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Ausgabe:

April/2007

Spalte:

404-406

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

[Mühlsteiger, Johannes]

Titel/Untertitel:

Recht – Bürge der Freiheit. Festschrift für Johannes Mühlsteiger zum 80. Geburtstag. Hrsg. v. K. Breitsching u. W. Rees.

Verlag:

Berlin: Duncker & Humblot 2006. XXIV, 1164 S. m. 1 Porträt. gr.8° = Kanonistische Studien und Texte, 51. Lw. EUR 79,80. ISBN 3-428-12262-3.

Rezensent:

Norbert Janz

Dem Festschriftenwesen kommt in der deutschen Wissenschaft traditionell ein wichtiger Platz zu; selbst gelegentliche Kritiker oder gar Spötter müssen dies anerkennen. Durch die Beiträge wird das wissenschaftliche Œuvre des zu Ehrenden dokumentiert. Darüber hinaus ist die Festschrift eine einzigartige Basis, von der aus eine wissenschaftliche terra incognita betreten werden kann. Dabei muss sich der einzelne Autor – der Vielzahl der Beiträge geschuldet – zu einer straffen Gedankenführung zwingen. Dies wiederum gibt dem geneigten Leser die Möglichkeit, innerhalb kurzer Zeit ganz unterschiedliche Betrachtungen zu goutieren. Erweist sich dann der Jubilar als ein Herausragender seines Fachs, der zudem die Grenzen seiner Profession zielstrebig zu überschreiten weiß, so spiegelt sich dies auch in dem Kreis der Gratulanten wider. Je illus­trer diese Gruppe ist, desto weitgefasster zeigt sich das Themenspektrum einer Festgabe.
Vorliegend haben sich Freunde, Weggefährten und Schüler zusammengefunden, um den gebürtigen Südtiroler Jesuitenpater und emeritierten Professor für Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck Johannes Mühlsteiger zu ehren. Zu den Autoren zählen gleichermaßen Theologen wie Juris­ten. Die umfangreiche Bibliographie zeigt die kirchliche Rechtsgeschichte als den Schwerpunkt von Mühlsteigers Wirkens auf. Der vielschichtige Titel der Festschrift »Recht – Bürge der Freiheit« lässt einiges erwarten.
Festschriften zu rezensieren heißt eine schmerzhafte Auswahl zu treffen: Es ist leider ausgeschlossen, allen literarischen Gratulanten gerecht zu werden und ihre Beiträge im Einzelnen – und sei es nur in wenigen Sätzen – zu würdigen. Daher seien nur einige wenige herausgegriffen.
Die Festschrift gliedert sich in sechs große Abschnitte. Im ersten Teil »Grundlegendes« findet sich zunächst ein Beitrag von Battisti über »Naturrecht und Gerechtigkeit«. Die ideenrechtliche Tradition des Naturrechts wird umrissen. Der Verfasser wendet sich gegen den Rechtspositivismus und bestimmt zutreffend das Naturrecht als Kriterium der Gerechtigkeit. Unerwähnt bleibt in diesem Zusammenhang, dass sich das deutsche Grundgesetz ausdrücklich zu einem überpositiven Naturrecht bekennt, wenn in Art. 20 Abs. 3 GG Verwaltung und Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden sind. Battisti plädiert für eine abgestufte Naturrechtslehre. Ein Recht auf Leben komme nicht nur dem Menschen, sondern in abgestufter Weise auch Tieren und Pflanzen zu. Konkret bedeute dies etwa, dass Essgewohnheiten von Gourmets und das Tragen von Pelzmänteln nicht nur exzentrisch, sondern zudem naturrechtswidrig seien. An dieser Stelle mag man Zweifel hegen, ob der Begriff dadurch nicht überstrapaziert wird.
Der zweite Abschnitt ist betitelt mit »Orientalistik und Neues Testament«. Der dritte Teil der Festschrift umfasst fünf Beiträge zu »Theologiegeschichte, Dogmatik und Moral«. Die kurze Abhandlung von Rotter ist der Krankenseelsorge gewidmet; schließlich hat Mühlsteiger immer auch in der Seelsorge gewirkt. Rotter weist zu­nächst auf die Vielschichtigkeit dieser Tätigkeit hin und mahnt eine entsprechende Ausbildung in der Gesprächsführung an. Die Krankensalbung habe eine besondere Bedeutung, doch ergäben sich in der Praxis für den seelsorglichen Dienst der Kirche auf Grund des Priestermangels und des richtigen Vornahmezeitpunktes große Schwierigkeiten. Die Sorge um den Patienten müsse je­derzeit im Mittelpunkt stehen, schematische Lösungen verböten sich.
