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Ausgabe:

Mai/2007

Spalte:

530–532

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Riedo-Emmenegger, Christoph

Titel/Untertitel:

Prophetisch-messianische Provokateure der Pax Romana. Jesus von Nazaret und andere Störenfriede im Konflikt mit dem Römischen Reich.

Verlag:

Fribourg: Academic Press Fribourg; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005. XXI, 381 S. gr.8° = Novum Testamentum et Orbis Antiquus, 56. Geb. EUR 59,90. ISBN 3-7278-1540-X (Academic Press Fribourg); 3-525-53959-2 (Vandenhoeck & Ruprecht).

Rezensent:

Walter Rebell

Das zu besprechende Buch ist eine geringfügig überarbeitete Dissertation, die im Sommer 2003 von der Theologischen Fakultät Freiburg (Schweiz) angenommen wurde (Betreuer: Max Küchler). Ziel der Arbeit ist es, aus der Perspektive der römischen Herrschaftssicherung in den Provinzen das Vorgehen der Römer gegen prophetisch-messianische Gestalten Palästinas vor dem jüdisch-römischen Krieg besser zu verstehen; von diesem Ansatz aus fällt ein neues Licht auf Johannes den Täufer und Jesus von Nazaret.
Der Großteil der Arbeit (196 Seiten von 314) ist eine Darstellung der römischen Expansionsgeschichte unter dem Aspekt der Festigung der Macht. Die Überschrift dieses 1. Teils lautet: »Strategien der Machterweiterung und -sicherung des römischen Imperiums in der Republik und der Kaiserzeit«. Diese Darstellung ist nicht etwa aus der Sekundärliteratur zusammengetragen, sondern aus den Quellen eigenständig erarbeitet. Immer wieder kommen die antiken Autoren selbst zu Wort, zum Teil in ausführlichen Zitaten. Der Exeget betritt, wenn er diese Darstellung liest, natürlich kein Neuland. Aber ihm wird das, was von der römischen Geschichte für das Verstehen des Neuen Testaments wichtig ist, so geschlossen und instruktiv dargeboten wie kaum woanders. Dabei ist die Sprache stets präzise und klar; der Vf. hat keinerlei Neigung, sich gespreizt auszudrücken. Nicht anlasten kann man ihm, dass das Buch zu klein gesetzt ist, besonders in den Anmerkungen; die Folge ist eine rasche Ermüdung der Augen. Dafür gibt es fast keine Druckfehler.
Der 1. Abschnitt des 1. Teils ist dem Wechselspiel von Diplomatie und Kriegsführung gewidmet. Hier wird herausgearbeitet, dass für Rom Diplomatie ein Instrument herrschaftlicher Machterweiterung bzw. -erhaltung war. Eine eigenständige Außenpolitik, die Beziehungen zwischen gleichwertigen Partnern gepflegt hätte, kannte Rom nicht. Jedoch wurden an der Peripherie des Reiches Fürsten und Könige als Klientelherrscher akzeptiert; sie verfügten dann über eine gewisse Autonomie und entlasteten Rom von einem zu starken Engagement an den Grenzen (die Klientelfürstentümer bildeten Pufferzonen). Auch die einheimischen Eliten musste Rom gewinnen und an sich binden (nicht nur unterwerfen); ohne eine gewisse Kooperation wäre der Aufbau eines kohärenten Reiches nicht möglich gewesen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Zeit der Republik und der Kaiserzeit. In der Zeit der Republik diente hinzugewonnenes Gebiet primär der Ausbeutung; in der Kaiserzeit hingegen bildete sich ein Staatskonzept heraus, in dem Provinzen und Klientelfürstentümer integrierter Bestandteil des Ganzen waren.
Weitere Abschnitte des 1. Teils beschäftigen sich mit administrativen und finanziellen Strategien (Rechte des Statthalters, Steuereintreibung, Maßnahmen gegen Ausbeutung usw.), religiösen und ideologischen Strategien (religiöse Toleranz Roms, Kaiserkult, Pax Romana als Herrschaftslegitimation usw.) und schließlich mit Erklärungsversuchen der römischen Expansion (wirtschaftlicher, militärischer, politischer, kultureller Imperialismus?).
