Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2007

Spalte:

359-361

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Dalferth, Ingolf U. [Hrsg.]:

Titel/Untertitel:

Eine Wissenschaft oder viele? Die Einheit evangelischer Theologie in der Sicht ihrer Disziplinen.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2006. 144 S. 8° = Forum Theo logische Literaturzeitung, 17. Kart. EUR 16,80. ISBN 978-3-374-02353-0.

Rezensent:

Jens Schröter

Der Band dokumentiert ein Forum der »Herausgeber der Theologischen Literaturzeitung« zum Thema der Einheit der Theologie in der Vielfalt ihrer Disziplinen. Er enthält sechs Beiträge, in denen die Autoren bzw. die Autorin diese Frage aus der Perspektive ihres je weiligen Faches beleuchten.

Jörg Jeremias (»Alttestamentliche Wissenschaft im Kontext der Theologie«) bestimmt den Beitrag des Alten Testaments dahingehend, dass es »einen Glauben im Entstehen und im Wachsen, einen Glauben auf dem Weg« beschreibe. Damit entfalte es diejenigen Grundlagen, die im Neuen Testament als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Seine Vielstimmigkeit zeige sich in der Abgrenzung nach innen (Beispiel: wahre und falsche Prophetie) wie nach außen (Auseinandersetzung mit anderen altorientalischen Religionen). Aus christlicher Perspektive sei das Alte Testament vom Neuen her zu lesen, stehe zu diesem also im Verhältnis von norma normata zu norma normans.Der Beitrag von Karl-Wilhelm Niebuhr (»Biblische Theologie evangelisch: Neutestamentliche Wissenschaft im Zusammenspiel der Theologie«) führt diese Sicht aus neutestamentlicher Perspek tive weiter. Christlicher Theologie erschließe sich die Bibel »von hinten«, nämlich vom im Neuen Testament bezeugten Christusbekenntnis her, in dessen Licht deshalb auch das Alte Testament zu lesen sei. Beide Beiträge betonen, dass sich Judentum und Chris tentum als »Zwillinge« aus den in den Schriften Israels bezeugten Glaubensgrundlagen heraus entwickelt haben. Niebuhr weist des Weiteren auf Impulse hin, die sich aus der Berücksichtigung sprach- und geschichtswissenschaftlicher Einsichten für die Exegese bib lischer Texte ergeben. Zu stärken seien kulturwissenschaftliche sowie systematisch-theologische und ekklesiologische Kompetenz, um die Relevanz exegetischer Arbeit stärker im gesamt theologischen Gespräch (und darüber hinaus) zu verankern.

Der kirchengeschichtliche Beitrag von Christoph Markschies (»Kirchengeschichte theologisch ­ einige vorläufige Bemerkungen«) widmet sich der Ortsbestimmung des Faches zwischen Historiographie und Theologie. Dazu werden einige »Leitkategorien« be nannt, die als implizite oder explizite Annahmen über die Wirk lichkeit jeder Rekonstruktion von Vergangenheit zu Grunde liegen: Ordnung/Chaos, Individuum/Gesellschaft, Handeln/Leiden, Raum und Zeit. Diese Kategorien seien nicht als »epochentranszendente Universalien« zu verstehen, sondern als »logisch übergeordnete basale Strukturen einer methodisch verantworteten historischen Analyse, die dazu anhalten, Kontinuitäten und Differenzen zwischen den Epochen wahrzunehmen« (72). Dem Konzept einer »Universalgeschichte« steht Markschies skeptisch gegenüber. Stattdessen plädiert er dafür, Kirchengeschichte so zu beschreiben, wie sie ­ jedenfalls an deutschen evangelischen Fakultäten ­ tatsächlich betrieben wird: nämlich als Beschäftigung mit der Geschichte der christlichen Kirchen vor dem Hintergrund eines vom christlichen Glauben ge prägten Wirklichkeitsverständnisses.

Friederike Nüssel (»Die Aufgabe der Dogmatik im Zusammenhang der Theologie«) geht in ihrem Beitrag von Franz Buddeus aus, der Dogmatik als Ermittlung der heilsnotwendigen Glaubenslehren aus der Heiligen Schrift definiert hatte. In den Blick kommen des Weiteren die Entwürfe von Friedrich Schleiermacher und Karl Barth, die christliche Glaubenssätze als »Auffassung christlicher frommer Gemütszustände« bzw. als in kirchlicher Verkündigung zu vermittelnde Wahrheiten des christlichen Glaubens aufgefasst hatten. Für die gegenwärtige Ortsbestimmung seien vor allem die wissenschaftstheoretische Grundlegung durch Wolfhart Pannenberg sowie die neuerdings von Ingolf Ulrich Dalferth ins Gespräch gebrachte Beschreibung der Theologie als »Interpretationspraxis der Kommunikation des Evangeliums« (89 f.) leitend. Dadurch trete die Vielfalt gesellschaftlicher Kontexte in den Blick, innerhalb derer dogmatische Theologie die Inhalte des christlichen Glaubens und die Reichweite seiner Deutungsangebote zu verantworten habe.

