Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2007

Spalte:

679 f

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Kremer, Klaus, u. Klaus Reinhardt [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die Sermones des Nikolaus von Kues. Merkmale und ihre Stellung innerhalb der mittelalterlichen Predigtkultur. Akten des Symposions in Trier vom 21. bis 23. Oktober 2004.

Verlag:

Trier: Paulinus 2005. XLI, 267 S. gr.8° = Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusanus-Gesellschaft, 30. Kart. EUR 46,90. ISBN 3-7902-1591-0.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Der Band enthält die Vorträge des ersten Teils eines Doppelsymposions, das den Predigten des Nikolaus von Kues gewidmet war. (Der zweite Teil des Symposions fand im Oktober 2005 statt.) Ein solches Symposion allein den Predigten des Nikolaus von Kues zu widmen, ist völlig sachgemäß, nehmen diese doch einen wichtigen, aber lange Zeit übersehenen Platz im Werk dieses großen Denkers ein. Das zeigt sich allein schon darin, dass wir von allen 293 überlieferten Predigten Autographe haben. Nicht alle Predigten sind uns erhalten, allein von seiner Legationsreise durch Deutschland 1451/52 sind neben 46 überlieferten Predigten noch mindestens 11 weitere aus Chroniken zu erschließen.
Klaus Kremer, der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der Cusanus-Gesellschaft, gab zunächst eine Einführung in die Gesamtthematik (11–41). Zweifellos geben die Predigten einen »Blick in die innere Werkstatt des Cusanischen Denkens« frei; sie lassen »die innere Entwicklung« seines Denkens über einen Zeitraum von über drei Jahrzehnten erkennen und erläutern vielfach seine philosophisch-theologischen Schriften. Vor allem als Bischof von Brixen hat er zwischen 1452 und 1458 allein 167 Predigten gehalten. Welcher zeitgenössische Bischof hat wohl so oft gepredigt wie er? Und die Themen der Predigten umfassen »die ganze Bandbreite christlicher … Themen«, häufig im Anschluss an ein Bibelzitat oder ein Zitat der Liturgie des entsprechenden Tages.
Marten J. F. M. Hoenen referierte über die Verschränkung von Exegese und Predigten des Nikolaus von Kues (43–69). Er meint, es falle auf, »wie stark die Spannung zwischen Glaube und Wissenschaft in ihnen hervortritt« (44). Weiter sei für ihn Christus das »verbum abbreviatum«. Ausgangspunkt aller Predigten sei letztlich die Botschaft Christi: »Nur das Wort kann das Wort auslegen« (61). Wichtig ist für Nikolaus von Kues, dass ein Philosoph, der sich allein auf seine Vernunft stützt, die Wahrheit nicht erkennen kann (66 f.).
Walter Andreas Euler ging der Frage nach entwicklungsgeschichtlichen Etappen und schwerpunktmäßigen Thesenverschiebungen in den Predigten nach (71–91). Er stellt dabei fest, dass »sich im cusanischen Predigtwerk tatsächlich eine Entwicklung feststellen lässt« – und zwar ein »Weg von einer weitgehend traditionellen Glaubensverkündigung hin zu einem individuellen, philosophisch reflektierten Verständnis des christlichen Glaubens« (90).
Marc-Aeilko Aris referierte »Zur Soziologie der Sermones-Rezipienten« (93–115). Damit sind einmal Nikolaus von Kues selbst, dann die Tegernseer Mönche ebenso gemeint wie die verschiedenen Handschriften. Aris sieht in den Predigten ein Netzwerk. Nikolaus von Kues verweise häufig auf frühere Predigten, »eine bessere Erklärung gibt es jetzt nicht«, sagt er beispielsweise 1456. So sehr er auf den inneren Zusammenhang seiner Predigten bedacht ist, be­rücksichtigt er die unterschiedliche Zusammensetzung seiner Hörer (112 f.), doch die Hörerschaft in Brixen war über Jahre hinweg weithin gleichbleibend. Aber bei den späteren Predigten denkt er auch an Leser seiner Predigten.
Kazuhiko Yamaki widmete sich dem Thema »Buchmetaphorik als apparitio Dei in den Werken des Nikolaus von Kues« (117–144). »Indem Nikolaus … darauf hinweist, dass Christus lehrt, alle Schriften handelten von ihm, bezeichnet er Christus als ein gleichsam lebendiges Buch. … So kommt Chris­tus als einem besonderen Buch eine zweifache Rolle zu: er weist einerseits als Lehrer den Menschen in die richtige Lektüre der von Gott geschriebenen Bücher ein und ist andererseits auch selbst ein Buch, das gelesen werden soll, um Gott als den wahren Verfasser zu erkennen« (129).
Georg Speer sprach über »Die Predigten des Cusanus im Vergleich mit dem Predigtwerk von Meister Eckhart«; 145–169). Er sieht, dass Eckhart nicht nur literarisch, sondern vor allem thematisch Nikolaus von Kues beeinflusst hat. Keiner habe Eckhart im 15. Jh. so gekannt wie Nikolaus von Kues.
Wichtig ist auch der Beitrag von Volker Mertens: »Die Predigt des Nikolaus von Kues im Kontext der volkssprachlichen Kanzelrede« (171–190). Er vergleicht Nikolaus von Kues dabei mit Geiler von Kaysersberg, von dem wir wissen, wie er seine Predigten vorbereitet hat: Er sammelte Exzerpte, gliederte sie, las die Notizen durch und bestieg darauf die Kanzel. »Wieder zu Hause schrieb er auf Lateinisch nieder, was er gerade auf Deutsch gepredigt hatte«. Der Re­ferent ist davon überzeugt, Nikolaus von Kues habe »die gleiche Vor- und Nachbereitungstechnik wie Geiler benutzt« (181 f.). Weiter betont er: »Die Inter­de­pen­denz von Predigt und philosophisch-theologischem Werk ist offen-­ ­sichtlich. Wir können annehmen, daß die Predigt sein Labor war, sie ermöglichte, Gedanken auszuprobieren und zu entwickeln« (190).

