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Ausgabe:

Juni/2007

Spalte:

729–731

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Heyden, Ulrich van der, u. Holger Stoecker [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Mission und Macht im Wandel politischer Orientierungen. Europäische Missionsgesellschaften in politischen Spannungsfeldern in Afrika und Asien zwischen 1800 und 1945.

Verlag:

Stuttgart: Steiner 2005. 700 S. gr.8° = Missionsgeschichtliches Archiv, 10. Geb. EUR 90,00. ISBN 3-515-8423-1.

Rezensent:

Klaus Hock

Fast vier Dutzend Beiträge vereint dieser umfangreiche Sammelband, der einen internationalen Kongress zum Thema »Mission und Macht« dokumentiert. Die im März 2003 durchgeführte Konferenz setzte eine bereits in den 1990er Jahren von der Berliner Gesellschaft für Missionsgeschichte organisierte Tagungsreihe fort. In dieser wurden diverse Fragen der Missionsgeschichte verhandelt, allerdings stets in ganz bewusst interdisziplinärer Perspektive: »Die meisten dieser Themenstellungen sind allein durch missionshistorische Methoden nicht oder nicht ausreichend zu klären. Deshalb wurde … der interdisziplinäre Dialog angestrebt, an dem sich neben Missions- und Religionswissenschaftlern auch Asien- und Afrikawissenschaftler, insbesondere Historiker, Ethnologen, Soziologen und Politikwissenschaftler, beteiligten« (13). Darüber hinaus verfolgte die Konferenz jedoch noch andere Ziele. So sollte sie auch »zur Debatte um neue methodische Ansätze für die Arbeit mit missionarischen Quellen« anregen, die »bislang vorrangig von Europäern selbst und hier insbesondere von Vertretern der Theologie bzw. Kirchengeschichte genutzt und ausgewertet wurden« (15). Entsprechend diente die Konferenz zugleich dazu, die Relevanz der aus deutschen Missionsarchiven stammenden Quellen für eine breite Palette nicht nur christentumsgeschichtlicher, sondern auch ethnohistorischer, linguistischer, geographischer, botanischer … Fragestellungen ins Bewusstsein zu rufen und insbesondere auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Asien, Afrika, La­teinamerika und Ozeanien eine Plattform für die anstehenden Debatten zu bieten.
Die Frage nach dem Verhältnis von Mission und Macht verlangt nach differenzierten Antworten. Weder gibt es »die« »typische« Relation zwischen beiden Größen, noch sind die Bezüge von »wertfreier Distanziertheit« geprägt – und entsprechend können sie auch nicht in Kategorien simpler Beziehungsmuster beschrieben werden. Die Komplexität der Problemstellung macht es äußerst schwierig, in eine solche Konferenzthematik eine Struktur einzuziehen, der sich die vielen Einzelbeiträge zuordnen lassen. Die Herausgeber haben sich für folgende Systematik entschieden: In einem ersten Abschnitt sind jene Beiträge versammelt, die nach den herrschenden Diskursen fragen, an denen sich die Akteure – Missionare und Missionsleitungen – orientierten. Der zweite und der – bei weitem umfangreichste – dritte Teil thematisieren die Haltung christlicher Missionare zu kolonialer Unterwerfung und Herrschaft sowie zu einheimischen Herrschaftssystemen und politischen Bewegungen. Im nächsten Abschnitt kommen »Interaktionen zwischen Missionaren und politischer Macht außerhalb Europas« in den Blick, während der letzte Teil Fragen der Beziehung zwischen Mission und politischen Entwicklungen nach dem Ers­ten Weltkrieg anspricht.
Angesichts der Komplexität der Thematik kann diese Besprechung der Publikation im Einzelnen gar nicht gerecht werden, sondern nur in wenigen Schlaglichtern einige ausgewählte Aspekte beleuchten.
Der Bremer Religionswissenschaftler Christoph Auffarth analysiert den im 19.Jh. aufkommenden (Leit-)Begriff »Weltreligion«, indem er jene Prozesse rekonstruiert, in deren Verlauf der Religion im Kontext der Globalisierung neue Bedeutungen zugeschrieben wurden. Dabei unterstreicht er die Notwendigkeit einer »postkolonialen« Ausrichtung religionswissenschaftlicher und missionswissenschaftlicher Forschung, bei der die durch Imperialismus und Kolonialismus bewirkten Veränderungen »bewusster Teil der Reflexion« werden müssen (36).
Die Afrikawissenschaftlerin Katja Füllberg-Stolberg untersucht am Beispiel des Hut Tax War einen Konflikt zwischen Mission und Kolonialverwaltung: Die Kirchenleitung der United Brethren in Christ führte eine – zum Teil erfolgreiche – Klage gegen die Kolonialregierung in Sierra Leone, der sie vorwarf, mit der rigorosen Durchsetzung der Haussteuer die Rebellion ausgelöst zu haben, der dann auch mehrere Missionare zum Opfer fielen.
In einem recht umfangreichen Beitrag beschäftigt sich Andreas Heuser am Beispiel Südafrikas mit der Frage, wie »die Idee der Nationalkirche innerhalb eines politischen Diskurses um Ethnizität« entstand (371), wobei mit Isaiah Shembe die führende Rolle einem Mann zukam, der weder missionskirchlich geschult war noch über moderne Bildung verfügte, der aber durch seine Rolle als Prophet hinreichend über Legitimation und Autorität verfügte, um auf die einschlägigen Debatten einen maßgeblichen Einfluss auszuüben.
Roswith Gerloff korrigiert in ihrem Beitrag – erneut, möchte man hinzufügen – die einseitige Sicht traditioneller Missions- und Kirchengeschichtsschreibung, derzufolge die pfingstkirchlichen Aufbrüche des 20. Jh.s von der Azusa-Street-Erweckung in Los Angeles (1906–1908) und den charismatischen Erneuerungsbewegungen innerhalb der mainline churches ab den 1960er Jahren ihren Ausgang genommen hätten. Die »Entdeckung« des poly-kontex­tuellen Ursprungs pentekostaler Bewegungen eröffnet zugleich eine Vielfalt neuer theologischer Perspektiven – so z. B. unter dem Stichwort der (pneumatologischen) Imagination (vgl. 544 f.).

