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Ausgabe:

April/2007

Spalte:

409-411

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Czapla, Ralf Georg, u. Ulrike Rembold [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gotteswort und Menschenrede. Die Bibel im Dialog mit Wissenschaften, Küns­ten und Medien. Vorträge der interdisziplinären Ringvorlesung des Tübinger Graduiertenkollegs »Die Bibel – ihre Entstehung und ihre Wirkung« 2003–2004.

Verlag:

Bern-Berlin-Bruxelles- Frankfurt a. M.-New York-Oxford-Wien: Lang 2006. 417 S. m. Abb. 8° = Jahrbuch für Internationale Germanistik. Reihe A, 73. Kart. EUR 75,20. ISBN 3-03910-767-4.

Rezensent:

Wolfgang Erich Müller

Das Tübinger Graduiertenkolleg »Die Bibel – ihre Entstehung und ihre Wirkung« veranstaltete im akademischen Jahr 2003/2004 eine interdisziplinäre Ringvorlesung unter dem Titel »Die Bibel und ihre Wirkung – Einblicke in die Rezeptionsgeschichte«, die, ergänzt durch nicht näher bezeichnete Beiträge der Kollegiaten, jetzt veröffentlicht worden ist. Dabei handelt es sich um insgesamt 16 Aufsätze, die durch ihre jeweilige Themenstellung auf unterschiedliche Weise die Rezeption der Bibel durch Wissenschaften, Künste und Medien zum Ausdruck bringen.
Die beiden Theologen Christian A. Eberhardt und Volker Ra­bens widmen sich dabei der innerbiblischen Rezeption. Eberhardt geht der Frage nach, wie das Opfer Abrahams (Gen 22) im Neuen Testament rezipiert wurde. Er kommt zu dem Ergebnis, »dass in der Rezeptionsgeschichte des Neuen Testaments Gen 22 jedenfalls kein zentraler Referenztext ist. Er wird nur selten herangezogen, um Jesu Mission oder Sterben zu deuten. Röm 8, 31 f. ist die einzige Ausnahme« (41). Rabens legt den Text 2Kor 6,14–7,1 seinen Überlegungen zu Grunde und stellt heraus, dass die Christen in Korinth eine eigene Identität haben, die auf der Erfahrung der Gottesbeziehung basiert, und dass sie deshalb aus engen Partnerschaften mit Heiden herausfinden sollten.
Der Patristiker Mark W. Elliot untersucht die Rezeption von Jes 40–66 durch die Kirchenväter und stellt fest, dass sie diesen Textzusammenhang vor allem soteriologisch, nicht aber christologisch interpretiert haben.
Werner Telsko widmet sich als Kunsthistoriker der Entwicklung der Bibel­illustration im Mittelalter und weist darauf hin, wie in dessen Spätzeit die »neuen graphischen Medien des 16. Jahrhunderts … den traditionellen Formen der Illustration zunehmend das Feld« (103) abtrotzten, was er mit Albrecht Dürers Serien zur Passion und zum Marienleben belegt. Schade, dass dieser Beitrag ohne Bildbeispiele auskommen muss.
Dem Phänomen einer lingua sacra geht der Islamwissenschaftler Matthias Radscheit nach und zeigt, wie sich das Arabische nach der Eroberung des Vorderen Orients durchsetzt. Wichtig zu beachten ist hier, dass die Umgangssprache durch neuarabische Dialekte geprägt ist, während sich die Schriftsprache am klassischen Arabisch orientiert, das als lingua sacra verehrt wird, »deretwegen die Diglossie in der arabischen Welt bis heute Bestand hat« (122). Die Verbindung zum Christentum wird durch Verweise auf die Verwendung des Syrischen als heiliger Sprache gezogen.
Die Gestalt des Königs Salomo wird in der Bibel ambivalent gezeichnet. Er ist weise und friedliebend, aber seine Liebe zu ausländischen Frauen führt zum Götzendienst und zum Zerfall seines Reiches. Bis in die Barockzeit hinein wird Salomo derart rezipiert, wie der klassische Philologe Reinhard Gruhl an Texten von Emanuele Tesauro (1581–1678), Giovanni Battista Mascolo (1583–1656) und Johann Lorenz Schmidlin (1626–1692) herausarbeitet.
Der Mitherausgeber des Bandes, der Literaturwissenschaftler Ralf Georg Czapla, stellt die »Genese und Funktion biblischer Epik im 18. Jahrhundert« (153) an der Paraphrase der Apostelgeschichte des vergessenen Theologen Johann Joachim Gottlob Am-Ende (1704–1777) vor, die dieser 1759 unter dem Titel »Christeis« veröffentlicht hat.
