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Ausgabe:

Juni/2007

Spalte:

736–738

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Schultze, Andrea

Titel/Untertitel:

»Im Namen Gottes Hütten bauen«. Kirchlicher Landbesitz in Südafrika: die Berliner Mission und die Evangelisch-Lutherische Kirche Südafrikas zwischen 1834 und 2005.

Verlag:

Stuttgart: Steiner 2005. 619 S. m. Abb. gr.8° = Missionsgeschichtliches Archiv, 9. Geb. EUR 49,00. ISBN 3-515-8276-X.

Rezensent:

Erhard Kamphausen

1994 fanden in Südafrika zum ersten Mal in der Geschichte dieses Landes für alle dort lebenden Bevölkerungsgruppen freie Wahlen statt. Das auf rassistischer Diskriminierung von Menschen nach Hautfarbe und ethnischer Zugehörigkeit basierende Unrechts­system der Apartheid kollabierte und eine von der Mehrheit der Bevölkerung gewählte Regierung unter dem Führer der Befreiungsbewegung African National Congress (ANC), Nelson Mandela, übernahm die Macht. Für die Bürger Südafrikas begann ein äußerst schwieriger Prozess der Aufarbeitung der Vergangenheit, der Versöhnung der bislang getrennten »Rassen« und der Wiedergutmachung des von der weißen Herrschaft begangenen Unrechts. Eine besonders verheerende Auswirkung der mit der europäischen Ko­lonisation beginnenden Unterdrückung und Entrechtung der einheimischen Völker war die Destruktion ihrer auf Ackerbau und Viehzucht basierenden Subsistenzwirtschaft. Massiver Landraub und die Ungleichverteilung von Grund und Boden entsprach der rassistischen Struktur der Gesellschaft.
Am Ende der Apartheid hatten Schwarze und damit 80 % der Bevölkerung Zugang zu nur 13% des Landes. Fast der gesamt Grundbesitz lag in den Händen weißer Farmer, großer Konzerne oder der burischen Regierung. Eine Landreform gehörte daher nach 1990 im Kontext der Bemühungen um Wahrheit und Versöhnung und zum Wiederaufbau der Gesellschaft um der friedlichen Entwicklung Südafrikas willen zu den vordringlichsten Aufgaben Nelson Mandelas. Gesetzliche Rahmenbedingungen mussten geschaffen werden, die es ermöglichen sollten, die Folgen der Zwangsumsiedlung und Landenteignung aus der Zeit der Apartheid auszugleichen. Eine zu diesem Zweck eingesetzte Landrechtskommission untersuchte Anträge auf Rück­gabe von Land an die von den Weißen enteigneten Afrikaner. Die Geschädigten erhielten die Möglichkeit, Restitutionsanträge zu stellen, die jeweils von der Kommission geprüft und entschieden wurden.
Die in Südafrika tätigen christlichen Missionen erwarben zeitgleich zur kolonialen Eroberung ebenfalls Land in Südafrika. Dabei profitierten sie von der Bevorzugung weißen Landbesitzes durch die registrierenden Behörden gegenüber traditionellen afrikanischen Formen von Landbesitz. Für die Restitution von Land an die während der Apartheid 1948–1994 zwangsumgesiedelte Bevölkerung stellen die Landrechtsverhältnisse auf ehemaligen Missionsstationen jedoch oft einen Vorteil dar, da der Mitbesitz oder die ge­wohn­heitsrecht­liche Landnutzung durch Dokumente in europäischen Archiven belegbar sind. Angesichts der Verwicklung der Kirchen in das Apart­heidsystem kam es – von Ausnahmen abgesehen – nicht zu einer kritischen Selbstreflexion im missionarischen und kirchlichen Diskurs. Eine breite Diskussion über die historische Rolle der Missionsgesellschaften und die aus ihnen hervorgegangenen Kirchen und ihre Beteiligung an der Landnahme im südlichen Afrikas hat auch zehn Jahre nach der Wende in den meisten Kirchen nicht wirklich be­gonnen. Auch wissenschaftliche Studien über dieses Thema liegen bislang kaum vor. Es ist daher das Verdienst der Afrikanistin und Theologin An­drea Schultze, mit der von ihr 2005 veröffentlichten Studie eine wissenschaftliche Pionierleistung vorgelegt zu haben, die in historische Tiefe dringt und die Hintergründe der Landrechtsfragen aller durch die Berliner Mission ge­gründeten Missionsstationen in Südafrika analysiert, in denen heute vor der Landrechtskommission Anträge auf Rückgabe von Land gestellt wurden. Die Vfn. hat nicht nur in mühsamer Arbeit die kaum bearbeiteten Quellen in zum Teil ungeordneten Archiven erschlossen, sondern hat auch in einer vertiefenden Reflexion ihre hermeneu­tischen Voraussetzungen (»das hermeneutische Trapez«) dargelegt und damit neue und weiterführende me­thodische Grundlagen für die Entwicklung einer verstehenden Missionswissenschaft, die sie Konvivente Historiographie nennt, geschaffen.
Die Studie gliedert sich in drei Teile: In Teil A »Mission und Land« werden die Akteure und Akteurinnen der missionarischen Begegnung beschrieben, die Vfn. vermeidet einen scharfen Dualismus von Opfer und Täter. Auch reduziert sie die Landfrage nicht auf eine scharfe Antithese, weil dies historische Realität unzulässig verengt und die Akteure in eindimensionalen Rollen festschreibt.
Den Mittelpunkt der Arbeit bildet der umfangreiche Hauptteil B: Hier werden die Geschichten aller Stationen der Berliner Missionsgesellschaft rekonstruiert, auf denen Restitutionsanträge ge­stellt wurden: Bethanien, Pniel, Saron, Stendal Königsberg, Botshabelo, Middelfontein, Wallmannsthal, Woyentin, Gertrudsberg und Kreuzberg.
Die Vfn. unternimmt erfolgreich den Versuch, detaillierte his­torische Information zu vermitteln, ohne der Gefahr einer bloßen Aneinanderreihung von Daten und Zitaten zu erliegen. Obwohl sie »mikroskopisch« arbeitet, konzentriert sie sich zugleich auf die Beziehung der Missionare zu anderen Akteuren der Kolonialgesellschaft und auf die ambivalenten Prozesse, die in Einzelereignissen zum Tragen kamen und das komplexe Netz transkultureller Interaktion beleuchten.
Teil C beschäftigt sich mit der Gegenwart, der Landreform und den Restitutionsanträgen und fragt nach der Rolle der Mission und der Perspektive für die Zukunft. Die koloniale Begegnung interpretiert sie aus der Perspektive einer »shared history zwischen deutschen und südafrikanischen Christen und Christinnen der lutherischen Kirchen. Sie mündet in eine ökumenische Gegenwart, die in Form kirchlicher Partnerschaftsarbeit bis heute beide Seiten verbindet und die nicht zuletzt in den gegenwärtigen land claims noch einmal von Anfang an aufgerollt wird« (26).
Die Studie verdient höchstes Lob, da sie auf einem bislang relativ unbearbeiteten Feld neue Perspektiven erschließt und für die Missionshistoriographie weiterführende methodische Wege weist.