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Ausgabe:

Juni/2007

Spalte:

663–665

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Lane, Anthony N. S.

Titel/Untertitel:

John Calvin: Student of the Church Fathers.

Verlag:

Edinburgh: T & T Clark 1999. XIII, 304 S. gr.8°. Kart. £16,95. ISBN 0-567-08694-1.

Rezensent:

Markus Wriedt

Diese, in etlichen Einzelbeiträgen teilweise veröffentlichte Studie – auf die Erstveröffentlichungsorte verweist in der Regel eine ungezählte Fußnote zu Beginn des Beitrages – stellt in zehn Kapiteln die Frucht von 30 Jahren entsagungsvoller Kärrnerarbeit dar. Anthony N. S. Lane ist im kleinen Kreis der Erforscher der Rezeption altkirchlicher Schriftsteller im Werk der Reformatoren seit langer Zeit eine hochgeachtete Autorität. Nicht nur, vor allem aber zu Calvins Bezug zur theologischen Tradition der frühen Kirche, hat er seit seiner Abschlussarbeit unter Anleitung von T. L. Parker in zahlreichen Detailuntersuchungen eine solide Grundlage für die nun vorgelegte zusammenfassende Darstellung gelegt. Dabei zeugen die teilweise äußerst knapp gehaltenen Verweise und tabellarischen Zusammenstellungen von der immensen Kenntnis des berück­sichtigten Materials und lassen nur ansatzweise erkennen, welche langjährigen Bibliotheksrecherchen und Quellenstudien den vorsichtig formulierten Thesen zu Grunde liegen.
Die elf Thesen des ersten Kapitels (1–13) dienen gleichsam als Einleitung und methodische Rechenschaft, durch welche die nachfolgenden Untersuchungen thematisch und heuristisch zusam­mengehalten werden. Dabei wird L. nicht müde, immer wieder die größtmögliche Sorgfalt zu betonen, mit der zwischen möglicher und tatsächlicher Rezeption zu unterscheiden sowie die daraus resultierenden Schlüsse auf Beeinflussung, Kenntnisnahme und Abgrenzung zu ziehen sind. Nicht allein die offenkundige Paral­lelität von Gedankengang und Terminologie begründet die Be­hauptung von Beeinflussung, sondern ganz wesentlich auch der bibliothekarische Nachweis der Kenntnisnahme einer bestimmten Edition einer altkirchlichen Quelle. Weitergehende Thesen finden sich bei L. zunächst nicht. Er beschränkt sich in großer metho­discher und historischer Bescheidenheit auf den Aufweis von Evidenzen, welche historischer Kritik standzuhalten vermögen. Dass Calvin weder der modernen Erwartung eines vollständig nachzuvollziehenden Quellennachweises noch im Sinne moderner Rezeptionsästhetik der Aussage und Intention der altkirchlichen Autoren nachspürt, sondern diese vielmehr mit seiner polemischen Stellungnahme vermischt, ist nicht unbedingt neu, kann aber an­gesichts immer wie­derkehrender methodischer Mängel in rezeptionsgeschichtlichen Studien zum Vätergebrauch nicht oft genug betont werden.
Das zweite Kapitel (15–66) zeichnet den schwierigen Traditionsexport aus der kirchlichen Antike in die Gegenwart des Reformators von Genf nach. Soweit es die Quellen zulassen, geht L. der äußerst komplexen Frage nach, wie die altkirchlichen Autoritäten über die Jahrhunderte hinweg tradiert wurden. Zwei auch im Zeitalter computergestützter Datenanalysen beeindruckende Zusam­menstellungen der nachweislich in der Institutio christianis religio von 1559 vorhandenen Quellenbezüge (55–61.62–66) geben glei­cher­maßen Auskunft über die solide Erudition von L wie über das breite Wissens Calvins. Dass diese Tabellen im Zuge der weiteren Edition des Œuvres Calvins ergänzt und erweitert werden können, schmälert nicht deren Bedeutung für die gegenwärtige Forschung, deren weitere Richtung L. vorgibt: »Calvin’s use of the fathers was a masterly sixteenth-century attempt to relate Protestantism to historic Christianity: to trace many of its doctrines to the Early Church and to show how Roman error had arisen.« (54) Dass der methodische Ansatz Calvins von einem fixierten Bestand dogmatisch gefasster theologischer Wahrheit ausgeht und dieses der modernen dogmengeschichtlichen Fragestellung unangemessen ist, versteht sich dabei für L. von selbst.
