Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2007

Spalte:

402-404

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

[Listl, Joseph]

Titel/Untertitel:

Recht in Kirche und Staat. Joseph Listl zum 75. Geburtstag. Hrsg. v. W. Rees.

Verlag:

Berlin: Duncker & Humblot 2004. XII, 856 S. gr.8° = Kanonistische Studien und Texte, 48. Lw. EUR 74,80. ISBN 3-428-11673-9.

Rezensent:

Hartmut Kreß

Die Festschrift, die dem renommierten katholischen Kirchen- und Staatskirchenrechtler Joseph Listl SJ gewidmet ist, enthält mehr als 40 Beiträge. Ihr Titel leitet ein wenig in die Irre, weil Themen der staatlichen Rechts- und Verfassungsordnung, z. B. die Auslegung von Grundrechten, Probleme der Rechtspolitik oder einzelner Ge­setze, ausgeblendet bleiben und allein das Kirchen- und Staatskirchenrecht im Blickfeld steht. Der Band ist in die drei Abteilungen »Rechtsgeschichte«, »Kirchenrecht« sowie »Staatskirchenrecht« aufgeteilt.
In der dritten Abteilung geht es um überlieferte Themen des Staatskirchenrechts in gegenwartsbezogener Ausrichtung, z. B. um kirchliche Schulen (M. Baldus; C. Breuer), das Verhältnis von staatlicher und kirchlicher Gerichtsbarkeit (M. Germann), katholisch-theologische Fakultäten (J. Hirnsperger), Konkordate (W. Rüfner) oder die Kirchen in der EU (G. Robbers). Die Herausforderungen, die inzwischen durch den religiös-weltanschaulichen Pluralismusschub entstanden sind, und die neue Aufgabe, das Staatskirchenrecht zum umfassenderen Religions- oder Religionsverfassungsrecht fortzuentwickeln, bleiben dabei jedoch im Hintergrund. Eine Ausnahme bildet der Artikel von St. Muckel, der durchdenkt, ob muslimische Dachverbände als Religionsgemeinschaft im Sinn von Art. 7 Abs. 3 Grundgesetz anerkannt werden können (715–742). Religionsgemeinschaften bestehen eigentlich aus natürlichen Personen (739). Für die Anerkennung von Dachverbänden ist relevant, ob ihre Mitgliedsverbände, denen natürliche Personen angehören, in religiöser Hinsicht über ein hohes Maß an Homogenität verfügen, was für muslimische Dachverbände zu verneinen ist. Davon abgesehen wird das Bestreben einzelner muslimischer Gemeinschaften, Religionsgemeinschaft im Rechtssinn zu werden, auf Dauer aber sicherlich erfolgreich verlaufen (741). Beachtung verdient die ab­schließende Überlegung dieses Aufsatzes. Wenn künftig vermehrt religiöse oder weltanschauliche Ge­meinschaften rechtlich anerkannt werden und sie ihren Anspruch auf Erteilung von Religionsunterricht realisieren wollen, wird die Konzeption eines schulischen Religionsunterrichtes, den Konfessionen oder Religionen selbst tragen, auf Grenzen stoßen. Die alltagspraktischen Schwierigkeiten, die sich bei der Erteilung von Religionsunterricht schon jetzt stellen, werden dann »kaum überwindbar sein« (742). Hieraus resultieren Anschlussfragen für eine dem gesellschaftlichen Wandel adäquate Fortentwicklung des Fa­ches Religion, die breiter diskutiert werden sollten.
Es ist sinnvoll, dass sich verschiedene Beiträge der Festschrift mit der Arbeitgeberrolle der Kirchen befassen. Die Aktualität dieses Themas zeigt sich z. B. an der 2006 erhobenen Forderung nach einem Tarifvertrag für Ärzte auch in Kliniken in kirchlicher Trägerschaft oder daran, dass die Arbeitsplatzunsicherheit bei den Kirchen teilweise bedrückend geworden ist. Ein wichtiges Einzelproblem wird von Gregor Thüsing erörtert (811–832). Er geht darauf ein, dass eine ökumenische Trägerschaft sozial-karitativer Einrichtungen aus binnenkirchlichen arbeitsrechtlichen Gründen zurzeit rechtlich nicht ausgelotet ist (814). Zwischen den Loyalitätspflichten, die die katholische und die evangelische Kirche gegenüber ihren Mitarbeitern jeweils einfordern, bestehen erhebliche Unterschiede. Der Übertritt eines Mitarbeiters zur evangelischen Kirche wäre nach katholischem Recht Loyalitätsverletzung und Kündigungsgrund (816). Thüsing weist zu Recht darauf hin, dass es sich der Sache nach geradezu aufdrängt, ein ökumenisches Arbeitsrecht neu zu schaffen. Auf Grund der Gräben, die zwischen dem Protes­tantismus und der katholischen Kirche derzeit immer tiefer werden, ist dies gegenwärtig aber sicherlich unrealistisch. – Relevante Informationen über innere Probleme des katholischen kirchlichen Arbeitsrechts enthält der Aufsatz von Andreas Weiß. So fordert die seit 1993 in der deutschen katholischen Kirche geltende Grundordnung von nichtkatholischen christlichen Mitarbeitern die Achtung vor den »Wahrheiten und Werten des Evangeliums« – eine Formulierung, zu der A. Weiß zu Recht anmerkt, er hätte in einem Rechtstext gern gewusst, was hierunter präzis zu verstehen ist (520). Im Blick auf den von katholischen Institutionen erhobenen Anspruch, Fragen zur persönlichen Lebensführung der Mitarbeiter zu stellen, mahnt er an, die Verhältnismäßigkeit zu wahren (517). Sogar nichtkatholischen Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern einer katholischen Einrichtung ist es z. B. verwehrt, eine eingetragene Lebenspartnerschaft einzugehen, die das staatliche Recht zulässt (523 f.). Dies ruft in Erinnerung, dass der Schutz der Grundrechte in der katholischen Kirche eine Problematik ist, die nach wie vor der Aufarbeitung bedarf.
