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Ausgabe:

März/2007

Spalte:

341-343

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Niederbacher, Bruno, u. Gerhard Leibold [Hrsg.]:

Titel/Untertitel:

Theologie als Wissenschaft im Mittelalter. Texte ­ Übersetzungen ­ Kommentare.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2006. 330 S. gr.8°. Kart. EUR 29,80. ISBN 3-402-06558-4.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Dieses Buch enthält eine Sammlung von Texten aus dem 13. Jh., die sich mit dem Thema theologischer Wissenschaftstheorie auseinandersetzen. »Obwohl die Theologen von Anfang an die Eigenart ihrer Tätigkeit analysieren, wird die Theologie als ein methodisch vorgehendes, in sich gegliedertes Unternehmen erst seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts bedacht« und erhält den Namen, den sie heute noch trägt (5). Sie wird konfrontiert mit der selbstbewusst sich gebenden Philosophie. Wissenschaft im Mittelalter heißt einerseits, sich der in allen Wissenschaften gebräuchlichen Methoden und Termini zu bedienen, andererseits als autoritativ angesehene Texte auszulegen. Neue Unterrichts- bzw. neue Literaturformen waren dafür nötig. Alexander von Hales legt als Erster in seinem Unterricht nicht die Heilige Schrift, sondern die Sentenzen des Petrus Lombardus zu Grunde. Seine Sentenzensammlung wurde über Jahrhunderte hinweg das verbreitetste theologische Lehrbuch. Die Herausgeber haben sieben Texte aus der Zeit von etwa 1220 bis 1270 ausgewählt, die allesamt die theologische Einleitungslehre beinhalten. Mit ihnen soll die »Kraft des mittelalterlichen Denkens« aufgezeigt werden. Es sind Passagen aus der »Summa aurea« des Wilhelm von Auxerre und aus den Sentenzenkommentaren des Hugo von St. Cher, Alexander von Hales, Richard Fishacre, Bonaventura, Thomas von Aquin und Wilhelm de la Mare. Unbegründet bleibt, weshalb nicht der grundlegende Text des Lombarden und weshalb Hugo vor Alexander abgedruckt wird. Über die Auswahl sonst zu streiten, ist müßig. Für die Kommentierung der Texte haben die Herausgeber noch drei weitere Bearbeiter gewonnen. Wer die Texte übersetzt hat, wird nicht angegeben. In den Kommentaren wird jeweils kurz über Leben und Werke der Denker, über den Aufbau, die Quellen berichtet und ausführlicher der In halt des abgedruckten Textes erläutert.

Wilhelm von Auxerre schreibt, es wird »aufgrund des Glaubens der ersten Wahrheit über allen Dingen um ihrer selbst willen zugestimmt. Daher ist nichts gewisser als der Glaube.« Dieser erleuchtet den Geist, »um Gott und die göttlichen Dinge zu schauen«. Er resümiert: »Wir also stützen uns nicht auf die den natürlichen Dingen eigenen Gründe, sondern ausgehend von theologischen Gründen und solchen, die mit den Dingen, über die wir sprechen, übereinstimmen, beschäftigen wir uns mit den göttlichen Dingen« (15. 17.25). Er hält am Verständnis des Glaubens im Sinne von Augustin und Anselm fest. Am Zustandekommen des Glaubens sei die Vernunft nicht wirksam beteiligt. Damit kann die Theologie keine Wissenschaft im aristotelischen Sinn werden (29 f.34).

Der Prolog des Sentenzenkommentars von Hugo stellt überhaupt keine theologische Einleitungslehre dar. Auch kommt die Frage nach der Wissenschaftlichkeit der Theologie nicht in den Blick. Der Text fasst vielmehr allgemeines Schulwissen zusammen.

