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Ausgabe:

März/2007

Spalte:

317-318

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Plietzsch, Susanne:

Titel/Untertitel:

Kontexte der Freiheit. Konzepte der Befreiung bei Paulus und im rabbinischen Judentum.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2005. 208 S. gr.8° = Judentum und Christentum, 16. Kart. EUR 20,00. ISBN 3-17-018743-0.

Rezensent:

Klaus Wengst

Diese Studie auf hohem interpretatorischen Niveau wurde 1999 als Dissertation in Leipzig angenommen und für die Veröffentlichung »noch einmal völlig neu überarbeitet« (9). Der für die Dissertation gewählte Untertitel gibt Thema und These der Arbeit prägnant an: »Freiheit als anthropologische Mitte des rabbinischen Judentums und des paulinischen Christentums«. »Paulus wie die Rabbinen sind bestrebt, Š theologische Ausdrucksformen für den Topos der Freiheit und Autonomie der einzelnen menschlichen Person zu finden« (14). Dabei ist »Freiheit« verstanden »im Sinne von Souveränität und Verantwortlichkeit«, nämlich »Verantwortlichkeit der einzelnen Person für einen Veränderungsprozess, der über sie hinausgreifen soll: Befreiung und Korrektur der Welt in Richtung ihrer Wieder-Erkennbarkeit als Schöpfung Gottes« (ebd.). Ähnlich formuliert die Vfn. am Schluss: »Integrität und Souveränität der Person einerseits und ihre uneingeschränkte Verantwortlichkeit andererseits sind in diesem Denken zwei Seiten einer Medaille« (194). Sie bezeichnet es als Ziel ihrer Arbeit »zu zeigen, dass Paulus diese Anthropologie nicht nur an keiner Stelle in Frage stellt, sondern sie aufs Neue vermitteln will. Es entsteht der Eindruck, dass beide theologischen Systeme angetreten sind, diese Anthropologie zu bewahren und den Gedanken der Verantwortlichkeit des Individuums in die römische Ära hinein zu vermitteln« (195). Damit ist die systematische Klammer angegeben, die die Textarbeit umschließt und ihr eine klare Ausrichtung gibt. Die Kehrseite solcher Systematik ist jedoch, dass mir die Textarbeit hinsichtlich der auf konkrete Probleme bezogenen paulinischen Briefe einen etwas abgehobenen Eindruck macht.

Mit der Vfn. bin ich davon überzeugt, »dass das Studium der frühen rabbinischen Texte Š eine unabdingbare Voraussetzung für die neutestamentliche Exegese darstellt« (19). Methodisch plädiert sie für eine »Spurensuche«, die »von einzelnen Signalen aus(geht), die die neutestamentlichen Texte ðaussendenÐ und die auf bestimmte Inhalte und Zusammenhänge verweisen, die sich in den frühen rabbinischen Texten wiederfinden« (23). Ihr Buch ist ein schöner Beleg für die Fruchtbarkeit solchen Vorgehens.

Im ersten Hauptteil stellt sie das rabbinische Verständnis von Freiheit dar in der Entwicklung von »Grundstrukturen« anhand der »Chiffre der ge¹ulla«, in der gegenseitigen Bezogenheit von Exodus und Sinai und in der liturgischen Erfahrungspraxis von Freiheit an Rosch ha-Schana und Pessach. Aus den kenntnisreich und einfühlsam vorgetragenen Interpretationen sei hier nur auf die Ausführungen zu mAv 6,2 hingewiesen, wo neben die Lesung charut (»eingeritzt«) in Ex 32,16 die Lesung cherut (»Freiheit«) gestellt wird: »Die Schrift auf den Tafeln kann als ðFreiheitÐ bezeichnet werden, weil nur die Person frei ist, die sich mit eben dieser Schrift beschäftigt. Š Indem die Tafeln einschließlich ihrer Beschriftung als Werk Gottes vorgestellt werden, sind sie kein sekundäres Produkt, sondern selbst eine Schöpfung. Ihre Beschriftung, die ihre originäre Bestimmung ausmacht und vollendet, ist also genau das, was sie mitteilt: Freiheit, ein Signal der Originalität und Autonomie« (66).

Wie die Vfn. schon im ersten Hauptteil immer wieder Paulus mitreden lässt, so im zweiten die Rabbinen. In reflektierter Weise werden die jeweiligen Textprofile herausgearbeitet, Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlich gemacht und auch Unvereinbarkeiten klar benannt. Am Beginn des Paulusteils versteht sie »die souveräne Erkenntnis der Einheit ­ der Gemeinde, der Person und der Schöpfung ­ als Thema des 1Kor« und bespricht den Brief unter diesen Gesichtspunkten. Der Text Röm 1­8 wird unter der Überschrift »Grenzüberschreitung und Transformation« durchgegangen. Im Gal verknüpfe Paulus »die Forderung nach Unabhängigkeit der nichtjüdischen Gemeindemitglieder von Vorgaben der Tora mit der Schöpfungsintegrität« (147). Hier spielen dann vor allem auf Isaak bezogene Texte eine Rolle. Schließlich wird 2Kor 3 mit den Motiven Gesetzestafeln, Freiheit, Licht und Versöhnung im Ge spräch mit der jüdischen Auslegungstradition als »Freiheit und Versöhnung im ðaltenÐ und ðneuenÐ Bund« besprochen, wobei »die Zusammenhänge zwischen ðaltÐ und ðneuÐ differenzierter verstanden werden müssen denn als bloße Antithese« (172).

Das ist ein anspruchsvolles Programm, all diese Texte auf gerade einmal 90 Seiten zu erörtern. So hatte ich gelegentlich den Eindruck, dass die Vfn. sich zu viel vorgenommen hat. Auf der anderen Seite ist mir nicht einsichtig geworden, wieso der Gang durch den Römerbrief mit Kapitel 8 enden musste. Aber es kann keinen Zweifel darüber geben, dass sie ein sehr kluges und äußerst anregendes und hinsichtlich des aufzuweisenden Zusammenhangs des paulinischen mit dem rabbinischen Denken notwendiges Buch geschrieben hat.