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Ausgabe:

Juni/2007

Spalte:

657–659

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Riebe, Alexandra

Titel/Untertitel:

Rom in Gemeinschaft mit Konstantinopel. Patriarch Johannes XI. Bekkos als Verteidiger der Kirchenunion von Lyon (1274).

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz 2005. 352 S. gr.8° = Mainzer Veröffentlichungen zur Byzantinistik, 8. Geb. EUR 78,00. ISBN 3-447-05177-9.

Rezensent:

Peter Gemeinhardt

Am Anfang des 13. Jh.s stand die Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer, an dessen Ende die in Lyon geschlossene Union zwischen Ost- und Westkirche. Allein diese geschichtliche Konstellation belastete die Möglichkeit ihrer Rezeption im Osten; dass die Anerkennung des Jurisdiktions- und Lehrprimats des Papstes damit verbunden war, machte ihre Implementierung praktisch unmöglich, und mit der 1281 erfolgten Exkommunikation von Kaiser Michael VIII. Palaiologos durch Papst Martin IV. war sie offiziell beendet. Mit dem Scheitern der Union war auch das Schicksal von Patriarch Johannes Bekkos besiegelt, dem ihre Durchsetzung in Konstantinopel anvertraut war. War er ein idealistischer Kämpfer für eine verlorene Sache, oder hatte er ernsthafte theologische Gründe, die Union zu verteidigen? Diesen Fragen widmet sich Alexandra Riebe in ihrer Tübinger Dissertation.
Obwohl Johannes Bekkos die zentrale Gestalt der Rezeptionsgeschichte der Union in Konstantinopel war, existierten bislang zu ihm kaum eigenständige Studien; und wenn, dann fand er vor allem als »Märtyrer des römischen Katholizismus« oder als »Verräter der Orthodoxie und irrender ›Latinophron‹« Beachtung (33). R. möchte dagegen unbelastet von konfessionellen Vorurteilen Bekkos’ theologisches Profil und seine Stellung innerhalb der byzantinischen Kontroversliteratur herausarbeiten; und das gelingt ihr überzeugend. Im Blick auf Bekkos’ Verständnis von »Kirchenunion« kommen seine Bearbeitung der Filioque-Problematik und, damit verbunden, seine Väterhermeneutik in den Blick (Teil B, 101–215). Darüber hinaus wird der Protagonist in der byzantinischen Theologie des Hochmittelalters verortet (Teil C.I, 217–275) und auf mögliche Einflüsse westlicher Theologie befragt (Teil C.II, 276–307). Vorgeschaltet sind eine forschungsgeschichtliche Einleitung (23–43) und eine Skizze der Lyoner Unionsbeschlüsse und der Auseinandersetzungen in Konstantinopel (Teil A, 45–100); am Ende steht eine knappe Auswertung (311–317). Ein Anhang bietet vergleichende Tabellen zu den von Bekkos und seinen Zeitgenossen herangezogenen patristischen Quellen, eine englische Zusammenfassung sowie hilfreiche Register. Gerade in der sorgfältigen Analyse möglicher Abhängigkeiten in der Zitation liegt die Grundlage für die These, dass Bekkos eine originelle, vom Mainstream »photianischer« Kontroverstheologie abweichende, gleichwohl in der griechischen patristischen Tradition verwurzelte Interpretation der Trinitätslehre bietet – wobei Bekkos selbst nur über ein schemenhaftes Bild der westlichen Theologie verfügte, die er allenfalls aus den Schriften Hugo Eterianos kannte (295–305).
Plastisch werden dagegen Gestalt und Theologie des Johannes Bekkos selbst herausgearbeitet. 1273 wurde er als Gegner der kaiserlichen Unionsbemühungen eingekerkert. Im Gefängnis setzte er sich mit dem Hervorgang des Geistes anhand der Werke seines älteren Zeitgenossen Nikephoros Blemmydes († um 1272) auseinander und wandelte sich zum Unionsbefürworter (107 f.). Er dachte konsequent zu Ende, was bei seinem Gewährsmann angedeutet war (234), und empfing darüber hinaus wichtige Impulse dafür von Niketas von Maroneia († 1145; vgl. 237 f.). Die dadurch errungenen Einsichten gab er auch unter äußerem Druck nach seiner Absetzung (1283) und angesichts scharfer Kritik durch seinen Nachfolger Gregorios Kypros nicht auf (248–269). Gerade an dieser Debatte zwischen zwei Theologen, die gegenüber der photianischen Tradition (dazu knapp 156–161) ihre Freiheit bewahrten, wird deutlich, dass dem westlichen Filioque nicht einfach mit dem pauschalen Verweis auf die Vätertradition zu begegnen war, sondern dass diese gemäß der aktuellen Problemlage neu zu sichten war.