Anders Alexanders Prolog: »Weil ... die Erkenntnis der Theologie durch göttliche Eingebung hervorgebracht ist, ... ist sie folglich umso mehr Wissenschaft als andere Wissenschaften«. Sie ist Weisheit und als solche »Wissenschaft von der durch Christus im Werk der Wiederherstellung zu erkennenden göttlichen Substanz« (83. 85.93). Wissenschaft versteht er nicht als Wissenschaftsbetrieb, sondern als ein Wissen, das eine Person hat. Er setzt sich mit dem Wissenschaftsideal seiner Zeit auseinander und fragt, ob die Theologie dies erfüllt, ja erfüllen darf (113.127).

Richard Fishacre richtet seine »Aufmerksamkeit auf die Weisheit, die von oben kommt, insofern sie in der Heiligen Schrift ge schrieben steht«. Er stellt nicht die Frage nach der Möglichkeit der Theologie als Wissenschaft, sondern thematisiert ihre Notwendigkeit. Die anderen Wissenschaften haben ihr zu dienen. Sie ist für ihn keine Wissenschaft im aristotelischen Sinne, aber die »höchste Er kenntnisform« (133.167.171.182 f.).

Bonaventura geht es vor allem um die Gewissheit: »... so kommt auch Petrus Lombardus, wenn ihm die Gewissheit der Vernunft abgeht, auf die Gewissheit der Autorität der Heiligen Schrift zu rück, die über jede Gewissheit der Vernunft hinausgeht«. Selbstverständlich ist ihm, dass die Theologie Wissenschaft ist, sie ist jedoch vor allem ein Weg zum Heil. »Das credibile steht nicht im Gegensatz zum intelligibile oder scibile. ... Aufgabe der Theologie ist es, Möglichkeiten für die Glaubensbegründung ausfindig zu machen und die innere Stimmigkeit der einzelnen Glaubensinhalte aufzuweisen.« Er unterscheidet zwischen Glaube, Heiliger Schrift und Theologie und bemüht sich um eine sapientia christiana gegen über dem Ruf nach einer autonomen Vernunft (205.216 f.222.230 f.).

Für Thomas setzt die Theologie »die Glaubensartikel voraus, die unfehlbar im Wissen Gottes bewiesen sind, und glaubt sie, und von ihnen ausgehend schreitet sie fort, um weiter zu beweisen, was aus diesen Artikeln folgt. Die Theologie ist also wie ein dem göttlichen Wissen untergeordnetes Wissen, von dem sie ihre Prinzipien übernimmt«. Ihre Vorgehensweise muss fachgerecht sein. Sie selbst ist erwerbbares Wissen. Sie zieht aus den Glaubensartikeln Schlüsse. Sie ist keine isolierte Wissenschaft, sie bedarf des Gesprächs mit anderen Wissenschaften (253.261.278.288).

Wilhelm de la Mare gesteht zwar zu, dass »die Theologie Wissenschaft ist, wenn sie auch viel eigentlicher Gesetz ist«. Das bedeutet, dass er Theologie als Anleitung zum rechten Leben versteht. Letztlich aber sieht er sie weder als eine höhere Wissenschaft noch in Konkurrenz zu den anderen Wissenschaften (295.315 f.).

Das zu besprechende Buch ist sehr nützlich. Mit den Texten und den dazu gehörenden Kommentaren gibt es vor allem Studenten das nötige Rüstzeug, um sich Klarheit darüber zu verschaffen, wie man im Mittelalter Theologie als Wissenschaft verstanden oder nicht verstanden hat. Das ist auch für das Selbstverständnis von Theologie heute wichtig.

Zu kritisieren ist, dass die Texte zum Teil sehr frei übersetzt oder gar mehr umschrieben als übersetzt sind. Leicht können so Studenten ohne Kenntnisnahme des lateinischen Textes in Sackgassen geraten. Vor allem der Kommentar zu Hugo wirft Fragen auf. Hier werden manche Begriffe unübersetzt gelassen (supponere, notio, extensio, intensio). Das am Ende gedruckte Glossar hilft nur bedingt weiter. Manche Abkürzungen werden nicht aufgelöst (71). Am Schluss hätte man gern eine Gesamtauswertung der Texte gesehen. Oder will man sie dem Leser als Studienaufgabe überlassen? Insgesamt kann das Buch durchaus empfohlen werden.<