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Ausgabe:

März/2007

Spalte:

325-327

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Odenthal, Andreas:

Titel/Untertitel:

Die Ordinatio Cultus Divini et Caeremoniarium des Halberstädter Domes von 1591. Untersuchungen zur Liturgie eines gemischtkonfessionellen Domkapitels nach der Einführung der Reformation.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2005. VIII, 318 S. gr.8° = Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen, 93. Kart. EUR 44,00. ISBN 3-402-04073-5.

Rezensent:

Jürgen Bärsch

Aus der Reformation sind nicht nur konfessionell klar abgegrenzte Verhältnisse hervorgegangen. Gelegentlich treffen wir auf Domstifte, die nach Einführung der neuen Lehre gemischt konfessionell besetzt waren. Beispiele dafür sind etwa die Kapitel von Lübeck, Osnabrück, Minden und Straßburg. Wollte man hier an der stiftischen Existenz überhaupt festhalten, bedurfte es Formen, die das gemeinsame Stundengebet für die Domherren beider Konfessionen ermöglichten. Dabei kommt dem ebenfalls gemischt-konfessionellen Domkapitel von Halberstadt besondere Bedeutung zu. Denn hier ist es gelungen, trotz der theologisch disparaten Auffassungen, eine gemeinsame Liturgiefeier aufrechtzuerhalten und diese, freilich mit weiteren Reduktionen, bis zur Auflösung des Stifts 1810 fortzusetzen.

Diese Entwicklungen von der spätmittelalterlichen Tradition der Halberstädter Domliturgie über deren Neuordnung im lutherischen Geist bis zur Fortschreibung durch das Breviarium von 1792 und zu dem Ende des Stiftslebens zu untersuchen, hat sich die vorliegende Arbeit vorgenommen. Sie stammt aus der Feder des Lehrstuhlinhabers für Liturgiewissenschaft an der Theologischen Fa kultät Fulda, der nicht nur schon mehrfach zur Halberstädter Domliturgie Stellung genommen hat, sondern auch in seiner Dissertation mit der Edition und Kommentierung eines sogenannten »Liber ordinarius«, also eines Regiebuches für den Gottesdienst, einen liturgischen Buchtyp kompetent analysiert hat, der auch im Mittelpunkt dieses Buches steht. Denn bei der »Ordinatio Cultus Divini et Caeremoniarium« von 1591 handelt es sich um eine handschriftliche Quelle (in drei Fassungen überliefert), die in der Art der Libri ordinarii die Liturgie jeden Tages im Kirchenjahr mittels der Initien von Lesungen, Gesängen und Gebeten regelt. So informiert die Ordinatio des Halberstädter Domes über das auf der Grundlage der Augsburgischen Konfession revidierte Stundengebet, dessen Fortsetzung auch nach der Einführung der Reformation in einer nun bereinigten Form möglich war.

Um die »Ordinatio Cultus Divini« in ihrer liturgiegeschichtlichen und theologischen Bedeutung zu würdigen, gliedert der Vf. seine Untersuchungen in sieben Kapitel, an die sich die Textedition der Handschrift nebst Anhängen und Verzeichnissen anschließen. Im ersten Kapitel (1­26) skizziert er als Folie für die weitere Darstellung die Haltung Martin Luthers zum Stundengebet, der sich kritisch mit der Persolvierung der
Horae canonicae
im Sinne der Werkgerechtigkeit auseinandersetzt. Sodann werden die besondere Situation des Halberstädter Domkapitels in den Blick genommen und der Forschungsstand zur Liturgiegeschichte des mitteldeutschen Bistums resümiert. Vor diesem Hintergrund wendet sich der Vf. in einem zweiten Kapitel dem letzten vorreformatorischen Brevier Halberstadts zu (27­40), das im Auftrag des Kardinals Albrecht von Brandenburg 1515 in Nürnberg gedruckt wurde. Ihm kommt deshalb zu Recht ein besonderes Interesse zu, weil diese Ausgabe die Grundlage der lutherischen Liturgiereform von 1591 bildete. Zu dem kann der Vf. hier exemplarisch zeigen, dass man durchaus um die Würde des Gottesdienstes bemüht war (Ausstattung der Kirche), die eingerissenen Missbräuche und Nachlässigkeiten aber dennoch nach einer grundlegenden Reform riefen.

Diese sollte in Form der lutherischen Reformation in Halberstadt Einzug halten, deren Geschichte im dritten Kapitel dargestellt wird (41­72). Im Zuge der Auseinandersetzungen mit seinem Domkapitel über die Einführung der Reformation ist eine Rede des Bischofs Heinrich Julius von Braunschweig vom 23. Februar 1591 beachtenswert, in der er die zentralen theologischen Kritikpunkte an der überlieferten Liturgie benennt (vgl. den Wortlaut, 229­237), aus denen der Vf. die Leitlinien für die Reform des Stundengebetes eruieren kann. Dazu gehörten etwa die Notwendigkeit gemeinsamen Gebets für das Stiftsleben, die Orientierung des Stundengebets an der Schrift, die Vermeidung des Gedankens der Werkgerechtigkeit, die Frage nach der Liturgiesprache, die Reduktion dramatisch-ritueller Elemente und die Ausrichtung am Vorbild des komplett evangelisch besetzten Domstifts Magdeburg.

