Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2007

Spalte:

285-287

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Keel, Othmar, u. Silvia Schroer:

Titel/Untertitel:

Schöpfung. Biblische Theologien im Kontext altorientalischer Religionen.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht; Freiburg (Schweiz): Universitätsverlag 2002. 302 S. m. 169 Abb. gr.8°. Kart. EUR 32,00. ISBN 3-525-53500-7 (Vandenhoeck & Ruprecht); 3-7278-1342-3 (Universitätsverlag).

Rezensent:

Jürgen Ebach

»Das vorliegende Buch handelt schwerpunktmäßig von den biblischen Versuchen, die Welt als gelungene und gesegnete Schöpfung zu begreifen. Das ist kein leichtes Unterfangen angesichts ihrer Komplexität und Undurchsichtigkeit, und daher ist es auch kein Wunder, dass verschiedenste Modelle sich in einem faszinierenden Bemühen ablösen, ergänzen und immer wieder neue Aspekte in den Vordergrund rücken.« Dieser erste Satz des Vorworts zu dem Band, den Othmar Keel und Silvia Schroer gemeinsam vorgelegt haben, kennzeichnet präzise die Fragestellung und die Aufgabe. Dabei ließe sich der zweite Satz des Zitats ebenso auf die »verschiedensten Modelle« beziehen, die sich in der Theologie- und Forschungsgeschichte zum Schöpfungsthema »ablösen, ergänzen und immer wieder neue Aspekte in den Vordergrund rücken«. Die der Darstellung einzelner biblisch-altorientalischer Themenkreise vorangestellten ausführlichen Abschnitte zum »Stellenwert der Schöpfungsüberlieferungen in einigen christlich-theologischen Strömungen des 20. Jh.« (15­29) und zu den »Heutige(n) Herausforderungen christlicher Schöpfungstheologie« (30­36) gehören daher ebenso zur Sache selbst wie die Einleitung (11­13), die unter der kritischen Frage steht: »Primat der Exodustheologie vor der Schöpfungstheologie?« (11).

Es nimmt nicht Wunder, dass Sch. und K. selbst diese Frage entschieden verneinen ­ und zwar auf der historisch-exegetischen Ebene ebenso wie auf der hermeneutischen und theologischen Ebene mit entsprechenden Impulsen für kirchliche Verkündigung und (ein explizit mit adressiertes Ziel) religionspädagogische Vermittlung. In dieser Zielstellung entfalten Sch. und K. einen großen Bilderbogen, der, entstanden aus einer Reihe von Vorarbeiten, Vorträgen und Vorlesungen, gleichwohl ein imponierendes Ganzes ergibt. Es geht ihnen darum (noch einmal sei aus der Einleitung zitiert), »die Schöpfungstraditionen des Ersten Testaments als konstitutive Glaubenszeugnisse der JHWH-Religion« zu begreifen und »in der Konfrontation mit aktuellen Fragen« gegenwärtig zu machen (13), und zugleich darum, »der in der deutschsprachigen alttestamentlichen Exegese noch stark dominierenden Position evangelischer ðOrthodoxieÐ eine Alternative gegenüberzustellen« (ebd.). Diese Alternative entfalten Sch. und K. in mehreren Themenkreisen. Sie zeigen »Relikte einer numinosen Wertung der Umwelt in der He bräischen Bibel« (37­91), stellen den Zusammenhang von »Schöpfung und Segen« dar (92­99), thematisieren kosmogonische Entwürfe (gerade auch gegen die Vorstellung von dem altorientalischen Weltbild, 100­135), stellen in einer Vielfalt von Aspekten »Die Welt als Manifestation des göttlichen Tuns« dar (136­190) und bringen Zerstörung und Bedrohung als Themen der biblischen Schöpfungstheologien ins Bewusstsein (191­197.198­211). Ein kleiner und er hellend-kontextualisierender Abschnitt befasst sich mit der frühen griechischen Philosophie (212­217) und zwei ­ gerade auch un ter feministisch-theologischer Perspektive besonders spannende­ Ka pitel haben die Weisheit und die Erotik als Perspektive der Weisheit sowie die Theologisierung der Weisheit zum Thema (218­225.226­236).