An der Festschrift lässt sich ablesen, dass die katholische Kirche zurzeit ihre innerkirchliche Gerichtsbarkeit ausbaut. Die Motivation besteht darin, die eigene katholische Regelungskompetenz für das Arbeitsrecht zu behalten (R. Richardi, 751; N. Schöch, 409.418 f. 425 f.; M. Germann, 655). Einer der Problempunkte ist indessen die Entscheidungskompetenz, die ein Diözesanbischof im Rahmen des kirchlichen »Dritten Weges« des Arbeitsrechts in Anspruch nehmen kann (U. Rhode, 325.329 f.337 ff.). Letztlich stellt sich die Frage, ob sich auf Dauer genügend (hoch-)qualifizierte Mitarbeiter finden, die sich den innerkirchlichen Normen beugen wollen, und welches Maß an Grauzonen und Unklarheit sich ausprägt (A. Weiß, 542).
Die Festschrift ist lesenswert, weil sie Leitideen der katholischen Kirche aufzeigt. Hierzu gehört das – dem evangelischen Christentum fernliegende – Bestreben, Inhalte des Glaubens zu juridifizieren (G. Riedl, 341–367: »Die Rechtsverbindlichkeit des Glaubensbekenntnisses«). Darüber hinaus werden innerkatholisch ungelöste Probleme angesprochen. Ein Beispiel: Soll es dabei bleiben, dass ein Katholik, der trotz – oder besser: wegen – innerer Verbundenheit mit dem katholischen Glauben aus der Kirche austritt, sich die Tatstrafe der Exkommunikation zuzieht (G. May, 190)? Wie tief kirchenrechtliche Regelungen in die Lebensgestaltung von Menschen einschneiden, zeigt sich an den Misshelligkeiten bei kirchlichen Ehenichtigkeitsverfahren (G. Assenmacher, 125–135). Berichtet wird auch über den innerkirchlichen rechtlichen Umgang mit Sexualdelikten von Priestern (R. Potz, 271–282). Hierbei fällt u. a. auf, dass inhaltliche Vorschriften sowie Verfahrensregeln nicht veröffentlicht wurden (281). Lesenswert ist der Aufsatz L. Müllers (231–249), der sich ebenso substantiiert wie kritisch mit der kirchlichen Vorgabe auseinandersetzt, dass in katholisch-theologischen Fakultäten Österreichs oder Deutschlands vor allem Priester lehren sollen. Gelegentlich schimmert durch, dass in katholisch-theologischen Fakultäten oder katholischen Universitäten das profane Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit faktisch relativiert wird (J. Michaeler, 213; G. Riedl, 345 f.366 f.; H. Schmitz, 369–391). Es ist nicht auszuschließen, dass dieses Problem auf Dauer in rechts- und hochschulpolitischer Hinsicht kritische Rückfragen an die katholische Theologie hervorrufen wird.
Einige Beiträge legen Wert darauf, dass die katholische Moral­auffassung gegenüber Standards, die in der pluralistischen Gesellschaft und im säkularen Staat etwa zur Ehe-, Sexual- oder Bioethik gelten, Distanz wahrt (M. Baldus, 582, W. Rüfner, 793), ohne dass die katholischen Positionierungen ausführlicher erörtert oder (selbst)kritisch problematisiert würden. In der Wissenschaftspublizistik findet der Rigorismus katholischer Normen inzwischen recht große Aufmerksamkeit. Hierfür bildet nur ein Beispiel, dass »nature« prompt über die Äußerungen aus dem Vatikan berichtete, Forscher zu exkommunizieren, die sich in der humanen embryonalen Stammzellforschung betätigen (Nature published online: 4 July 2006; doi:10.1038/news060703-7).
Durchgängig lesenswert und informationsreich sind die Beiträge im rechtsgeschichtlichen Teil der Festschrift. Exemplarisch sei der Artikel von H. Paarhammer »Der kanonische Pfarrer und die Hebammen« genannt (101–121). Er stellt Normen dar, die seit dem 16. Jh. zur Nottaufe durch Hebammen entwickelt wurden. Noch im ausgehenden 19. Jh. war man unsicher, ob ein missgebildetes neugeborenes Kind tatsächlich »ein Mensch sei«, so dass es fraglich war, ob Hebammen an ihm eine Nottaufe vollziehen sollten (115 f.). Unsicherheiten im Umgang mit dem Lebensbeginn sind also keineswegs erst durch die moderne Biomedizin aufgebrochen, sondern haben die Geistes- und Theologiegeschichte durchgängig begleitet.
Im Fazit: Leitgedanken und Verfahrensregeln des katholischen Kirchenrechts werden in der Festschrift gründlich und kompetent dargestellt, so dass sie für theologische – auch für kontroverstheologische –, kirchenrechtliche sowie rechtspolitische Anschlussdebatten eine Fülle von Material bietet.