Weil nun eine zahlenmäßig kleine, aber dennoch starke Fraktion katholisch blieb, war das Halberstädter Domkapitel seither ge mischt konfessionell (1593: sieben lutherische, ein calvinistischer, vier katholische Domherren). Wenngleich schon seit 1589 im Hauptschiff ein evangelischer Gottesdienst stattfand, hielt das Kapitel seine lateinische Offiziumsliturgie im Chor der Kirche bei, die nun auf der Grundlage der genannten Leitlinien in der besagten Handschrift der Ordinatio revidiert wurde. Nach einem Ausblick auf die weitere Entwicklung bis zum Westfälischen Frieden 1648 und ­ in einem vierten Kapitel (73­78) ­ mit einer knappen Übersicht über das weitere Schicksal der Domliturgie bis zum letzten Brevierdruck von 1792 und der Auflösung des Stifts 1810 leitet der Vf. zu seiner zentralen Quelle über.

Das fünfte Kapitel (79­151) stellt zunächst einige grundsätzliche Änderungen im Stundengebet vor wie etwa die radikale Kürzung der Nocturnen, die stärkere Berücksichtigung der Schriftlesungen mit einer Beteiligung des Volkes bei der Sonntagsvesper, aber auch die Abschaffung von Totenoffizium und Heiligensuffragien sowie der rituellen Elemente (Prozessionen, Segnungen), bevor es exemp larisch einzelne Feste im Herrenjahr (Weihnachts- und Os ter fest kreis, dem Proprium de tempore) und im Heiligenjahr (Proprium de Sanctis) in den Blick nimmt. Dabei zeigt sich, dass, abgesehen von den Nocturnen, die Horenstruktur unangetastet blieb und auch das Proprium de tempore kaum inhaltliche Veränderungen hinnehmen musste. Dagegen wurde das Proprium de Sanctis vor allem im Bereich der Antiphonen und Orationen einer tiefgreifende Reinigung unterzogen. Dabei galten vor allem jene Motive als anstößig, die die Heiligen als Fürbitter erscheinen ließen.

Ein sechstes Kapitel greift kurz über die bisher hauptsächlich betrachtete Stundenliturgie hinaus und fragt nach der Praxis der eucharistischen Liturgie des gemischt konfessionellen Domkapitels (153­164). Das siebte Kapitel (165­169) fasst schließlich noch einmal die Beobachtungen und Ergebnisse der Studien zusammen.

Wie angedeutet dokumentiert der Band erfreulicherweise auch in einer umfassenden Beigabe die in den Untersuchungen angesprochenen Quellen. An erster und an zentraler Stelle gibt das achte Kapitel mit der Edition der »Ordinatio Cultus Divini et Caeremoniarium«, erschlossen durch ein Initienregister, Einblick in dieses für die Liturgiegeschichte wichtige Zeugnis (171­227). Das neunte Kapitel (229­280) bringt als Anhang weitere Texte und Tabellen (u.a. die Rede Bischofs Heinrich Julius vor dem Halberstädter Domkapitel, die Gottesdienstordnung und Predigt zur Einführung des evangelischen Dompredigers Dr. Martin Mirius und das Formular des Abendmahlsgottesdienstes für den Halberstädter Dom). Das Literatur- und Abkürzungsverzeichnis wie ein Sachregister be schließen das Werk (281­318).

Mit diesem Buch hat der Vf. die Kenntnis über die Liturgiegeschichte der frühen Neuzeit nicht nur allgemein erweitert. Vor allem der spezielle Blick auf ein gemischt konfessionelles Domkapitel zeigt, wie im Bereich des Stundengebetes die theologischen Vorgaben der reformatorischen Lehre mit der überkommenen gottesdienstlichen Tradition verbunden wurden, damit evangelische wie katholische Domherren eine Form für ihr gemeinsames Offizium finden konnten. Dies anhand der zur Verfügung stehenden Quellen erschlossen zu haben, ist ein Verdienst des Buches. Zu Recht betont der Vf., »dass die heute bewegende Frage nach einer Form der Ökumene nicht die Fragestellung der damaligen Zeit war« (167). Gleichwohl können historische Zeugnisse Anstoß sein, nach den heute möglichen und nötigen Formen für das bekennende, lobpreisende und bittende Beten der Kirche zu suchen, was in einer Gesellschaft, die Gott zu vergessen droht, eine wahrhaft ökumenische Aufgabe darstellt.