Unter dem zunächst überraschenden Titel »Entgeistlichung der Bibel« (175) geht die Musikwissenschaftlerin Linda Maria Koldau dem Anspruch des Komponisten Anton Rubinstein (1829–1894) nach, mit der sog. geistlichen Oper eine eigene Gattung geschaffen zu haben. Anhand seiner Opern »Moses« und »Christus« belegt sie, dass die Stoffe ihrer religiösen Verankerung entkleidet sind, was sie als Entgeistlichung bezeichnet: »die Bibel wird Grundlage und Rechtfertigung einer Ideologie, die mit der jüdisch-christlichen Offenbarung nichts mehr zu tun hat« (203), da es um die für das 19. Jh. typische Verquickung von Religion und Nation geht. Der Abdruck der Libretti beider Opern hilft sehr, die Argumentation zu verfolgen.
Der Judaist Matthias Morgenstern reflektiert die »hebräische Bibel als Medium der Kulturrevolution« (259). Er zeigt, wie sich die osteuropäische hebräische Literatur in der Wende zum 20. Jh. von der Welt des Talmud verabschiedete und – mit nichtreligiöser Hermeneutik – in der hebräischen Bibel ihre Quelle von Inspiration und Hoffnung sah. Diese Kulturrevolution wird dann bei Amos Oz ironisch aufgehoben.
Der zweite Beitrag von R. G. Czapla weist auf ein weitgehend unbekanntes Thema hin, nämlich auf die Lyrik der beiden führenden Nationalsozialisten Joseph Goebbels und Baldur von Schirach. Er führt aus, wie hier die Bibel usurpiert wird: »Konvergierte Goebbels in dem Bestreben, die Defizite seiner Lebenssituation zu bewältigen, einer zunächst diffusen, schließlich aber mehr und mehr sich konkretisierenden Führergestalt zu, so steht Schirachs Lyrik ganz im Zeichen der Verherrlichung dessen, der innerparteilich bereits seinen Anspruch auf unbedingte Führerschaft durchgesetzt hatte« (325).
Die Theologin Sonja Angelika Strube konstatiert den garstig breiten Graben zwischen wissenschaftlicher Exegese und dem Gebrauch der Bibel als Glaubensbuch. Unter Hinweis auf die Erfahrungen feministischer, befreiungstheologischer und kontextueller Exegese einerseits und des Dekonstruktivismus andererseits ist es heute nicht mehr möglich »historisch-kritische Lesarten zum Bewertungsmaßstab anderer Lektüren zu machen. Statt dessen erscheinen die Exegesen selbst nur noch als einige unter verschiedenen Stimmen innerhalb des Konzepts der Bibellektüren« (339). Damit geht es um ein neues Gespräch zwischen Exegeten und Alltagslektüren der Bibel.
Der Medienwissenschaftler Andreas Mertin arbeitet heraus, wie die Bibel zwar Hintergrund der Popkultur ist, aber von den Rezipienten die Rückbindung an die Bibel nicht mehr vollzogen wird.
In dem medienwissenschaftlichen Beitrag von Werner Schneider-Quin­deau wird das Gleichnis als Form entdeckt, in der sich Bibel und Film begegnen können. Denn sie sind »zwanglose, herrschaftsfreie Sinnbilder, die Gott entgegenkommen wollen, weil sie etwas wissen von der zuvorkommenden Art, in der Gott Menschen begegnet ist« (366) – und sich von dogmatischer Bevormundung freihalten.
Der Theologe Jürgen Werbick reflektiert Schrift und Tradition aus katholischem Blickwinkel in ihrer Bedeutung für den heutigen interkonfessionellen Dialog. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die interkonfessionelle Vielstim­migkeit einen größeren Reichtum vermittelt »als die Fähigkeit eines hierar­chischen Lehramtes, die vielfältigen Zeugnisse an klaren und Eindeutigkeit schaffenden Dimensionen zu messen« (375).
Die Theologin Christiane Helmer arbeitet heraus, dass regionale Theologien inzwischen die theologische Landschaft bestimmen und deshalb der Bibel keine übergeordnete Autorität zukommt. Wenn man sich unter diesen Bedingungen einer theologischen Pluralität um »eine Annäherung an die Bibel [bemüht], dann kann das transdiskursive Potential der biblischen Mitteilungen zu gegenwärtigen transregionalen Gesprächen beitragen« (393), wenn sorgfältig zwischen Allgemeinem und Besonderem unterschieden wird.
Abschließend stellt die Religionspädagogin Julia Lehnen die spielerische Methode des Bibliologs vor, um sich in einen biblischen Text hineinzuversetzen. Hierbei handelt es sich um interaktionale Auslegung des Bibel­textes, der von einer Gruppe als Gegenüber empfunden wird. Als bibeldidak­tisches Beispiel wählt sie das Gleichnis vom barmherzigen Samaritaner (Lk 10, 25–31).

Dieser Band zeichnet also nicht, wie der Titel vermuten lässt, die grundsätzliche Vermittlung des Wortes Gottes in menschlicher Rede nach, sondern zeigt die Rezeption der Bibel aus vielen interessanten Perspektiven.