Bekkos gelangte dabei zu der Feststellung, dass das Filioque »orthodox« interpretiert werden könne. Für ihn stellte die Alleinursächlichkeit des Vaters keinen Widerspruch zur Beteiligung des Sohnes am Hervorgang des Geistes dar, und zwar nicht nur heilsökonomisch, sondern auch innertrinitarisch (186 f.). Dass der Geist δι᾿ υἱοῦ hervorgeht, impliziert eine naturhafte (φυσικῶς) Mittlerschaft des Sohnes; der Sohn ist Hervorbringer (προβολεύς), aber nicht Ursache (αἴτιος) des Geistes (265 f.). Diese These findet Bekkos bereits bei den Vätern bestätigt, die gemeinsam mit der Heiligen Schrift das Kriterium der Traditionstreue der geschlossenen Union darstellen – ohne dass man sich auf terminologische Fragen fixieren dürfte, »weil unser Glaube nicht durch Begriffe, sondern durch den dahinterstehenden Gedanken definiert wird« (zit. 136). Wie die Väter, so muss die gegenwärtige Theologie »mit der ἔννοια des Evangeliums« übereinstimmen (ebd.); und darum darf kein Orthodoxer die Präpositionen ἐκ und διά (171 f.) oder die Verben ἐκπορεύεσθαι einerseits, προέρ-χεσθαι und προϊέναι andererseits gegeneinander ausspielen (163 u.ö.). Da die Väter betonen, dass der Geist durch den Sohn hervorgehe, geht er auch aus ihm hervor, doch bleibt der Sohn selbst »verursacht« (αἰτιατόν, 167 f.) und tritt daher nicht zum Vater als alles bewirkender Grundursache in Konkurrenz (165) – was das Filioque für viele zu implizieren schien (trotz der Beteuerung des Lugdunense, der Geist gehe von Vater und Sohn »tanquam ex uno principio« hervor; zit. 48). Bekkos rechtfertigt also keineswegs die Wendung im lateinischen Nizäno-Konstantinopolitanum »qui ex Patre Filioque procedit« und ist in der Tat von deren Begründung auch weit entfernt, wenn er den wesenhaften Hervorgang des Geistes durch den bzw. aus dem Sohn ( οὐσιώδης) gegenüber einer (bloß) relationalen Zuordnung (σχετικός) betont (177 f.) – hierin liegt ja gerade die Pointe der lateinischen Tradition von Augustin über Anselm von Canterbury bis zu Bekkos’ Zeitgenossen Thomas von Aquin! Demgegenüber ist die Hypothese einer »essentiellen Mittlerschaft des Sohnes« Bekkos’ Hauptargument für die Vertretbarkeit des Hervorgangs des Geis­tes aus dem Sohn (195), wodurch das photianische Axiom entkräftet wird, innerhalb der Trinität könnten nicht zwei Personen eine Eigenschaft besitzen, die der dritten nicht zukommt (vgl. 168 u. ö.). Somit erfolgt die Interpretation des Filioque in bonam partem in den Spuren der griechischen Patristik (196); in dieser kreativen Rekonstruktion der eigenen Tradition besteht also »die originelle Leistung des Bekkos« (309).
Inwieweit steht also »Rom in Gemeinschaft mit Konstantinopel«? Bekkos konstatiert vielfach, dass Rom nicht häretisch lehrt, und »bescheinigt den Päpsten, dass die römische Kirche in ihrer Praxis zwar von Konstantinopel verschiedene, doch traditionelle und akzeptable Bräuche besitzt; die Aufnahme in die kirchliche Gemeinschaft erfolgt für Bekkos von Ost nach West« (312). »Kirchenunion« bedeutet für ihn »die Versöhnung der verschieden Bleibenden« (314); den päpstlichen Primat akzeptiert er in den Bahnen der patristischen Tradition (d. h. als Ehrenvorrang) und spricht nur dort von »Gehorsam« gegenüber Rom, wo er sich brieflich an den Papst selbst wendet, nicht aber gegenüber seinem eigenen Klerus (200–208). Notwendig und hinreichend für die Kirchenunion ist allein die Übereinstimmung im rechten Glauben. Daher verteidigt Bekkos strenggenommen »gar keine Kirchen union« (als »Vereinigung zweier Kirchen zu einer einzigen, womöglich gar unter dem römischen Papst«), sondern lediglich »die innere Annahme der Kirche des alten Rom durch die Kirche des neuen Rom in eine erneuerte Abendmahlsgemeinschaft, die sich liturgisch in der Erwähnung des Papstes in den Diptychen manifestiert« (316). Bekkos erscheint so als Vertreter einer »Kirchengemeinschaft« im heutigen ökumenischen Verständnis (317). R. ist auch sicher Recht zu geben, dass Bekkos »kein Latinophron, kein Katholik in Konstantinopel« ist (ebd.). Aber war er wirklich ein Vertreter von Leuenberg ante litteram? Basiert seine romfreundliche Haltung nicht vielmehr auf einer starken, eben gerade »orthodoxen«, traditionsgestützten Einheitskonzeption?
In jedem Fall – das zeigt R. eindrücklich – hatte er gute theologische Gründe, die photianische Kontroverstradition nicht als einzige vertretbare Strategie der Auseinandersetzung mit dem Westen gelten zu lassen; und diesem Ergebnis ist eine Rezeption in der orthodoxen Theologie sehr zu wünschen. Aber auch die »westliche« Theologie dürfte die Erschließung einer faszinierenden Gestalt und ihres gerade nicht »unorthodoxen« theologischen Profils würdigen, wodurch zugleich neues Licht auf eine Zeit fällt, die dogmengeschichtlich immer noch als Periode gedanklicher Erstarrung und bloßer Reproduktion der Väterzeugnisse gilt. Bekkos und seine Zeitgenossen lassen deutlich erkennen, dass das Gegenteil der Fall ist.