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Ausgabe:

Mai/2007

Spalte:

597–599

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Ramm, Markus

Titel/Untertitel:

Verantwortlich leben. Entwicklungen in Ernst Langes Bildungskonzeptionen im Horizont von Theologie, Kirche und Gesellschaft.

Verlag:

Regensburg: Roderer Verlag 2005. 425 S. 8° = Evangelische Theologie in Regensburg, 1. Geb. EUR 38,90. ISBN 3-89783-504-5.

Rezensent:

Martin Rothgangel

Obwohl bestimmte Formulierungen von Ernst Lange (1927–1974) wie z. B. »Kommunikation des Evangeliums« oder sein Konzept des Ökumenischen Lernens entscheidende Impulse für die religionspädagogische Diskussion lieferten, gab es bislang keine Studie, die sich mit seiner Bildungskonzeption grundlegend auseinandersetzte (vgl. 13 f.). Auf diesem Hintergrund ist es ausgesprochen verdienstvoll, dass die von Markus Ramm an der Universität Regensburg angefertigte und von Martin Bröking-Bortfeldt (1952–2006) betreute Dissertation auf der Grundlage eines umfangreichen und intensiven Quellenstudiums diese Forschungslücke schließt. Da­bei sei besonders hervorgehoben, dass diese Arbeit auf einer Analyse von Quellen beruht, die bislang zum Teil nicht zugänglich waren und jetzt am Institut für Evangelische Theologie der Universität Regensburg dokumentiert sind (14 f.). Ziel der Studie ist eine »Herausarbeitung und Systematisierung von Ernst Langes re­ligions- und gemeindepädagogischem Denken und Handeln« (16).
Die Arbeit besteht aus vier Kapiteln: Im ersten Kapitel »Erziehung und Bildung am spezifischen Ort« (17–55) wird am Leitfaden der Lebensgeschichte Ernst Langes dessen Auseinandersetzung mit pädagogischen Fragen biographisch verortet. »Dabei zeigt der Gang durch seine gesamte Biographie, dass Ernst Lange in allen Phasen seines Wirkens im zunehmenden Maße mit pädagogischen Fragen befasst ist. … Seine Überlegungen zu Erziehung und Bildung, insbesondere zu den Lernmöglichkeiten und -unfähigkeiten im Bereich der Kirche, finden daher zu Beginn der 1970er Jahre einen Höhepunkt« (55).
Daran anschließend wird im zweiten Kapitel »Erziehung und Bildung in ihrer spezifischen Gestalt« (56–218) die jeweilige Bildungskonzeption von Ernst Lange gemäß den verschiedenen Phasen seiner Wirksamkeit entfaltet: Während seiner Gelnhausener Tätigkeit im Bereich der Jugendbildung (1955–1959) dient die Kategorie des ›verantwortlichen Lebens‹, was die Teilnahme an ge­meindlichen und gesellschaftlichen Lebensprozessen impliziert, als entscheidendes Kriterium christlicher Jugendarbeit (vgl. 56–90, bes. 74 f.). Im Kontext von Langes Tätigkeit in der Ladenkirche (1960–1967) tritt das Kriterium der ›mündigen Gemeinde‹ für we­sentliche Momente des Gemeindekatechumenats hervor (91–134), während im Zusammenhang seiner Arbeit im Ökumenischen Rat der Kirchen (1968–1970) das ›zukunftsorientierte Gewissen‹ entscheidend ist (135–172). Schließlich bildet Lange im Anschluss an Paulo Freire das Konzept einer ›konfliktorientierten Erwachsenenbildung‹ aus (172–218).
Auf der Grundlage der ›diachronen‹ Analysen der beiden ersten Kapitel werden im dritten Kapitel »Spannungsfelder und Grundmotive in Kontinuität und Wandel« (219–278) bleibende Aspekte sowie Entwicklungen in Ernst Langes bildungstheoretischem Denken herausgearbeitet. Dazu werden in einem ersten Schritt noch einmal die wichtigsten Aspekte angeführt: Ein entscheidendes Moment stellt das Erwachsenwerden als Ziel kirchlicher Erziehung und Bildung dar (219 ff.). Dabei ist das Erwachsensein als Resultat unmittelbar mit der Verwirklichung eines »verantwortlichen Lebens« (222) verbunden. Gleichwohl ist zu bedenken, dass »die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, … für sich allein kein Ziel von Erziehung und Bildung sein [kann], sie basiert vielmehr auf dem Erwerb von Urteils- und Handlungsfähigkeit« (222). Weitere Spannungsfelder, die Langes Überlegungen zu Erziehung und Bildung kontinuierlich kennzeichnen, lauten »kirchliches Leben und säkulare Gesellschaft« (223 ff.) ‚ »Lokalität und Globalität« (231 ff.) sowie »Lernförderung und Lernverhinderung« (241 ff.). Darüber hinaus arbeitet R. als Grundmotive von Langes kirchlicher Erziehungs- und Bildungskonzeption den »Kontext von ›Dienst‹ und Diakonat« (228 ff.), das »Lernen als Vollzugsform des Glaubens« (236 ff.) sowie »Bildung als Problem und Funktion der Kirche« (244 ff.) heraus. Auf dieser Grundlage sieht R. das »Hauptkontinuum in Ernst Langes Konzeption … in der Zielsetzung, möglichst weitgehend zur Herausbildung von Urteils- und Handlungs­fähigkeit beizutragen, und damit die individuelle Partizipations­fähigkeit … zu verbessern« (251). Ohne auf alle Wandlungen im Einzelnen eingehen zu können, seien die entscheidenden Veränderungen während Langes Tätigkeit im Ökumenischen Rat der Kirchen genannt: Es erfolgt »die nicht-theologische Reformulierung seines ursprünglich nur auf die Gemeinde und ein tätig gelebtes Christentum bezogenen Erziehungs- und Bildungsziels. Ziel von Erziehung und Bildung muss sein, Menschen dazu zu befähigen, ein verantwortliches Leben zu führen, was bedeutet, dass sie urteils- und handlungsfähig für ihre eigene Zukunft werden« (252). Angesichts des steten Wandels der Weltgesellschaft »muss für permanente Urteils- und Handlungsfähigkeit das Lernen selbst ge­lernt werden« (252).
Im vierten Kapitel »Ernst Langes theologisches und pädagogisches Denken und Handeln« (279–309) analysiert R. schließlich drei Interviews mit Zeitzeugen und Weggefährten Langes: Alfred Butenuth, Ulrich Kabitz und Georg Friedrich Pfäfflin. Nach dem resümierenden »Schluss: Antizipation und Verheißung – Überlegungen zu Ernst Langes Beitrag für kirchliches Handeln in der Gegenwart« (310–323) sind diese Interviews im Anhang der Arbeit (324– 377) vollständig abgedruckt. Hier sei kritisch angemerkt, dass zwar die Interviewleitfäden angegeben sind, nicht jedoch die me­tho­dische Vorgehensweise zur Auswertung der Interviews dargestellt wird.
Dieser Kritikpunkt vermag jedoch in keiner Weise den vorzüglichen Gesamteindruck zu schmälern, den diese Arbeit inhaltlich wie formal hinterlässt. Zweifellos handelt es sich um ein unentbehrliches Werk für alle, die sich künftig mit einzelnen Aspekten oder der gesamten Bildungstheorie Ernst Langes beschäftigen werden.