Abschließend sei zu diesem 1. Teil gesagt, dass neben den historischen Nutzwert für den Exegeten (vgl. oben) ein hermeneutischer tritt. Man fängt an, von Rom aus, vom römischen Kalkül her, auf die Vorgänge in Palästina zu schauen. Normalerweise denkt man von Palästina, von den jüdischen Gruppen und Personen her. Der neue Blickwinkel, zu dem einen der lange historische An­marschweg bringt, ist hermeneutisch höchst interessant: Man nimmt bestimmte Sachverhalte anders wahr als vorher.
Nun aber die Kritik. Ist der historische Anmarschweg nicht zu lang? Der Großteil der Energie des Vf.s ist offenbar der historischen Arbeit an römischer Geschichte gewidmet worden, aber das ist noch nicht die eigentliche Dissertationsleistung. Diese kommt erst im wesentlich kürzeren 2. Teil: »Das römische Imperium als bestimmende Macht in Palästina im 1. Jahrhundert n. Chr. bis zur Zerstörung Jerusalems und der Konflikt mit prophetisch-messianischen Bewegungen«. Außerdem wird hier auf »Provokateure der Pax Romana« nur in Palästina eingegangen (die Hauptquelle ist Josephus). Ich persönlich hätte mir die vorliegende Arbeit anders gewichtet gewünscht: den historischen Anmarschweg kürzer, dafür aber einen weiteren Blickwinkel im 2. Teil: ein Eingehen auf »Provokateure« auch in anderen Provinzen und in anderen religiösen Kontexten. Wie fiel dort die Antwort der Römer aus? Kann man aufschlussreiche Vergleiche mit Palästina anstellen? Gibt es provinzübergreifende Muster römischen Verhaltens?
Der 2. Teil beginnt damit, dass die bisher allgemeinen Ausführungen ausgewertet und vertieft werden für die Situation in Palästina. Der (aus römischer Sicht) alles bestimmende strategische Gesichtspunkt war der Dauerkonflikt mit den Parthern. »Von daher kam der Provinz Syrien eine Schlüsselposition nicht nur für den Osten des Reiches, sondern für das gesamte Imperium zu. Genau in dieser Konstellation muss auch die Provinz Judäa gesehen werden, die militärstrategisch zur Provinz Syrien gehörte. Zwischen Palästina und dem Partherreich befanden sich nur einige hundert Kilometer unkontrollierbarer Wüste. Würde die Provinz in einem Krieg fallen, so wäre der Weg nach Ägypten für die Parther offen.« (210)
Der Vf. geht nun in die Einzelheiten und bespricht speziell für Palästina die Klientelherrschaft, die Einbindung der Eliten, Steuerfragen, Münzprägung, Zwischenfälle usw. Die Sicherheitslage wurde für Rom immer prekärer (bis es dann im Jahre 66 zum Ausbruch des jüdisch-römischen Krieges kam). Eine Vielzahl von »Provokateuren und Störenfrieden« lässt sich ausmachen, zu untergliedern in »messianische Königsprätendenten« und »Räuber und Widerstandskämpfer«. In nochmaliger Fokussierung behandelt der Vf. im letzten Abschnitt des Buches »Gestalt und Schicksal prophetisch-messianischer Bewegungen«; d. h., er arbeitet heraus, wie die Römer in ihrem Pragmatismus ihre Antwort nach dem Gefährlichkeitsgrad der jeweiligen Bewegung ausfallen ließen. Im Einzelnen werden behandelt: 1. Die sog. Zeichenpropheten; sie kündigten »Zeichen« an wie z. B. die Teilung des Jordans für den Durchzug der Volksmasse; die Botschaften dieser Propheten, die an sich religiös-eschatologisch waren, schlugen – wenn durch sie das Volk in Bewegung kam – sofort ins Politische um und nötigten die Römer zum Eingreifen. 2. Der samaritanische Prophet (er plante eine schwer zu durchschauende Aktion auf dem Garizim). 3. Johannes der Täufer. 4. Jesus von Nazaret.
Der Vf. kontrastiert die massive militärische Reaktion gegen die Zeichenpropheten und den samaritanischen Propheten mit den beschränkten Maßnahmen gegen den Täufer und Jesus von Na­zaret. Bei dem Täufer und Jesus genügte »als Massnahme in den Augen der politisch Verantwortlichen, das Haupt der Gruppe zu beseitigen. Offenbar wurden sie nicht in der Weise als politische Kräfte mit einem klaren politischen Konzept und einer damit verbundenen Strategie eingestuft wie die Zeichenpropheten oder der samaritanische Prophet.« (311) Der Weitergang der Sache Jesu in der Jesusbewegung verdankte sich damit (auch) der adäquaten, der jeweiligen »Bedrohung« angemessenen und nicht überzogenen Reaktion der Römer.