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Ausgabe:

Juni/2007

Spalte:

661–663

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Kärkkäinen, Pekka

Titel/Untertitel:

Luthers trinitarische Theologie des Heiligen Geistes.

Verlag:

Mainz: von Zabern 2005. VIII, 208 S. gr.8° = Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz, 208. Lw. EUR 34,80. ISBN 3-8053-3525-3.

Rezensent:

Jens Wolff

Der kurze Text wurde 1994 begonnen und im Herbst 2003 an der Theologischen Fakultät der Universität Helsinki als Dissertation eingereicht. Eine leserfreundliche Zusammenfassung rundet das Werk ab und benennt das Ergebnis mit diesen Worten: »Im allgemeinen erscheint Luthers trinitarische Lehre vom Heiligen Geist stets so, daß sie in der vorausgehenden Tradition der Trinitäts­theologie stark verwurzelt ist, aber in seiner neuen reformatorischen Theologie ganz eigentümliche und frische Früchte bringt« (197).
Der Vf. bearbeitet vier Themenfelder: erstens den Heiligen Geist in der Geschichte der trinitarischen Theologie vor Luther, d. h. die Konzeptionen von Augustin, Gregor dem Großen, Anselm von Canterbury, der Schule von St. Viktor, Bernhard von Clairvaux, Peter Abaelard, Johannes Duns Scotus, Wilhelm von Ockham und Gabriel Biel (17–45). Zweitens thematisiert er Luthers frühe Randbemerkungen zu Petrus Lombardus (47–61). Hier zeigt sich Luthers Vertrautheit mit den Mitteln der semantischen Analyse der Ockhamisten. Innerhalb der Appropriationslehre übt er Zurückhaltung gegenüber ontologischen Distinktionen, die über die innertrinitarische Grundunterscheidung von einem göttlichen Wesen und drei Personen hinausgehen. Der Heilige Geist wird als Gottes Liebe ad extra bestimmt. Drittens behandelt der Vf. »Trinitarische Theologie des Heiligen Geistes bei Luther von 1513 bis 1520« (63–112) und konstatiert, dass Luthers Beschäftigung mit traditionellen Fragen der immanenten Trinitätslehre seit den Dictata über die Römer- und Galater- bis hin zur Hebräerbriefvorlesung mehr und mehr in den Hintergrund tritt. Die Anwesenheit des Heiligen Geistes be­wirkt Heil bei Glaubenden. Dieses Geistkonzept verdankt sich vor allem Luthers Lektüre von Augustins »De spiritu et littera«. Überdies finden sich Spuren von Augustins psychologischer Trinitätslehre und der Bestimmung des Heiligen Geistes durch geschöpfliche Analogien in den Dictata (sie werden nach WA 3 und 4 und nur ausnahmsweise nach der maßgeblichen Edition in WA 55 zitiert): Die Welt wird für Glaubende zur imago trinitatis. Die Transzendentalien Seiendes, Wahres und Gutes sind vestigia trinitatis in den Geschöpfen (87). Der vierte Teil, der das Hauptgewicht der Untersuchung ausmacht, führt das Thema der pneumatologischen Trinität von 1520 bis 1546 weiter (113–193). Selbst in dieser Phase lassen sich Spuren ontologischen Denkens bei Luther finden, beispielsweise dann, wenn dem Heiligen Geist als Lebendigmacher das göttliche Attribut der Allgegegenwart zugesprochen wird. In den Antinomerdisputationen bestimmt Luther den Heiligen Geist als Gott und Gabe (134–141).
