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Ausgabe:

Mai/2007

Spalte:

557 f

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Schmalz, Oliver

Titel/Untertitel:

Kirchenpolitik unter dem Vorzeichen der Volksnomoslehre. Wilhelm Stapel im Dritten Reich.

Verlag:

Frankfurt a. M.-Berlin-Bern-Bruxelles-New York-Oxford-Wien: Lang 2004. 271 S. 8° = Europäische Hochschulschriften. Reihe XXIII: Theologie, 789. Kart. EUR 45,50. ISBN 3-631-52282-7.

Rezensent:

Martin Greschat

Im Zuge seiner »Besprechung Systematisch Theologischer Neu­erscheinungen« im Wintersemester 1932/33 behandelte Dietrich Bonhoeffer auch Stapels Buch »Der christliche Staatsmann«. Bonhoeffer nannte es »ein gefährliches Buch«, weil es »mehr verspreche, als es geben könne« und dabei die Theologie zur »Rechtfertigung des Bestehenden missbrauche« (Eberhard Bethge, Dietrich Bonhoeffer, München 1967, 1085 f.). Was Sünde sei, Gottes Gesetz und die dadurch bewirkte radikale Infragestellung des »Nomos« eines jeden Volkes, habe Stapel nicht verstanden oder bewusst überspielt. Die Zeitgenossen um 1930 faszinierte an Stapels Volksnomoslehre die spezifische Füllung des Begriffes »Volk« im Rahmen der lutherischen Lehre von den Schöpfungsordnungen: Nach Stapel besaß jedes Volk einen besonderen »Nomos«. Dabei ging es dem Publizis­ten Stapel vor allem um die Hervorhebung der überragenden deutschen Besonderheit unter den Völkern. Gegen den Zusam­men­bruch des Kaiserreichs und die Weimarer Republik sowie die Mo­derne insgesamt setzte er die ausdrücklich im Irrationalen, in der »Seele«, der »Sitte« und dem »Ethos« des deutschen Volkes wurzelnden Normen. Dieser Nomos galt Stapel als gleichwertig mit dem Alten Testament, dem »Nomos der Juden« (64). Die Offenbarung in Christus knüpfte dann in spezifischer Weise an den jeweiligen »Volksnomos« an und überhöhte diesen. Inhaltlich wusste Stapel dazu allerdings nur wenig mehr zu sagen, als dass es sich dabei um innerliche Erfahrungen handelte.
Wolfgang Tilgner hat dieses Konzept in seiner grundlegenden Studie »Volksnomoslehre und Schöpfungsglaube« (Göttingen 1966) ausführlich behandelt. Die Untersuchung von Schmalz, eine Leipziger Theologische Dissertation, will im Gefolge jener Darlegung vor allem die Entstehung der Volksnomoslehre sowie ihre Bedeutung für Stapels Verhältnis zum Nationalsozialismus entfalten.
Nur langsam bildete sich jene Konzeption Stapels heraus, blieb dann jedoch der Dreh- und Angelpunkt seines weiteren Denkens und Handelns. Besondere Bedeutung besaß dafür das »Augusterlebnis«, also die große irrationale Erfahrung der Einheit des Volkes beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs (28–73). Auf dieser emotionalen, entschieden gegen die politischen Wertvorstellungen des Westens gerichteten Grundlage ergaben sich bald Beziehungen zum Nationalismus und Gemeinsamkeiten mit ihm. Stapel gehörte dann auch zu jenen Sympathisanten und Förderern der neuen Machthaber, die sich nach 1933 nicht angemessen gewürdigt und gefördert sahen (74–114). Dennoch blieb er dauerhaft gewillt, dem Staat die äußere, rechtliche Gestaltung der Volkskirche ebenso zu überlassen wie die sozialethische Normierung des deutschen christlichen Lebens (115–141). Im Anschluss an diesen Abschnitt bildet das Kapitel über Stapels Haltung im »Kirchenkampf« den Hauptteil der Untersuchung (142–211). Er wurde Mitglied der »Deutschen Christen«, unterstützte sie nach Kräften, geleitet von der Überzeugung, dass Christentum und Nationalsozialismus zusammengehörten und die evangelische Kirche den nationalso­zia­listischen Staat tatkräftig fördern müsste. Folgerichtig wandte sich Stapel gleichzeitig gegen die neuheidnischen Strömungen innerhalb der NSDAP. Zu prinzipiellen Veränderungen seiner Auffassung kam es im Verlauf des Zweiten Weltkriegs nicht (212–231), ebenso wenig in den Jahren nach 1945 bis zu Stapels Tod 1954 (232–247).
In der Würdigung seiner Persönlichkeit zeigt sich Sch. bemerkenswert inkonsequent. Einerseits wird Stapel bescheinigt, den totalitären Charakter des Nationalsozialismus früh erkannt zu haben (257) – andererseits liest man, nur eine Seite weiter, er habe dessen wahres Gesicht »zu spät« durchschaut (258). Kaum nachvollziehbar erscheint mir schließlich das Urteil, Stapel sei »sicherlich eine tragische Gestalt« gewesen (257). Ebenso selbstbewusst wie unbelehrbar hielt er an seiner einmal gewonnenen Überzeugung fest, blind gegenüber allem, was dagegen sprach. Eine solche Einstellung lässt sich kaum als tragisch charakterisieren.
Die Untersuchung ist reich an Informationen, wirkt allerdings in der Darbietung des Materials teilweise unbeholfen. Das drückt sich in den Übergängen zu den einzelnen Abschnitten ebenso aus wie in Wiederholungen und insbesondere im unmotivierten Übergang vom Präsens zum Imperfekt und umgekehrt, oft in ein und demselben Satz. Wichtig ist der Ertrag der Studie insofern, als sie Licht auf jenen nicht gerade kleinen Kreis von Menschen wirft, die – innerhalb wie außerhalb der evangelischen Kirche – eifrige Wegbereiter und beträchtliche Nutznießer des Nationalsozialis­mus waren. Weil sie sich dann jedoch nicht angemessen gewürdigt sahen, vielmehr im Zuge der Radikalisierung des Nationalsozialismus – trotz ihrer weiterhin bestehenden Bereitschaft zur Ko­operation – sich an den Rand gedrängt und ausgeschaltet fanden, be­griffen sie sich, gerade auch nach dem Zusammenbruch des Re­gimes, empört und entrüstet als Opfer.