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Ausgabe:

Juni/2007

Spalte:

642–644

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Broccardo, Carlo

Titel/Untertitel:

La fede emarginata. Analisi narrativa di Luca 4–9.

Verlag:

Assisi: Cittadella Editrice 2006. 358 S. 8° = Studi e ricerche. Kart. EUR 18,00. ISBN 88-308-0829-6.

Rezensent:

Hans-Georg Gradl

Die Studie veranschaulicht die nutzbringende Anwendung einer narrativen Textanalyse innerhalb der exegetischen Wissenschaft. Der Vf. behandelt in seiner am Päpstlichen Bibelinstitut in Rom verteidigten Dissertation eine relevante und – vom status quaestionis her – keineswegs redundante (10–13) Fragestellung: Es geht um die Zeichnung des Glaubens im Lukasevangelium. Bemerkenswert sachverständig erscheint bereits die Auswahl der einzelnen Perikopen (Lk 5,17–26; 7,1–10; 7,36–50; 8,40–56), die auf den ersten Blick nicht als die gängigsten Belegstellen zum Thema Glaube im Lukasevangelium gelten dürfen. Umso spannender stellt sich das Vorhaben dar, die in den Texten auftretenden Personen auf das Wesen und die Funktion ihres Glaubens hin zu befragen (21). Wohltuend kurz bleibt die Darstellung der methodischen Grundlagen, die prägnant und dennoch – für eine Einführung – hilfreich an den Anfang gesetzt ist (16–21). Entsprechend ausführlicher gestaltet sich die Analyse selbst (27–303). Jeder Text wird als Teil einer narrativen Strategie verstanden und auf die erzählten Handlungssequenzen und Handlungsträger hin untersucht (18). Das einheit­liche Vorgehen und die Bündelung der Erträge durch gleich lautende Überschriften (75–86.143–158.219–231.294–303) verleiht der Arbeit Übersichtlichkeit. An Benutzerfreundlichkeit gewinnt die Studie durch ein detailliertes Abkürzungsverzeichnis (23–26), ein Glossar zu den wesentlichen methodischen Fachbegriffen (321–324), einen Autorenindex (341–345) und ein umfangreiches Bibelstellenregister (347–354).
Die eigentliche Untersuchung gliedert sich in vier Kapitel, die sich jeweils einer Perikope widmen. Am Beginn steht die Analyse der Heilung eines Gelähmten (Lk 5,17–26) (27–86). In der Bewegung der Erzählung von außen nach innen findet der Vf. ein erstes Glaubenscharakteristikum: Der Glaube zeigt sich – über alle Hürden hinweg – im Suchen der Nähe Jesu (85). Im Fall des Hauptmanns von Kafarnaum (Lk 7,1–10) (87–158) ist es gerade die räumliche Trennung von Jesus, die eine andere Form des Glaubens deutlich werden lässt: Der Glaube erscheint als Vertrauen in das heilende und raumübergreifende Wort Jesu (146). Mit dem Thema der Vergebung wird der Glaube in der Begegnung zwischen Jesus und der Sünderin (Lk 7,36–50) (159–231) verbunden. Das liebevolle Tun der Frau ist Ausdruck der erfahrenen Vergebung (191). Als Grund dieser Vergebung wird der Glaube erkennbar (218), dessen Ursache und Inhalt Jesus als Subjekt der Vergebung und Objekt der Liebe (215) ist. Schließlich heben die narrativ verschränkten Erzählungen von der blutflüssigen Frau und vom Synagogenvorsteher Jairus (Lk 8,40–56) (233–303) die Heilsbedeutung des Glaubens hervor. Der sich in der Heilung der Frau widerspiegelnde Glaube steht dem Vater des Mädchens und dem Leser gleichermaßen als Aufforderung vor Augen: Der Glaube vertraut auf die selbst durch den Tod nicht begrenzte Wirkmächtigkeit Jesu (299).
