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Ausgabe:

März/2007

Spalte:

350-352

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Beckmann, Beate:

Titel/Untertitel:

Phänomenologie des religiösen Erlebnisses. Religionsphilosophische Überlegungen im Anschluß an Adolf Reinach und Edith Stein.

Verlag:

Würzburg: Königshausen & Neumann 2003. 332 S. gr.8° = Orbis Phaenomenologicus. Studien, 1. Kart. EUR 49,50. ISBN 3-8260-2504-0.

Rezensent:

Claudia Mariéle Wulf

Die Dissertation von Beate Beckmann-Zöller erschließt die religionsphilosophischen Anteile im Werk Adolph Reinachs und Edith Steins für die wissenschaftliche Diskussion. Das religiöse Erlebnis ist in lebensweltlicher Praxis und als Thema philosophischer Untersuchungen relevant. Sein Gegenstand ist eine »Gegenwart oder Macht«, ggf. Gott genannt, die unmittelbar und unausweichlich begegnet.

Die religionsphilosophische Thematik begegnet bei den frühen Phänomenologen, wie umgekehrt die phänomenologische Methode in die Religionsphilosophie Eingang findet. Die Erkenntnisrelevanz der Gefühle bleibt umstritten, obwohl der Erlebnisgehalt für den Erlebenden unausweichlich gegeben ist. Tiefe religiöse Ge fühle werden als »Mystik« charakterisiert. Ort des religiösen Erlebens ist die Psyche (bei Stein: die Seele); das seelische Erkennen ist ein exis tentieller Vollzug, nicht mit dem erkennenden Akt des reinen Ich vergleichbar. Im Kontext der Phänomenologie finden ­ trotz eines methodischen Atheismus ihres Begründers Edmund Husserl ­ viele religiöse Bekehrungen statt, wohl bedingt durch die »systema tische Offenheit und Vorurteilslosigkeit« (50) des Forschens.

Nach Adolf Reinach ist das religiöse Erleben ein sozialer Akt, eine personale Gottesbegegnung, die Geborgenheit schenkt. Weil er un ter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs zum christlichen Glauben findet, sind für ihn religiöse Gefühle und die ggf. bis zur Mystik vordringende Intuition entscheidend. Ausgangspunkt der religionsphilosophischen Aussagen des realistisch-phänomenologisch Forschenden ist das »Rätsel« des Erfahrbaren, nicht aber das Ge heimnis des göttlichen Bereichs (107). Die Wesensgesetzlichkeiten des religiösen Erlebens, das wiederum ein Wesensmoment des Menschen ist, sind das Geöffnetsein für eine (im theologischen Sinne) transzendente Welt, die Absolutheit im Vollzug, ein Abhängigkeits- und Geborgenheitserlebnis, der »materiale« Gehalt (Gott) und die Begegnung mit dem Absoluten (als Existenzerleben). Die konkreten Inhalte werden aber durch eine Religion vermittelt, sie konstituieren sich nicht monadisch (135). So ist »kein Schluss vom religiösen Erleben auf die positive Religion, [ z. B.] auf die Person Jesu Christi« (129) als Mitte des Christentums, möglich.

B. kritisiert, dass Reinach den Begegnenden als Absoluten im Sinne des monotheistischen Gottesbegriffs charakterisiert. Offen bleibe auch das Realismus-Problem. Zudem fehle eine tiefer gehende Analyse des Begriffs »religiöses Erlebnis«. »Es lässt sich schwer unterscheiden, ob eine bloße Konstruktion oder eine echte Wesensschau vorliegt.« (144) Seine Argumentation sei bisweilen psychologistisch oder gar fideistisch.

Edith Stein legt größere religionsphilosophische Studien im Rahmen der Analyse der Person vor. B. kritisiert, dass sie »Anleihen bei der Theologie« (185) mache und sich so aus dem religionsphilosophischen Diskurs herausnehme. »So fehlen leider viele Ausweise für Übergänge, in denen die spezielle christlich-theologische Ontologie herangezogen wird.« (166) Stein fällt in der Idealismus-Realismus-Debatte keine Entscheidung, vertritt aber letztlich »eine nicht-idealistische Variante« (175), eine »dritte phänomenologische Position« (176), die eine Kritik an Husserls transzendentaler Sichtweise impliziert. In »Potenz und Akt«, das als Bindeglied zwischen rein phänomenologischer und religionsphilosophischer Betrachtungsweise Steins angesehen wird, findet, so möchte ich kritisch anmerken, eher eine Juxtaposition von Transzendentalphänomenologie und Scholastik statt, die in der Neubearbeitung des Werkes (»Endliches und ewiges Sein«) überwunden wird.