Im ausführlichen Anhang finden sich eine gelungene Auswahl außerbiblischer Texte, eine große Fülle von Literaturhinweisen sowie ein Sachregister. Das Buch enthält eine Reihe von Abbildungen, die als bloße Illustrationen anzusehen die Funktion altorientalischer Bilder als »Denkbilder« gründlich verfehlen würde. Es ist das unschätzbare Verdienst der »Fribourger Schule«, dass sie (in einer Fülle von Arbeiten und so auch in diesem Buch) die lange herrschende Vorstellung eines ðimmer schonÐ bildlosen, genuin monotheistischen, seiner »Umwelt« von vornherein antagonistisch ge genüberstehenden Israel entschieden korrigiert hat. Zuweilen könnte allerdings die altorientalische Kontextualisierung alttestamentlicher Texte wiederum zur Engführung werden. Wenn etwa im Abschnitt über Prov 1­9 und besonders 8,22­31 (220 f.) mit dem Verweis auf die ägyptische Ma¹at für das nicht eindeutig zu deu tende Wort ¹amon mit größter Sicherheit einzig die Bedeutung »Expertin« vertreten und die »leider in vielen großen Bibelübersetzungen immer noch« präsente Wiedergabe als »Schoßkind« ebenso entschieden abgewiesen wird, wird der altorientalische Text- und Bildbefund m. E. zu einlinig zum Maßstab der Auslegung des bib lischen Textes. Gegen solche Eindeutigkeit könnte die durchaus produktive Vielfalt, die der Genesis-Midrasch Bereschit rabba Par. I,1 in den unterschiedlichsten Verstehensmöglichkeiten dieses Wortes aufzeigt und mit Gen 1,1 verknüpft, (m. E. letztlich im Sinne von Sch. und K.) im Blick auf die Polyphonie des biblischen Kanons und seiner Lektüre stark gemacht werden.

Wenn am Ende dieser Besprechung Rückfragen stehen, so nicht als Kritik des Unternehmens, sondern als Hinweis auf die Gefahr, dass eben das, was einmal Kritik eines wissenschaftlichen und kirchlichen Zeitgeistes war und womöglich auch noch ist, seinerseits affirmativ und konventionell werden kann. Um noch einmal auf die plakative Eingangsfrage (13) zurückzukommen: Ein »Primat« des Exodus vor der Schöpfung ginge sowohl am literarischen wie am theologischen Befund der Hebräischen Bibel vorbei. Darin ist Sch. und K. schlicht zuzustimmen. Aber bei dieser notwendigen Korrektur sollte nicht unterbelichtet bleiben, dass die Hebräische Bibel an entscheidenden Stellen den Exodus und nicht die Schöpfung ins Zentrum rückt. Der Dekalog beginnt eben nicht mit der Selbstvorstellung der Gottheit, die Himmel und Erde gemacht hat, sondern der, die Israel aus dem Sklavenhaus herausgeführt hat. Israel ist keineswegs ðimmer schonÐ monotheistisch, doch wird das Bekenntnis zu dem einen Gott als dem Schöpfungs- und Exodusgott in einer bestimmten Zeit zentral; Israel ist keineswegs ðimmer schonÐ im Gegensatz zu den übrigen Kulturen des alten Orients zu verstehen, doch in einer bestimmten Zeit wird die Identität Israels auch in einem solchen Gegensatz formuliert. Kurz: Das alttestamentliche Israel ist nur in den Kontexten des alten Orients verstehbar, aber es geht in diesen Kontexten nicht auf. Die entscheidende Frage lautet darum nicht, was richtig ist, sondern, was wann und wogegen richtig wird. Als Gerhard von Rad den Primat der Geschichte vor der Schöpfung betonte, tat er das gegen eine »natürliche« Theologie, welche zu einer »braunen« Theologie wurde. Auch wenn diese Opposition sich im Blick auf die historischen und exegetischen Sachverhalte als Verkürzung erwies (und von G. v. Rad später auch als solche wahrgenommen wurde), bleibt sie als Widerspruch gegen einen Zeitgeist richtig. Gerade mit Sch. und K. ist auf der Vielfalt der Positionen zu beharren, die (um ein letztes Mal aus dem Vorwort zu zitieren) »sich in einem faszinierenden Bemühen ablösen, ergänzen und immer wieder neue Aspekte in den Vordergrund rücken«. Das gilt nicht nur für die biblischen Texte, sondern auch für die je neu notwendigen Versuche sie zu vergegenwärtigen.