In der dritten Studie weist L. zunächst die Kenntnis von Pseudo-Clemens, Irenäus, Athanasius sowie der drei Kappadozier nach. Dabei zeigt er auf, dass Calvin in der ersten Ausgabe der Institutio noch eine recht oberflächliche Kentnis hat und kaum auf zeitgenössische Editionen des griechischen Vätererbes zurückgreift und diese Kenntnis seit seiner Rückkehr nach Genf intensiv erweitert.
Man mag darüber streiten, ob Bernhard von Clairvaux zu den ›Kirchenvätern‹ zu zählen ist. Ohne Zweifel ist er aber eine der zentralen, nicht-scholastischen Autoritäten des Mittelalters und hat für Calvin hohe Autorität. Ausgehend von einer Forschungskontroverse zwischen Parker und Reuter über die Bedeutung Bernhards für die Entwicklung des jungen Calvin und die Frage nach einer möglichen Vermittlung durch die Zeit am College Montaigu und die devotio moderna hebt L. in zwei Kapiteln (87–150) die Notwendigkeit substantieller Quellennachweise hervor und stellt diese zunächst auf 13 Seiten (101–114) tabellarisch und im Wortlaut vor. Eine zweite Tabelle (144–150) erweitert diese Zusammenstellung um Hinweise auf Bernhard-Zitate in der letzten Ausgabe der Institutio von 1559. Erneut kommt das methodische Credo L.s zum Tragen, dass nur dort, wo bibliothekarische Evidenz zweifelsfrei besteht, von einer tatsächlichen Einflussnahme ausgegangen werden kann. Freilich wird die mögliche Initiation der Bernhard-Lektüre durch eine frühe Vermittlung von dritter Hand nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Auf eine solche Vermittlung hebt L. in einer weiteren Studie ab, die auf Calvins Kenntnis der Catena in Genesim ex authoribus ecclesiasticis des Bischofs Alois Lippoman († 1559) aus dem Jahre 1546 eingeht. 32 parallele Formulierungen reichen L. freilich nicht aus, den Einfluss und die Kenntnis des Originalwerkes zu behaupten. Er spricht weiterhin von der Möglichkeit einer Kenntnis des Florilegienwerkes von Lippoman.
Die Vermittlung des altkirchlichen Erbes steht erneut im Zentrum der letzten Studie des Bandes (205–238), die sich mit den Quellen der Genesis-Vorlesung Calvins beschäftigt. Dabei kann L. einerseits eine immense Kenntnis der Väter nachweisen, gleichwohl reduziert sich aber die Zahl aktuell zur Vorbereitung des Kommentars herangezogener Werke erheblich. So wird sichtbar, wie Calvin arbeitete und in welcher Weise er auf frühere Lektüre zurückgriff.
Die Arbeit an der Edition zu der Auseinandersetzung mit Albert Pighius über den freien Willen regte in den Jahren 1997/1998 zwei weitere exemplarische Studien zu Calvins Verwendung der Väter an (151–189). Neben einer konzisen Zusammenstellung der verwendeten altkirchlichen Autoritäten (176–178) vermag L. auch die bereits von Pidoux behauptete These zu stützen, dass Calvin mit großer Kontinuität auf die Position des romtreuen Humanisten reagierte.
Der Band schließt mit einer hilfreichen Bibliographie zum Thema (1800 bis 1999) sowie einigen Registern, welche das detaillierte Wissen in den einzelnen Beiträgen zu erschließen helfen.
L.s Buch, das ob der großen Detailfreude und Genauigkeit einige Wiederholungen und methodologische Redundanzen aufweist, reiht sich zweifelsfrei in die Reihe wichtiger Studien zur Kirchenväterrezeption von Fraenkel über Steinmetz bis hin zu Backus und anderen ein. Dass dabei immer noch erheblicher Bedarf an methodischer Einigkeit und weiterhin intensiver Quellenrecherche be­steht, schmälert das Verdienst dieses Bandes in keiner Weise, dem man nur wünschen kann, er möge nicht nur von den Fachgelehrten auf Grund des ausgebreiteten Detailwissens wie eine Mine ausgebeutet werden, sondern als Beispiel solider Quellenarbeit auch in der Ausbildung seinen Platz finden.