratur), so zeichnen sich hier doch zweifellos Beziehungen ab, die geistes- und sozialgeschichtlich nicht ohne Bedeutung sind: Das Aramäische Levi-Dokument gehört zu einer Serie von vorqumranischen Schriften, denen es um die Begründung eines voraaronitischen Priestertums zu tun ist, dessen Traditionen über die Linie Amram-Qahat-Levi-Isaak-Abraham auf Noah zurück­gehen; vgl. das Aramäische Levi-Dokument 10,10 = §§ 58–61 (nur in der o. g. Athos-Handschrift erhalten), demzufolge Abraham Traditionen aus einem Noah-Buch übernommen hat (zum Thema s. 35–39).
Hier zeigt sich eine Tendenz, das durch die Sinai-Offenbarung begründete Priestertum auch für die vorhergehende ältere Zeit zu etablieren. Über die Gestalt des Noah soll möglicherweise eine gesamtmenschheitliche Relevanz der Kultinstitutionen Israels angedeutet werden. Außerdem sind so die Themenkreise Priestertum und Sintflut miteinander verbunden; die Epoche der Sintflut ist für das Weltverständnis der Qumrangemeinde und ihrer Vorläufer von großer Bedeutung (vergleichbar derjenigen, die später die Adam-Überlieferung hatte, vgl. hierzu M. E. Stone: The Axis of History at Qumran, in: E. G. Chazon et al. [Hrsg.]: Pseudepigraphic Perspectives. The Apocrypha and Pseudepigrapha in Light of the Dead Sea Scrolls [Studies on the Texts of the Desert of Judah 31], Leiden 1999, 133–149). Es zeigt sich hier auch ein Bestreben, die vorsinaitische Zeit im Sinne der Sinai-Offenbarung zu »kolonisieren«; Ähnliches unternimmt das Jubiläenbuch im Hinblick auf die Ge­bote der Thora für die Zeit von Adam bis zur Promulgation der Thora auf dem Sinai. Das Bemühen um eine Verankerung des Priestertums in vorsinaitischer Zeit dürfte nicht zuletzt auch einen politischen Hintergrund haben: Es zeigt ein Interesse an dieser Institution, das die für die Entstehung der Qumrangemeinde be­deutsamen Streitigkeiten um die Legitimität des Hohepriestertums um so verständlicher macht. Wirkungsgeschichtlich hat das Interesse an einem voraaronitischen Priestertum vor allem auf die Test XII ausgestrahlt, aber auch auf das bei den Verfassern unbeachtet gebliebene Testament Isaaks, in dem sich eine Priesterhalacha erhalten hat (Test Isaak 4,11–54), die an das Aramäische Levi-Dokument 6,1–10,14 = §§ 14–61 gemahnt.
Die hohe Relevanz des Aramäischen Levi-Dokuments für die Erforschung des frühen Judentums ist von vornherein eine Empfehlung für das vorliegende Buch. Die zahlreichen Verweise im Verlauf der vorhergehenden Darstellung deuten darüber hinaus an, dass sich die Lektüre auch dann empfiehlt, wenn man über die rein editionsphilologische Arbeit Hinausgehendes erwartet.
Entscheidend für den hohen Rang dieses Werkes ist freilich die Tatsache, dass es das Bedürfnis nach einer zuverlässigen Präsentation der Texte zufriedenstellend erfüllt. Die schwierigste Aufgabe, die den Autoren gestellt war, ist zweifellos das Arrangement der Fragmente in einer angemessenen Reihenfolge. Hierbei kommen Überlappungen zu Hilfe; doch speziell in den Kapiteln 2–4 bedurfte die Anordnung der Fragmente (qumranisches Material und das in Test Levi 2,3 interpolierte Gebet Levis [nach Athos gr. 3108]) einer ausführlichen Begründung (vgl. 11 ff.). Einige Fragmente bleiben auch weiterhin unplatziert (vgl. 216–234). Ein Anfang und ein Ende der Schrift haben sich nicht erhalten; außerdem bleibt der Text über weite Passagen hinweg, vor allem da, wo die Geniza-Fragmente und der Text aus Athos ausfallen, extrem lückenhaft. Einen Überblick zur Anordnung der Fragmente bieten S. 48–49; wichtig ist auch die Rekonstruktion des Faszikels, dem die Geniza-Fragmente entstammen, auf S. XIV.