Es folgt der Abschnitt »Kirchliche Rechtsgeschichte«. Carlen skizziert klar und verständlich das Kirchenportal im Recht. Der Eingang zu einem Gotteshaus weise rechts- wie gesellschaftsgeschichtlich vielerlei Implikationen auf. Spezielle Normen gebe es nicht mit der Folge, dass die Bestimmungen über die Kirche Geltung beanspruchten. Zu Recht benennt er das Tor als Grenze zwischen profanem und sakralem Herrschaftsbereich. Der kirchliche Immunitätsraum (und: -anspruch!) zeige sich bis heute beim Kirchenasyl. An Kirchenportalen seien besondere kirchliche Handlungen wie etwa die Eheschließung vollzogen worden. Auch die Vornahme öffentlicher Verkündigungen sei oft portalsgebunden. Unerreicht in seiner Wirkung ist bis heute der Thesenanschlag Luthers in Wittenberg. Direkt unterhalb des Portals seien auch Gerichtsverhandlungen abgehalten und Eide geschworen worden. Einer Verurteilung nachfolgend wurden bestimmte Strafen be­wusst vor dem Portal auch exekutiert; dem Kirchenpranger komme hier eine besondere Bedeutung zu. Bildliche Darstellungen symbolisierten anschaulich das rechtliche Geschehen.
Im fünften Kapitel »Kirchenrecht« finden sich 17 Beiträge. Mitherausgeber Breitsching analysiert »Die interimistische Leitung einer Diözese während der Vakanz des bischöflichen Stuhls«. Er betont die unentbehrliche Hirtensorge für das Leben der Teilkirche und spricht sich unter Hinweis auf den göttlichen Ursprung des Bischofsamtes mit Verve für eine rasche einstweilige Leitung aus. Diese komme durch eine Mehrzahl von Rechts wegen eintretender Maßnahmen zu Stande. Liegt eine Vakanz vor, so gehe die Leitung bis zum Amtsantritt des Diözesanadministrators auf den Auxiliarbischof über. Liegt eine bloße Behinderung des bischöflichen Stuhles vor, so stehe die Leitung dem Bischofskoadjutor zu. Neben diesen Leitungsformen könne aber auch vom Papst ein Apostolischer Administrator eingesetzt werden, der dann über eine ordentliche stellvertretende Vollmacht verfüge. Tillmanns stellt in seiner Abhandlung luzide Überlegungen zur Führung der Bezeichnung »katholisch« an. Abgesehen von althergebrachten Ansprüchen sei dafür die Zustimmung der zuständigen Kirchenautorität konstitutiv. Dies geschehe durch einen kirchenamtlichen Zustimmungsakt. Bei schweren Verfehlungen sei auch ein actus contrarius möglich. Der spezielle Namensschutz wird erhellend herausgearbeitet.
Der abschließende sechste Abschnitt mit zehn Beiträgen ist der allgegenwärtigen Thematik »Kirche und Staat – Kirche und Gesellschaft« gewidmet. Loretan stellt sich die Frage, ob theologische Fakultäten eine Zukunft in den staatlichen Universitäten Europas haben – angesichts des Trends zu Eliteuniversitäten und der Bildung von Exzellenzclustern eine mehr als berechtigte Überlegung. Es geht hierbei um nicht weniger als das grundsätzliche Verhältnis von Staat und Kirche. Loretan beschreibt zunächst das vorwiegend in den Vereinigten Staaten und Frankreich praktizierte Trennungsmodell, bei dem es keine gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche gibt und demzufolge theologische Fakultäten an staatlichen Hochschulen per definitionem nicht existieren können. Sodann stellt er das im deutschsprachigen Raum angewandte pluralistische Modell mit dem innewohnenden Doppelcharakter von theologischen Fakultäten vor. Einem neuen Modell der inpersonalen Grundrechtstheorie zufolge müssten theologische Fakultäten ausschließlich in der Kompetenz der öffentlichen Hand stehen. Denn die Wissenschaftsfreiheit führte zu einer Kirchenferne des staatlichen Hochschulrechts. Der notabene auch kollektive Charakter der Religionsfreiheitsgarantie wird aber damit eliminiert; Theologie ist eben keine Naturwissenschaft; bietet der Staat dieses Fach an, muss er den Kirchen eine Teilhabe einräumen. In der Sache völlig überzeugend lehnt Loretan diesen Ansatz dann auch als verfehlt ab.
Fazit: Die Vielfalt der in dieser opulenten Festschrift vereinten Themen veranschaulicht die enorme Bandbreite und den Facettenreichtum der Beziehungen von Staat, Kirche und Recht in Vergangenheit und Gegenwart. Das Buch bietet ein Übermaß an an­spruchsvoller Lektüre und setzt dem Jubilar ein eindrucksvolles Denkmal.