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Ausgabe:

Mai/2007

Spalte:

511 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Auffret, Pierre

Titel/Untertitel:

Mais tu élargiras mon cœur. Nouvelle étude structurelle du psaume 119.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2006. XXVI, 372 S. m. Tab. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für die alttes­tamentliche Wissenschaft, 359. Lw. EUR 118,00. ISBN 978-3-11-018889-9.

Rezensent:

Karin Finsterbusch

Der von Exegeten und Exegetinnen lange Zeit eher vernachlässigte Ps 119 rückt in den letzten Jahren zunehmend in den Blick der Forschung (vgl. die entsprechenden Arbeiten von Soll, Freedman, Zenger). P. Auffret legt – nachdem er 1993 im Rahmen seines bei Brill er­schienenen Buches »Voyez de vos yeux. Étude structurelle de vingt psaumes dont le psaume 119« schon einmal die Psalmstruktur untersucht hat – nunmehr eine »nouvelle étude structurelle du psaume 119« vor.
Die Monographie enthält drei Hauptkapitel. Im ersten Kapitel (»Étude structurelle de chacune des vingt-deux strophes«, 1–65) versucht A., nahezu ausschließlich anhand von Wort- und Motivbezügen, die Struktur der einzelnen Strophen aufzuzeigen (wobei die Ergebnisse der Arbeit von 1993 im Wesentlichen wiederholt werden). Diese Strukturanalysen dienen A. als Grundlage für das zweite und das dritte Kapitel. Im zweiten Kapitel (»Enchaînements et structures à partir de I et jusqu’à XXII«, 67–233) untersucht A. die Beziehungen zwischen den Strophen im Rahmen von »Einheiten« (»ensembles«). Er geht dabei von der ersten Strophe aus und definiert als »Einheit« die jeweils folgenden Strophen, also z. B. I–II, I–III, I–IV usw. Im dritten Kapitel (»Enchaînements et structures aboutissant à XXII en remontant à partir de XXI jusqu’à II«, 235–359) geht A. den strukturellen Verbindungen von »Einheiten« nach, indem er nunmehr mit der letzten Strophe beginnt. Der Ertrag seiner Studie ist im Grunde ein zweifacher: zum einen der Nachweis der sorgfältigen Komposition der einzelnen Strophen, zum anderen der Nachweis der Verkettung der Strophen und somit der klaren Strukturiertheit des Psalms (»On a là encore la marque d’une certaine composition d’ensemble de ce psaume qui, si long qu’il soit, ne manque pas d’être structuré, non seulement à l’intérieur de chacune de ses strophes ou en leur enchaînement, mais aussi selon des ensembles qui peu à peu en recouvreent tout le texte«, 372).
Die Methode von A. entbehrt nicht einer gewissen Problematik, die im Folgenden an einem Beispiel verdeutlicht werden soll. Die zweite Strophe (V. 9–16) besteht nach A. aus zwei Blöcken, zwischen den Blöcken steht als eine Art Mitte V. 12a. Der erste Block V. 9a–11b »est symétriquement construit autour de 10b« (5). Dazu führt A. an, dass das Stichwort »cœur« in V. 10a und 11aα, dass die Synonyme »ta parole« und »ton dire« in V. 9b und 11a vorkommen und dass V. 9a und 11b sich thematisch entsprechen. Der zweite Block V. 12b–16b lässt sich nach A. nach der einleitenden Bitte V. 12b in drei Einheiten gliedern, die chiastisch aufgebaut sind (V. 13 f.15.16). A. macht (hier und auch sonst in seiner Monographie) keine Gegenprobe, das heißt, er diskutiert nicht Kriterien, die gegen diese Strophengliederung sprechen. In Bezug auf die zweite Strophe ist zum einen das Kriterium des Stil- und Personenwechsels anzuführen: V. 9 enthält eine Frage mit Antwort, Subjekt ist ein »junger Mann«; V. 10 ff. hingegen sind in Ich-Rede gehalten. Dies spricht für eine exponierte Stellung von V. 9 in der Strophe. Zum anderen wird von A. das Kriterium der Zeitebenen als Gliederungssignal nicht beachtet (siehe dazu insbesondere B. Janowski, Konfliktgespräche mit Gott, Neukirchen-Vluyn 2003, 270 ff.). So ist in der zweiten Strophe von Psalm 119 auffällig, dass V. 10 f. und V. 13 f. Rückblicke des betenden Ichs enthalten, V. 15 f. enthalten hingegen Ausblicke auf die Zukunft. Dies sollte zögern lassen, V. (12b.)13–16 als Block zu definieren. Zum dritten werden inhaltliche Kriterien zu wenig beachtet. So hängt die Bitte in V. 12b auf das Engste mit dem Lobpreis in V. 12a zusammen: Der Beter lobt JHWH (im Kontext doch wohl insbesondere im Hinblick auf seine Gebote) und bittet den gelobten Gott demütig um Lehre (eben dieser Gebote). Die Zäsur zwischen V. 12a und 12b, die A. postuliert, entbehrt der Plausibilität. Strukturanalysen ersetzen keine Exegese. Nichtsdestotrotz ist es kein Fehler, bei künftigen Versuchen, die Strophen von Ps 119 zu gliedern bzw. eine Verbindung der Strophen zu erweisen, sich von der vorgelegten Monographie anregen zu lassen.