Von den zehn Beiträgen des letzten Teils thematisieren allein vier die Beziehungen zwischen Mission und Apartheid und fünf die Beziehungen zwischen Mission und Nationalsozialismus. Dabei tritt bei der zuletzt genannten Thematik in mehreren Beiträgen das Spannungsfeld von Liberalismus, Nationalsozialismus und Mission in den Blick. Simple Zuordnungen sind dabei nicht vorzunehmen, wie z. B. der Beitrag von Karla Poewe zeigt: Die liberale Theologie konnte durchaus die Rolle eines Türöffners spielen, der einer radikalen Zurückweisung des »jüdischen Christentums« Einlass gewährte; umgekehrt vermochte – trotz Aufnahme einiger populärer Versatzstücke der Nazi-Ideologie – die Treue zum »wahren« Christentum, zu klassischen humanistischen Idealen oder zu Werten der Romantik eine durchgängige Begeisterung für den Nationalsozialismus durchaus zu verhindern. Damit vertritt Poewe in einzelnen Aspekten ihrer Bewertung Einschätzungen, die sich von den Bewertungen anderer Forscherinnen und Forscher deutlich unterscheiden – so etwa in ihrer scharfsinnigen Interpretation der Rolle Jakob Wilhelm Hauers, dem sie ein ebenso frühes wie führendes Engagement, eine »proaktive Rolle« (655 u. ö.) für den Nationalsozialismus attestiert.
Die Publikation ist eine wahre Fundgrube für alle, die an verschiedenen missionswissenschaftlichen Problemstellungen ar­beiten. Die Breite wie Tiefe, Vielfalt wie Differenziertheit der hier versammelten Beiträge belegt auf beachtenswerte Weise die Bedeutung eines Forschungsfeldes, das inzwischen von vielerlei Dis- ­ziplinen bearbeitet wird. Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, dass der Missionswissenschaft in ihrer angestammten Heimat, den Theologischen Fakultäten, oftmals ein bloß marginalisiertes Schattendasein zugestanden wird. Dass sie nicht für marginale, sondern ganz zentrale Problemstellungen zuständig und kompetent ist, wird auch durch diesen Konferenzband wieder einmal eindrucksvoll in Erinnerung gerufen.