Obwohl die Gliederung der Arbeit chronologisch einen umfassenden Anspruch erkennen lässt, gehört es einleitend zur Grundsatzentscheidung des Vf.s, Luthers trinitarische Pneumatologie weder historisch-genetisch noch systematisch in ihrem Gesamt analysieren zu wollen. Die Fragestellung lautet, Luthers Pneumatologie unter dem Aspekt ihres direkten Bezugs auf die Trinitätslehre darzustellen (3). Es gelingt dem Vf., ertragreiche Untersuchungsfelder abzustecken. Mit dieser Begrenzung verbleibt immer noch eine sehr heterogene Menge an Quellen zur Durcharbeit. Naheliegenderweise bearbeitet der Vf. alle Pfingstpredigten Lu­thers, die das Sprachwunder als Wirken des Heiligen Geistes vor Augen stellen (180). Er stößt auch auf Luthers späte Disputationen, Trinitatispredigten, die »Drei Symbola oder Bekenntnis des Glaubens Jesu Christi«, »Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis« und die späte Genesisvorlesung. Er ergänzt nach eigener Einschätzung da­mit Forschungsleistungen zur Pneumatologie, verweisend auf Rudolf Otto, Erich Seeberg, Kurt Dietrich Schmidt, Walther von Loewenich, Gerhard Heintze, Gerhard Ebeling und Eilert Herms. Die finnische Forschung hingegen habe stets den pneumatologischen Aspekt von Luthers Theologie wahrgenommen, wie Beiträge von Tuomo Mannermaa, Simo Peura, Antti Raunio und Tuija Mannström zeigen (14 f.). Dass dieses Urteil regional differenziert werden kann, legen die Hinweise des Vf.s auf drei Monographien zu Lu­thers Trinitätstheologie nahe, die nicht der neueren finnischen Schule entstammen (Regin Prenter, Reiner Jansen und Christine Helmer).
Anders als in der Vorgänger-Arbeit von Helmer (1999) findet sich keine Reflexion auf die Frage, ob die Trinitätslehre wirklich der Schlüssel von Luthers Denken ist (vgl. meine Rezension im LuJ 69 [2002], 146–148). Ohnehin kann man fragen, ob die Arbeit, die sich dogmatisch am Locus »De trinitate« orientiert, Luther nicht zu sehr zum Vorläufer neuzeitlicher trinitätstheologischer Theoriebildung stilisiert. Bedeutende Lutherforscher haben die Trinitätslehre an das Ende christlicher Dogmatik gestellt. Die pneumatologisch rekonstruierte Trinität des Vf.s dürfte gleichwohl die Aufmerksamkeit der Systematischen Theologie der Gegenwart auf sich ziehen, wenn Religionstheorie bei der ontologischen Vermittlung zwischen Göttlichem und Menschlichem an idealistisches Denken anknüpfend den Geistbegriff oder den des Selbstbewusstseins entfaltet und begründet, dass »Heiliger Geist« nur verstanden werden kann, wenn man weiß, was Geist an sich ist.
Ausgesprochen sympathisch erscheint die Qualifikationsschrift an solchen Stellen, wo sich die üblichen Schulfronten zwischen deutscher und finnischer Lutherforschung durch sorgfältige Textarbeit auflösen (z. B. herausragend a. a. O., 141–145). Es überrascht jedoch, dass ausgerechnet Risto Saarinens sorgfältig argumentierende, antineukantianische Arbeit über »Gottes Wirken auf uns. Die transzendentale Deutung des Gegenwart-Christi-Motivs in der Lutherforschung« (1989) zuletzt durch Etablierung eines neukantianisch anmutenden Wirkbegriffs modifiziert wird und der Vf. sich unmerklich in den Geist des älteren Neukantianismus einschreibt (189–193). Sonst besteht bei ihm deutlich die gegenläufige Tendenz, Luthers Dreieinigkeitsvorstellung als trinitarische Ontologie zu lesen (172 f.). Dies deutet m. E. auf eine Unklarheit im Umgang mit transzendentaler bzw. metaphysisch-ontologischer Terminologie. Luther war, wie alle wissen, weder Kantianer noch realontischer Thomist. Insgesamt bietet die Qualifikationsarbeit eine ebenso geist- wie ertragreiche dogmatische Perspektive auf Luthers Theologie.