Der Überlieferungssituation entsprechend ist die Edition eine diplomatische (vgl. 7–9); eine Rekonstruktion des ursprünglichen Textes wird also nicht angestrebt. Den Haupttext bilden jeweils Leitzeugen; abweichende Lesarten anderer Zeugen werden im Apparat notiert. Überlappungen werden durch Modifikation von Schrifttypen angezeigt. Leitzeugen sind vor allem die Geniza-Fragmente; fallen sie aus, fungieren als solche die Qumranfragmente; erst in dritter Instanz kommen die griechischen und syrischen Textzeugen zum Zuge. Der Verzicht auf eine Rekonstruktion des Urtextes betrifft auch die Sprachgestalt: Als mittelalterliche Textzeugen weisen die Geniza-Fragmente sekundäre Momente auf, die nicht in den Apparat verwiesen werden (vgl. 22–25 zur Sprache des Aramäischen Levi-Dokuments).
Dem Verzicht auf Rekonstruktion entspricht freilich kein Mangel hinsichtlich der Dokumentation des textkritischen Materials: Die Textausgabe (56–109 – zusammen mit der Übersetzung) bietet alles Wünschenswerte: eine Auflistung der aktiven Zeugen, den Text, einen Apparat mit abweichenden Lesungen anderer Editoren, gegebenenfalls synoptisch den Text weiterer Zeugen (so vor allem, wenn aramäische Texte mit denen aus Athos parallel gehen) und schließlich Parallelen aus der indirekten Überlieferung (vor allem aus dem Test Levi), und zwar im Volltext (nicht nur Stellenangaben!). Die Qumranfragmente werden freilich in der Regel, wenn sie nicht abweichen, nur insofern wiedergegeben, als der von ihnen gebotene Text durch Fettdruck des Haupttextes dargestellt wird (der gewöhnlich derjenige aus der Geniza ist, s. o.). Nur gelegentlich werden aramäische Texte synoptisch nebeneinander abgedruckt (so etwa die weisheitliche Rede Levis, 103 ff.). Erwähnenswert bleibt schließlich, dass der Text von den Editoren neu partitioniert wurde: An die Stelle der alten, linear fortlaufenden Zählung tritt nun eine Kapitel- und Verseinteilung, die durch das von den Editoren vorgenommene Rearrangement der Fragmente sowohl möglich als auch erforderlich wurde.
Der Edition ist eine Übersetzung beigegeben und ferner eine Kommentierung, die den editionsphilologischen Problemen breiten Raum gibt und sprachliche gleichermaßen wie inhaltliche Parallelen, etwa aus den Targumim, dokumentiert. Ein Glossar erhöht den Nutzen des Werkes noch einmal beträchtlich. Es bietet das aramäische Vokabular des Aramäischen Levi-Dokuments mit englischen Korrelaten und Belegstellen; das griechische Vokabular wird ohne englische Korrelate dokumentiert. Freilich hätte die philologische Erschließung im Glossar auch tiefergehen können: Warum wird immer nur eine Wortbedeutung geboten? Sprachliche Parallelen aus anderen Werken in aramäischer Sprache werden zwar im Kommentar aufgeführt, hätten hier aber ebenfalls nicht geschadet. Manchmal scheint die gewählte Wortbedeutung erläuterungsbedürftig: Bedeutet ןיד wirklich in erster Linie »law«? Die Grundbedeutung wäre wohl eher »judgement«; der Grieche übersetzt dement­sprechend durchgehend mit κρίσις (3,17; 6,1; 6,2). Im Kom­mentar bin ich in dieser Angelegenheit nicht fündig geworden. Wünschenswert wäre auch eine Angabe der Stammesmodifikation bei den verbalen Lexemen gewesen.
Ohne Zweifel hat man es hier mit einem Buch von herausragender Bedeutung zu tun. Die Anschaffung würde uneingeschränkt Freude bereiten – wäre es nur nicht so hässlich.
Ich habe einen ge­stalterisch ungemein aufdringlichen Plastikeinband vor Augen, der so gar nicht zu einem wissenschaftlichen Werk von Rang passen will. Der Strichcode ist in das Design dankenswerterweise fest integriert. In dem anscheinend unvermeidlichen Werbetext auf der Rückseite, den man bei einem seriös gestalteten Buch mit dem Schmutzumschlag mühelos entfernen könnte, fungiert Jonas C. Greenfield als »Professor of Ancient Semetic Languages«; die vorgebliche Modernität der äußeren Aufmachung und der Rechtschreibfehler fügen sich zu einer Symbiose, die irgendwie passend erscheint. Dem Brill-Verlag kann nur empfohlen werden, zum klassischen Design zu­rückzukehren.