Bei Stein ist primär die »Seele« der Ort des religiösen Erlebens, nicht das Bewusstsein. Das Erleben findet aber nicht an der Schnittstelle zwischen Leib und Seele, also in der Psyche statt, wie B. vermutet, sondern in der Tiefenseele. Durch Einfühlung erreicht der Mensch sogar das Wesen Gottes. Gott ist die Kraftquelle, die den Akt der Freiheit ermöglicht. Dieser Gedanke führt Stein zur Religionsphilosophie. Der sich für Gott öffnende und seine Existenz anerkennende Mensch kann in ihm Geborgenheit finden und zu einer neuen ethischen Ausrichtung gelangen. In Steins Spätphase wird die (unspezifische) Gotteserfahrung im Anschluss an die christliche Tradition zur spezifischen Gotteserkenntnis. Eine »erfüllende An schauung« ist aber nicht nur »nicht unmittelbar, vollständig« (233), sondern prinzipiell unmöglich, da Gott alles Begreifen übersteigt. Die natürliche Vernunft (Gottesbeweise) oder die Erfahrung des Verwiesenseins auf ein umfassendes Sein zwingen nicht zur Annahme eines höheren Wesens. Der religiöse Akt ist ein absoluter Vertrauensakt Gott gegenüber und ­ in den Offenbarungsreligionen ­ ein Anerkennen seines geoffenbarten Wortes. Weil diese Mitteilung ein offenbar-verborgenes Angebot ist, unterbindet es die Freiheit des Menschen nicht, selbst nicht in der mystischen Begegnung (bei Teresa von Avila, Dionysius Areopagita und Johannes vom Kreuz). Stein nimmt in den frühen Schriften eine Analyse des unmittelbaren religiösen Erlebens vor, während sie später theologische Inhalte bearbeitet. Der Themenstellung nach muss sich die vorliegende Dissertation stärker auf das Erleben konzentrieren, sie darf aber dem steinschen Spätwerk die theologische Relevanz nicht absprechen. Ein phänomenologisches Vorgehen ist nicht schon als solches nicht-theologisch, im Gegenteil: Wesensanalysen des religiösen Erlebens wie der geoffenbarten Inhalte können die Theologie neu mit ihren Grundlagen konfrontieren.

Reinach und Stein verbindet der grundsätzlich ontologische Ansatz und der christliche Hintergrund. Damit sind der Rezeption beider Ansätze auch Grenzen gesetzt. Eine kompakte Zusammenstellung der Wesensmomente des religiösen Erlebens zeigt gleichwohl Möglichkeiten auf, den steinschen wie den reinachschen Ansatz in einer Religionsphilosophie fruchtbar zu machen.

B. leistet eine grundlegende Analyse der Religionsphilosophie Adolph Reinachs und Edith Steins vornehmlich mit erkenntnistheoretischem und anthropologischem Interesse. Die Zusammenfassungen erlauben dem Leser, sich schnell und effektiv im Werk zu orientieren. Leider wird nicht immer deutlich, welche Textpassagen sich den besprochenen Autoren verdanken. Mit anderen Stein-Forschern geht B. zum Teil hart ins Gericht (150 ff.). Es fehlt zudem eine scharfe Trennlinie zwischen Religionsphilosophie und Theologie. Da der Theologe sich auf den Boden einer Offenbarung stellt, der Religionsphilosoph aber nicht, ergeben sich grundsätzlich andere Herangehensweisen. Die religiösen Vorentscheidungen der beiden Protagonisten bleiben, bisweilen ein wenig gewollt, ausgeklammert. B.s Publikation erhebt gleichwohl die religionsphänomenologische Relevanz des religiösen Erlebnisses im Werk von Stein und Reinach und empfiehlt beide Autoren damit zur weiteren Rezeption in der Religionsphilosophie.<