Der Band enthält zwei Laudationes (für R. Klibansky und M. de Gandillac jeweils zu ihrem 100. Geburtstag) und einen Nekrolog für G. Santinello. Alle drei Gelehrte haben Wesentliches zur Cusanus-Forschung beigetragen. Das gilt vor allem für Klibansky, der 1928 Assistent der Cusanus-Kommission wurde und die Edition seiner Werke in Angriff nahm. Das verheißungsvoll begonnene Werk wurde durch das erzwungene Exil jäh unterbrochen. Klibansky hat zwar nicht mehr seinen 100. Geburtstag, aber doch noch die Vollendung der Edition erleben können.
Ein Beitrag von K. Kremer, »Der Begriff visio intellectualis in den cusanischen Schriften« (201–231), ist dem Band – neben einigen Gruß- und Dankesworten wie auch Bemerkungen zu zwei Neuerscheinungen – beigefügt. Im Anschluss an den Freund des Nikolaus von Kues, Prior Bernhard von Waging, sieht Kremer das Ziel der Schöpfung in der Erschaffung der intellektualen Natur des Menschen (220 f.). Der Begriff visio intellectualis meine »das für unseren Intellekt im Unterschied zum Verstand (ratio) typische Sehen in dieser unseren Welt, welches das Geistige im Sinnenhaften und vor allem den in allem Sinnen-, Verstandes- und Vernunfthaften zu findenden Grund von allem anzielt« (229).
Der Band enthält für die Erforschung der Predigten des Nikolaus von Kues speziell, für die Erforschung seines philosophisch reflektierten theologischen Denkens allgemein wichtige Beiträge. Sie wurden inzwischen auf dem 2. Teil des Symposions im Oktober 2005 ergänzt, doch lagen diese Referate bei Abfassung dieser Rezension noch nicht gedruckt vor. Es zeigt sich erneut, dass ohne Berücksichtigung seines Predigtwerkes das Denken des Nikolaus von Kues nicht umfassend erforscht werden kann. Die hier vorgelegten Forschungsergebnisse stehen auf hohem Niveau und sind künftig unbedingt zu beachten.