Im Anschluss an die Textanalyse fasst der Schlussteil (305–319) die gewonnenen Erkenntnisse zu einer Phänomenologie des Glaubens zusammen. In den Verlauf des Evangeliums und der damit verbundenen wachsenden Klarheit über das Wesen Jesu fügen die einzelnen Personen verschiedene Weisen und Ausdrucksformen des Glaubens ein. Immer ist dieser Glaube christologisch ausgerichtet (317) und doch alles andere als einförmig. Schon die Tatsache, dass die Personen nur kurz in Erscheinung treten, prägt die mit ihnen verbundene Vorstellung des Glaubens. Anders als etwa im Verlauf der Apg steht der Glaube hier nicht in enger Beziehung zur Nachfolgegemeinschaft, zur Bewährung oder zur Verkündigung der Zeugen (319) . Anhand der dargestellten Charaktere werden mögliche Nuancen und Schattierungen und damit letztlich die Vielgestaltigkeit und die Bandbreite des Glaubens sichtbar. Immer atmet der Glaube das Vertrauen in die heilende Gegenwart Jesu und drückt sich doch je verschieden aus: im Wort und im Wissen um die heilende Nähe Jesu, in der Tat und in einzelnen Gesten sowie schließlich im Vertrauen auf Jesus selbst angesichts des Todes (316).
Zunächst und vor allem spricht aus der Untersuchung eine Achtung vor der literarischen Gestalt der Erzählung. Der Vf. trägt dem Leseprozess und damit der schriftstellerischen Qualität des Evangeliums – gerade angezeigt im Falle des lukanischen Doppelwerks – Rechnung (etwa 78–84.147–158.224–228). Besonders erfreulich erscheint die Integrierbarkeit der angewandten narrativen Analyse in den Verbund anderer methodischer Schritte und textueller Operationen. Durch synoptische Vergleiche (vgl. 29–32.100–102.280–284), durch den Rückgriff auf alt- wie neutestamentliche Bezugs­texte (103–114.154–155.285–287), durch syntaktische und seman­tische Analysen (135.189–191.205–208.275–276), durch einen – falls not­wendigen – Blick in den textkritischen Apparat (vgl. 245–248) oder die Fokussierung verschiedener Gattungen (177–184) vermag die Studie eine große Breite an Textdaten zu erheben und sich so gegen den Einwand einer methodischen Einseitigkeit zu verwahren. Tabellarische Übersichten bündeln die Erträge und verdeutlichen den Bezug der einzelnen Perikopen zum Kontext (132.138. 185.196).
Mancherorts würde die Arbeit durch eine detailliertere Einarbeitung in die historischen Bezüge der Textwelt gewinnen (110. 121). Die Gefahr einer hauptsächlich narrativ ausgerichteten Textanalyse zeigt sich in der mithin störenden Redundanz der Darstellung. Für die einzelnen Schritte und Ergebnisse nimmt der Vf. lange und sich teils mehrfach wiederholende Anläufe in Kauf (neben den Einsätzen der einzelnen Unterpunkte der jeweiligen Kapitel vgl. etwa 196–198.268–269). Die dadurch gewonnene Klarheit fordert dem Leser eine gehörige Portion Geduld ab und ließe sich mit weit weniger Wiederholungen in Form einer Nacherzählung ebenso gut erreichen. Nicht weiter forciert und ausgebaut werden sollte die methodisch durchaus streitbare Praxis, eher nach dem zu fragen, was der Text nicht sagt, anstatt primär den positiven Daten des Textes nachzugehen (etwa 38.89.90). Gerade die behandelten Texte sind inhaltsreich genug und stellen den Exegeten kaum vor die Verlegenheit, nur über eine negative Fragestellung Aussagen des Textes keltern zu müssen. Insgesamt bleiben die kritischen An­haltspunkte wie auch die ortho- wie typographischen Mängel (178. 239.329.334) marginal und stellen die Qualität der Arbeit nicht in Frage.
Letztlich bestechen die Versiertheit im Umgang mit dem Text und die Originalität des durchaus mutigen Unternehmens, an­hand atypischer Textstellen und randständiger Charaktere einem typisch lukanischen Thema nachzugehen. Der Vf. wählt nicht die Hauptstraße, sondern begibt sich in unwegsames Gelände. Das Ergebnis macht Mut: Die Sehenswürdigkeiten scheinen in der Tat manchmal fernab bereits ausgetretener Wege zu liegen. Die Mühsamkeit nicht schon befestigter und erprobter Pfade lohnt.