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Ausgabe:

März/2007

Spalte:

318-320

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Riches, John, and David C. Sim [Eds.]:

Titel/Untertitel:

The Gospel of Matthew in Its Roman Imperial Context.

Verlag:

London-New York: T & T Clark International (Continuum) 2005. VIII, 202 S. m. Abb. gr.8° = Journal for the Study of the New Testament. Supplement Series, 276. Lw. £ 60,00. ISBN 0-567-08448-5.

Rezensent:

Heike Omerzu

Seit etwa einem Jahrzehnt ist vor allem innerhalb der anglo-amerikanischen Exegese ein wachsendes Interesse am römischen Imperium als Kontext des frühen Christentums zu verzeichnen. Dabei ist der Blick weniger ­ wie etwa im Rahmen zeit- oder religionsgeschichtlicher Betrachtungen ­ auf Geschichte, Kultur und Religion Roms überhaupt gerichtet als vielmehr speziell auf die sozio-poli tischen Implikationen der römischen Machtstrukturen und deren Widerhall in frühchristlichen Gemeinden. Nachdem Warren Carter bereits im Jahr 2001 seine Monographie »Matthew and Empire. Initial Explorations« vorgelegt hat, will sich der hier anzuzeigende, von John Riches und David C. Sim herausgegebene Band gleichfalls dem imperialen Kontext des ersten Evangeliums widmen. Die Aufsatzsammlung enthält jedoch zur Hälfte Beiträge, die sich entweder wissenschaftstheoretisch mit dem Phänomen des Imperium Romanum an sich beschäftigen (Dennis C. Duling, Empire: Theories, Methods, Model, 49­74) oder aber andere jüdische (Philip F. Esler, Rome in Apocalyptic and Rabbinic Literature, 9­33; James S. McLaren, A Reluctant Prophet: Josephus and the Roman Empire in Jewish War, 34­48) und frühchristliche Reaktionen auf Rom (Peter Oakes, A State of Tension: Rome in the New Testament, 75­90) in den Blick nehmen. Die genannten Untersuchungen sind zwar recht informativ, bieten aber kaum Neues. Davon auszunehmen ist lediglich die von McLaren entfaltete Ansicht, im Bellum des Josephus spiegele sich keine Apologie der römischen Herrschaft, sondern im Gegenteil eine romkritische Haltung, was sich u. a. an der Abwertung der militärischen Stärke, Disziplin und Autorität Roms erweise. Josephus habe zwar die momentane Überlegenheit Roms als Teil des göttlichen Heilsplans akzeptiert, sei aber gewiss, dass Gott letztlich auch über das Imperium richten werde. Diese These bedarf, wie der Autor selbst einräumt, einer genaueren Überprüfung ­ immerhin ist sie originell.

Die zweite Hälfte des Bandes enthält schließlich vier Beiträge, die sich mit dem Verhältnis des Matthäus bzw. seiner Gemeinde zu Rom beschäftigen, dabei aber teilweise zu Recht unterschiedlichen Einschätzungen gelangen. Überraschend einmütig wird allerdings die Entstehung des Mt im syrischen Antiochien ohne weitere Be gründung vorausgesetzt (vgl. 3.5.92.101.143.149.151.166 u. ö.). Nach David C. Sim (Rome in Matthew¹s Eschatology, 91­106) teilt Mt wesentliche Züge der eschatologisch-apokalyptischen Vorstellungen der Qumranschriften und der Johannesapokalypse, so auch die Auffassung, dass Rom ein Verbündeter des Satans und als solcher der vollständigen Vernichtung im Endgericht unterstellt sei. Dieses Schicksal sei in der Kreuzigungsszene bereits proleptisch vorweggenommen. Dabei sei das Bekenntnis der römischen Soldaten (Mt 27,54) entgegen der gängigen Meinung nicht als Glaubenszeugnis, sondern als Eingeständnis ihrer Niedertracht und Schuld zu verstehen: »The supernatural events demonstrate the enormous power at Jesus¹s disposal and they concede their defeat in the face of this superior force.« (104) Dass Sim seine These weniger argumentativ am mt Text belegt als vielmehr auf Referate von eigenen Vorarbeiten und von Carters Untersuchung stützt, ist allein schon problematisch. Unbefriedigend erscheint dieses Vorgehen jedoch umso mehr, da John Riches sich in seinem Beitrag (Matthew¹s Missionary Strategy in Colonial Perspective, 128­142) sehr skeptisch gegenüber der Annahme eines geschlossenen apokalyptisch-kosmologischen Entwurfs bei Mt äußert. Die Aufnahme von Dan 7,13 f. in Mt 28,16­20 deutet seiner Ansicht nach vielmehr auf eine subtile Form kulturellen Widerstands, die keineswegs ausschließe, dass auch Römer zum Glauben kommen können. Auch Dorothy Jean Weaver (Thus You Will Know Them by Their Fruits: The Roman Characters of the Gospel of Matthew, 107­127) zeichnet in ihrem instruktiven Beitrag ein differenzierteres Bild der Römer. Obwohl Mt auf allen Ebenen der hierarchischen Ordnung (Soldaten, Centurio, Statthalter, Kaiser) die Macht Roms als brutal und unterdrückerisch darstelle, reagierten die einzelnen Charaktere völlig individuell ­ zustimmend, skeptisch oder ablehnend ­ auf die Heilsbotschaft Jesu und trügen so komplexe und realistische Züge. Zuletzt interpretiert Warren Carter bereits den Beginn des Mt als programmatische Kritik an Herrschaftsansprüchen Roms (Matthean Christology in Roman Imperial Key: Matthew 1.1, 143­165). Ob jedoch die Interpretamente Ô ¤ , Jesus, Christus, Sohn Davids und Sohn Ab rahams gleichermaßen »an alternative and just social vision« im Gegenüber zur Macht Roms entwerfen, scheint der Rezensentin zumindest fraglich.

Der Band wird durch (zu) knappe Einleitungs- und Schlussbemerkungen der Herausgeber gerahmt und durch ein Literaturverzeichnis (170­183) sowie Register der Stellen und Autoren (185­202) erschlossen.

Die versammelten Beiträge sind von unterschiedlichem Ertrag, vermitteln jedoch einen guten Einblick in eine gegenwärtige Fragestellung der Exegese. Dabei zeigen sie gerade in ihrer Disparatheit auf, dass auf diesem Gebiet noch einiger Forschungsbedarf ­ vor allem auf der Grundlage exakter Textanalysen ­ besteht.