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Ausgabe:

Mai/2007

Spalte:

505 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Feldtkeller, Andreas

Titel/Untertitel:

Warum denn Religion? Eine Begründung.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2006. 251 S. m. Abb. 8°. Geb. EUR 19,95. ISBN 978-3-579-06516-8.

Rezensent:

Hendrik Johan Adriaanse

Wenn Religion nach altvertrauter Etymologie ›Rückbindung‹ be­deutet (vgl. 232), muss im christlichen Westen neu begründet werden, was woran rückgebunden wird. Die Antwort, die in diesem Buch gegeben wird, besteht negativ in der These, dass es nicht der Gottesbegriff ist, an den die Rückbindung stattfindet. Laut der Religionswissenschaft lässt sich über diesen Begriff keine allgemeingültige Definition von ›Religion‹ formulieren (vgl. 9). Vielmehr soll Religion über den Menschen angegangen werden, d. h. über die Grundgegebenheiten des Menschseins. Hier wird sie definierbar und zwar als »dasjenige Verhalten, mit dem Menschen sich den elementaren Lebenswirklichkeiten stellen und mit dem sie sich für Konsequenzen durchlässig halten, die sich daraus ergeben« (15, vgl. 194). Diese Bestimmung besagt nicht, dass Menschen so­wieso religiös sind; im Gegenteil, gerade in unserer gegenwärtigen Kultur ist Religionslosigkeit ein viel benutzter Ausweg. Aber, so betont der Vf., die Religionslosigkeit ist ihrer Alternative nicht ebenbürtig. Religion, welcher Gestalt auch immer, steht dem menschlichen Leben näher. Das fordert eine ständige Kritik an der modernen westlichen Kultur, einschließlich des verwestlichten Christentums heraus. Hier habe sich eine »Menschseins-Vergessenheit« (39) verbreitet, dergegenüber die nicht-christlichen Religionen ein heilsames Gegengewicht bilden. Demgemäß hat der Vf. den Haupttext seines Buches mit ausgewählten Zeugnissen zeit­genössischer, meist nicht-christlicher Autoren durchsetzt – ein Verfahren, das nicht nur die Lesbarkeit erhöht, sondern auch die fragliche Begründung der Religion herbeiführt. Besagte Lebenswirklichkeiten werden in einem Viererschema geordnet. Die be­treffenden Leitbegriffe werden benannt als Bewusstsein, Leiblich keit, Gemeinschaft und Eingebunden-Sein in das Ganze. Diese Titel haben einen gleichsam bifokalen Sinn: Sie sollen zugleich für Menschen der modernen westlichen Welt und für nicht-westliche Kulturen offen sein (19).
Die Substanz des Buches besteht aus einer eingehenden Darstellung dieser vier Leitbegriffe in der genannten Reihenfolge. Die Besprechung muss sich mit einem Beispiel be­gnügen. Unter dem Titel ›Leiblichkeit‹ werden folgende Themen verhandelt: ›Sich sinnlich vorfinden‹; ›Sich verhüllen‹; ›Lebendigkeit‹, mit den Unterabteilungen Herzschlag und Atem; Essen und Trinken, Verdauung und Ausscheidung; Weitere vegetative Funktionen, Bewegung und Bewegt­heit; ›Begrenztheit des Lebens‹; ›Lebenslauf‹; ›Geschlechtlichkeit‹, mit den Unterabteilungen Ge­schlechts­rollen; Sexualität; Weibliche Bestimmtheit und männliche Unbestimmtheit (79–132). Der Ton ist in diesen Darstellungen durchaus sachlich; anthropologisches Wissen wird intensiv verwendet. Zu­gleich kommt manche treffende Formulierung zu Stande. So heißt die Sterblichkeit des Menschen mal die Tatsache, »dass niemand das Leben überlebt« (100). Im religiösen Verhalten zu den vier elementaren Lebenswirklichkeiten unterscheidet der Vf. drei Ebenen, die er respektive als Gestaltung, Steigerung und Überwindung bezeichnet. Das Erste meint vor allem die Riten und Mythen, in denen Religionen ihre konkreten Deutungen dieser Grundgegebenheiten erbringen. Das Zweite bezieht sich auf die Bemühung, über die natürlichen Grenzen der Grundgegebenheiten hinauszugehen. Hierher gehört der Umgang mit dem Außergewöhnlichen, so wie dieser etwa in be­sonderen Praktiken und Techniken zum Ausdruck kommt. Das Dritte zielt auf das Reich der religiösen Lehren, sofern diese auf eine ganz andere Gestalt von Leben oder Sein verweisen und dabei die Offenbarung einer göttlichen Instanz in Anspruch nehmen (22 ff.). Die zweite und dritte Ebene sind nicht immer klar voneinander unterschieden; entscheidend ist aber, dass beide in der ersteren verwurzelt sind. Gestaltung ist die »grundlegende Ebene von Religion« (24).
Zum Schluss kommt der Vf. auf den Ansatz seines Unternehmens zurück: Religion oder Religionslosigkeit? Sein Durchgang durch die vier Leitbegriffe erlaubt ihm einige forsche Aussagen. Menschen sind unabänderlich in das Ganze des Ökosystems Erde eingebunden und Erleichterungen für die menschlichen Lebensbedingungen müssen sich mit diesem Faktum wesentlich intelligenter auseinandersetzen, als es in den meisten technischen Projekten des 20. Jh.s geschehen ist (237). Angesichts der Ansprüche der Religion(en) ist der Vf. – wohlweislich – recht vorsichtig. Das Rezept für das Überleben der Menschheit ist aus ihnen nicht einfach abzulesen. Auch verschafft ihre Ahnung einer Analogie zwischen Weltordnung und Lebensordnung noch keine allgemeingültige Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Ganzen. Gleichwohl hält der Vf. mit solchen Zugeständnissen an seiner These von der Unterlegenheit der Religionslosigkeit fest. Mir scheint, dass hier der Streit losbricht. Solcher Streit erhält aber durch dieses kluge und leidenschaftliche Buch erst recht die ihm gebührende Kraft.