Der Beitrag aus praktisch-theologischer Sicht von Christian Grethlein (»Praktische Theologie als Teil des Gesamtprojekts Theologie«) beleuchtet die innere Differenzierung des Faches, einschließlich der damit verbundenen Gefahren einer »Engführung auf eine Pastoraltheologie« sowie der Separierung der einzelnen Unterdisziplinen. Als die beiden wesentlichen Dimensionen, die die Praktische Theologie in das »Gesamtprojekt Theologie« einbinden, werden der Bezug auf die Praxis sowie der empirische Grundansatz genannt. Das von Dalferth entwickelte Verständnis von Theologie als Interpretationspraxis sei für die Verhältnisbestimmung von Praktischer Theologie und Theologie im Allgemeinen hilfreich, weil es auf die Praxis der Kommunikation des Evangeliums ziele.

Der abschließende Beitrag von Andreas Feldtkeller ist dem Thema »Religions- und Missionswissenschaft: Was den Unterschied ausmacht für das Gesamtprojekt Theologie« gewidmet. Die besondere Situation seiner Disziplin sieht Feldtkeller in der »paradoxen Situation« eines immer stärker von anderen Religionen und Weltanschauungen geprägten Kontextes für die protestantische Theologie in Deutschland bei der gleichzeitig nur geringen Wirkung, die dies für die Ausbildung zeitige. Auch Feldtkeller knüpft an das Konzept der »Kommunikation des Evangeliums« an, die mit Hilfe religions- und missionswissenschaftlicher Kompetenzen als offener Prozess zu gestalten sei. Dabei stünden Religions- und Missions wissenschaft in einer »dialektischen Spannung«, insofern es um die Kenntnis anderer Religionen gehe, die aus der Perspektive der christlichen Religion ­ also durchaus mit missionarischem An spruch ­ angeeignet werde. Feldtkeller formuliert sodann einen möglichen »Mehrwert« des Faches für die einzelnen theologischen Disziplinen. Von seinen Anregungen sei hier nur eine herausgegriffen: Die neutestamentliche Wissenschaft könne noch konsequenter als bisher berücksichtigen, »dass es bis heute fast überall in der nicht-westlichen Welt (und auch in manchen Segmenten der westlichen Kultur) menschliche Erfahrungswirklichkeiten und Interpretationszusammenhänge gibt, die der ðWunderÐ-Erfahrung des Neuen Testaments wesentlich näher stehen als dem Weltbild der Aufklärung« (134).

Aktualität und Relevanz des hier aufgegriffenen Themas stehen außer Diskussion. Dabei geht es nicht nur um einen innertheologischen Klärungsprozess. In einer Situation, in der Lehramts- und Magisterstudiengänge umgestellt, Theologische Fakultäten und Fachbereiche in ihrer Eigenständigkeit beschnitten werden und nicht zuletzt wieder einmal die Wissenschaftlichkeit der Theologie in Frage gestellt wird, ist die Darlegung der Einheit der Theologie in der Vielfalt ihrer Disziplinen nicht zuletzt deshalb notwendig, weil sie die vielfältigen Vernetzungen der Theologie nach innen und außen ­ und damit ihren Ort an der Universität ­ vor Augen führt. Die hier versammelten Beiträge lassen dabei, ungeachtet ihrer je weiligen Eigenständigkeit, durchaus Konvergenzen erkennen. Da zu gehören eine eng aufeinander bezogene Interpretation von Neuem und Altem Testament, ein Verständnis von Kirchengeschichte als Geschichtswissenschaft aus der Wirklichkeitssicht des christlichen Glaubens sowie die mehrfache Anknüpfung an das von Dalferth entwickelte Konzept evangelischer Theologie als »Interpretationspraxis der Kommunikation des Evangeliums«. Gewünscht hätte man sich einen summierenden Beitrag, der die konvergierenden Aspekte aufgreift und im Blick auf die Einheit der Theologie aufeinander bezieht. Diese spannende Aufgabe bleibt dem Leser überlassen ­ auch darin liegt eine wertvolle Anregung des Bandes.