Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/2007

Spalte:

226-229

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Hoffmann, Klaus:

Titel/Untertitel:

Die große ökumenische Wegweisung. Die Bedeutung der Versöhnungsethik Karl Barths für die ökumenische Bewegung im konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung heute.

Verlag:

Frankfurt a. M.-Berlin-Bern-Bruxelles-New York-Oxford-Wien: Lang 2004. 368 S. 8° = Europäische Hochschulschriften. Reihe XXIII: Theologie, 786. Kart. EUR 56,50. ISBN 3-631-52406-4.

Rezensent:

Matthias Haudel

Die Resonanz des konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung hat in der ökumenischen Bewegung spürbar abgenommen, nicht zuletzt auf Grund divergenter theologischer und hermeneutischer Orientierungen. Deshalb möchte Klaus Hoffmann dem konziliaren Prozess in seiner Untersuchung, die von der Kirchlichen Hochschule Wuppertal als Dissertation an genommen wurde, eine neue ökumenische Wegweisung eröffnen. Deren Grundlage sieht H. in Karl Barths »Ethik des in der Versöhnung in Christus erfüllten Bundes mit Israel und der Völkerwelt« (16 f.) gegeben, insofern als er Barths Versöhnungslehre und -ethik als dessen ökumenisches Testament mit aktueller Bedeutung für die Herausforderungen des konziliaren Prozesses qualifiziert. H. versucht diese These zu belegen, indem er folgende Themen erörtert: die Geschichte des konziliaren Prozesses bis zur gegenwärtigen Problematik seiner Aktualisierung (II. Kapitel), Barths Weg zu einer ökumenischen Theologie und Ethik des in der Versöhnung erfüllten Bundes (III. Kapitel), Barths Ethik als Wegweisung für die ökumenische Bewegung im konziliaren Prozess (IV. Kapitel) und für dessen aktuelle Fragestellungen (V. Kapitel).

Im II. Kapitel setzt H. mit der auf der 6. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Vancouver (1983) ausgesprochenen Einladung zu einem konziliaren Prozess ein und erörtert sowohl die historische Entwicklung des konziliaren Prozesses als auch die Grundlagen seiner zentralen Begriffe. Zur Darlegung des Konzilsbegriffs greift H. bis auf Dietrich Bonhoeffers Aufruf zu einem ökumenischen Konzil des Friedens (Fanö 1934) zurück, um schließlich zu zeigen, wie der Konzilsbegriff auf Grund seiner konfessionell unterschiedlichen Einschätzung schon bald vom Begriff des »Bundes« zwischen Gott und Mensch als Leitbegriff des konziliaren Prozesses abgelöst wurde. In der sich anschließenden Analyse der ökumenischen Versammlungen des konziliaren Prozesses auf der Ebene des ÖRK (Seoul 1990) und der Konferenz Europäischer Kirchen (Basel 1989, Graz 1997) kritisiert H. den zunehmenden Verlust theologischer Grundlagen, den er besonders mit dem Paradigmenwechsel von einer christologischen Grundlegung zu einer schöpfungstheologischen Sicht der Hausgenossenschaft Gottes verbindet. Auf Grund der mit diesem Paradigmenwechsel einhergehenden Gefahr der Verabsolutierung partikularer Kontexte kirchlichen Lebens und einer entsprechend pluralistischen Ekklesiologie sowie Sozialethik, die kaum zwischen den verschiedenen Kontexten vermitteln kann und den Bundesbegriff nicht zu füllen vermag, sieht H. ­ wegen der fehlenden gemeinsamen Orientierung ­ im Paradigmenwechsel keine angemessene Antwort auf die globalen Herausforderungen für das Überleben der Menschheit.

Eine hilfreiche Verbindung von weltweiter Kontextualität und gemeinsamer theologischer Orientierung ergibt sich für H. aus Barths christozentrischer Theologie und Ethik des in der Versöhnung erfüllten Bundes, die im III. Kapitel in ihrer Entstehung als kontextuell und ökumenisch analysiert wird. Unter Berücksichtigung der Entstehung der ökumenischen Bewegung stellt H. die Rede Barths auf der Gründungsvollversammlung des ÖRK (Amsterdam 1948) in den Kontext der Entstehung von Barths dialektischer Theologie und der davon geprägten Barmer Theologischen Erklärung (1934) der Bekennenden Kirche sowie des von deren Bruderrat verfassten Darmstädter Wortes (1947). H. zeigt, wie »sich die Gestalt einer Theologie und Ethik des Bundes und der Versöhnung bei Barth vorabzeichnet« (101), die später in der Versöhnungslehre und der ­ nur noch fragmentarischen ­ Versöhnungsethik der Kirchlichen Dogmatik Barths hervortritt. Die Kontextualität dieser Theo logie bestehe in dem Versöhnungsbedarf nach den beiden Weltkriegen sowie im Kirchenkampf, während ihre Ökumenizität aus dem Rückgriff auf das eine Wort Gottes in Christus hervorgehe, das gegenüber den Ansätzen liberaler und natürlicher Theologie sowie gegenüber totalitären staatlichen Ansprüchen Geltung für alle Lebensbereiche beanspruche (1. u. 2. Barmer These). Daraus ergebe sich eine ökumenische Theologie, »deren Subjekt der Š Gott Israels und Vater Jesu Christi und deren Thema die durch Gottes Initiative begründete Beziehung zu den Menschen (dem Volk Israel und der Völkerwelt) im Raum des Bundes ist« (184), durch den in Christus die Einheit der Kirchen sowie ihre Weltverantwortung vorgegeben sind und die verschiedenen kulturellen Kontexte im Israelbund ihre gemeinsame Grundlage finden. »Die Š von Barth im Kampf der bekennenden Kirche Š geschärften theologischen Einsichten bilden die inhaltliche Basis bei der Gründung des ÖRK« (184). In diesen nach 1970 in Vergessenheit geratenen ökumenischen Grundlagen sieht H. das Potenzial, dem konziliaren Prozess neue Impulse zu geben.

