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Ausgabe:

Juni/2007

Spalte:

675 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Ullmann, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Ordo rerum. Die Thomas Müntzer-Studien. Hrsg. v. J. Ullmann.

Verlag:

Berlin: Kontextverlag 2006. 269 S. 8° = Ausgewählte Schriften. Kart. EUR 22,00. ISBN 3-931337-43-X.

Rezensent:

Eike Wolgast

Wolfgang Ullmann (1929–2004), bekannt als Theologe, Bürgerrechtler, Abgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag und im Europaparlament, hat zwischen 1975 und 1989 fünf Aufsätze zur Theologie Müntzers veröffentlicht, die in diesem Band wieder vorgelegt werden. Das Buch ist Bestandteil der »Ausgewählten Schriften« U.s, herausgegeben von der Robert-Havemann-Gesellschaft mit »großzügiger Unterstützung« durch die Rosa Luxemburg-Stiftung, zu der Hans Modrow den Kontakt hergestellt und »sich dort nachdrücklich für die Realisierung dieses Projektes eingesetzt hat« (Vorwort, 20). Mit Ausnahme des stark erweiterten Beitrags über Müntzers Kirchenväterstudien sind die Texte unverändert wiedergegeben, lediglich in den Anmerkungen durch Übersetzung der lateinischen Zitate und Termini sowie Personen- und Sacherläuterungen ergänzt. Dabei ist allerdings des Guten gelegentlich zu viel getan worden.
Zwei Aufsätze sind zuerst in der Zeitschrift »Theologische Versuche« erschienen: »Thomas Müntzers Lehre von Gott und von der Offenbarung Gottes« (1975; im vorliegenden Band: 21–50) und »Ordo rerum. Müntzers Randbemerkungen zu Tertullian als Quelle für das Verständnis seiner Theologie« (1976; 53–84). »Das Geschichtsverständnis Thomas Müntzers« (85–113) wurde 1977 in »Thomas Müntzer – Anfragen an Theologie und Kirche«, hrsg. von Christoph Demke, publiziert, während die Erstveröffentlichung von »Die sprachgeschichtliche Bedeutung von Müntzers Liturgieübersetzungen« (115–171) 1982 an sehr entlegener Stelle erfolgte (Bd. 5 der »Mühlhäuser Beiträge zur Geschichte, Kulturgeschichte, Natur und Umwelt«). Für den ein gewisses Resümee des erreichten Forschungsstandes ziehenden Sammelband »Der Theologe Thomas Müntzer. Untersuchungen zu seiner Entwicklung und Lehre«, hrsg. von Siegfried Bräuer und Helmar Junghans (Berlin-Göttingen 1989), verfasste U. den Beitrag über »Thomas Müntzers Kirchenväterstudien. Der dogmengeschichtliche Inhalt der Auseinandersetzung zwischen Reformation und Humanismus«, der in den vorliegenden Band in beträchtlich erweitertem Umfang, wenn auch ohne prinzipiell neue Aussage, aufgenommen wurde (173–251).
Die Aufsätze, durchgehend von einer spürbaren Sympathie für Müntzer getragen, haben ihren inhaltlichen Mittelpunkt in der Untersuchung der Randglossen Müntzers zu Tertullian mit den daraus abzuleitenden Schlussfolgerungen für seine Theologie sowie in der Bestimmung des Verhältnisses von Reformation und Humanismus unter besonderer Berücksichtigung der Theologie Müntzers als eigenständiger Position. Aus dieser Fokussierung des Forschungsinteresses U.s ergeben sich gewisse Überschneidungen und Wiederholungen. Die Aufsätze haben ihren Dienst in der Forschung im Wesentlichen getan und brauchen daher nicht mehr im Einzelnen gewürdigt zu werden. Der Charme mancher provokanter Aussage und vordergründiger Aktualisierung, wie etwa die Behauptung, Müntzer sei mit seiner Lehre von der Schwertgewalt der Gemeinde »Prophet des demokratischen Zeitalters« geworden (48), hat sich durch den unterdessen gewonnenen Zeitabstand abgenutzt. In dem an eher versteckter Stelle publizierten Aufsatz über Müntzers Liturgieübersetzungen versucht U., die These zu erhärten, dass für die Reformation nicht lediglich die deutsche Bibel Luthers zum »sprachgeschichtlichen Ereignis« geworden ist, sondern daneben zwei andere »epochenmachende Übersetzungsvorgänge«, eben Müntzers Liturgieübersetzungen und Johann Fischarts deutscher »Gargantuel«. Während Müntzers Übersetzung und seine Bibelbenutzung mit philologischer Sorgfalt analysiert werden, bleibt Fischart eher im Hintergrund. In diesem wie in den anderen Aufsätzen zeigt sich U. als Gelehrter von weitem Horizont, dem antike wie mittelalterliche und neuzeitliche Philosophie und Literatur gleichermaßen zu Gebote stehen, der allerdings gelegentlich eher unorthodoxe Referenzautoren wie die sowjetischen Literatur- und Kulturwissenschaftler Bachtin, Batkin und Balaschow bevorzugt, ohne dass sich daraus etwas besonders Erhellendes ergeben würde. »Biografische Notizen« über Müntzer (253–258) sowie ein Quellen- und Literaturverzeichnis (259–269) schließen den Band ab.
Dass von den Aufsätzen U.s neue Impulse für die gegenwärtig stagnierende Müntzerforschung ausgehen, ist eher zu bezweifeln; sie jetzt bequem in einem Band zur Hand zu haben, mag dennoch nützlich sein.