Noch vor der näheren Erörterung dieser These im IV. und V. Kapitel stellt sich die Frage, ob die historische Darstellung ihrer Plausibilität nicht auch auf Engführungen beruht, wenn etwa die Entstehung der ökumenischen Bewegung auf die Versöhnungs-, Gerechtigkeits- und Friedensthematik reduziert erscheint. Welche Bedeutung die Missionsbewegung, die neue soziale Problematik der Industrialisierung, die gemeinsame Besinnung auf die Bibel oder Fragen von Glauben und Kirchenverfassung für die Entstehung der ökumenischen Bewegung hatten, tritt ebenso wenig hervor wie die Bedeutung solcher Faktoren für das Verständnis von Konziliarität und Ökumenizität heute: nachlassendes Bewusstsein für die Ökumenizität der Kirchen wird allein mit der schwindenden Dynamik des konziliaren Prozesses in Verbindung gebracht (332 f.). In Korrespondenz dazu wird die von Barth nur noch fragmentarisch hinterlassene Ethik auf diese ökumenischen Prioritäten hin interpretiert, wobei grundsätzlich ökumenisch relevante Ansätze Barths­ wie seine wirkungsgeschichtlich bedeutsame Besinnung auf die Trinitätslehre ­ ausgeblendet bleiben.Das wirkt sich auf die Darlegung der Bedeutung von Barths Theo logie und Ethik für den konziliaren Prozess und seine Themen im IV. und V. Kapitel aus. Zunächst zeigt H. zu Recht die Gefahr, dass ein theozentrisch-schöpfungstheologischer Ansatz nicht nur zu indigener bzw. kultureller Partikularisierung führen kann (Ausblendung der gemeinsamen Basis des Israelbundes), sondern auch zu einem natürlich-theologisch und pluralistisch geprägten Religionsverständnis, mit dem sich religiöse und ethische Beliebigkeit zu verbinden vermag. In Barths Bundes- und Versöhnungstheologie, die laut H. die Leitbegriffe des konziliaren Prozesses (Bund, Versöhnung) enthält und die das messianisch-prophetische Befreiungshandeln Christi als auf die Völkerwelt bezogene Erfüllung des Bundes Gottes mit Israel charakterisiert, sieht H. eine tragfähige ökumenische Grundlage für die Themen des konziliaren Prozesses. Angesichts der Tendenzen ökonomisch-politischer Globalisierung und kultureller Fragmentation gelte das besonders für Barths theo-politische Sicht der herrenlosen Gewalten in ihrer politischen, ökonomischen, ideologischen und konsumistischen Gestalt. Aus gangs punkt der aktuellen Anforderungen müsse wieder die alttes tamentliche Befreiung Israels und die darauf beruhende Befreiung der Völkerwelt durch Christus werden. Deshalb bedürfe die Weiterentwicklung des ökumenischen sozialethischen Konzepts der »Verantwortlichen Gesellschaft« der Erinnerung an die fundamentale Israelbezogenheit.

In der Weiterentwicklung dieser Gedanken kommen die oben beobachteten Engführungen zum Tragen, insofern als die tiefe Ur sache aktueller ökumenischer Defizite in der »Israelvergessenheit« (299) gesehen wird und H. auf der Grundlage des Abraham-Sohnes Jesus Christus und »der Abraham-Ismael-Gemeinschaft zum Dienst des Abraham-Segens« von einer »ökumenischen Abraham-Gemeinschaft des Islam« spricht, die »als Infragestellung des römisch-katholischen Imperiums« (325) gilt. Es bleibt zu fragen, ob sich diese ­ von der einseitigen Konzentration auf den Israelbund ausgehende ­ Vermengung von ökumenischer und interreligiöser Ebene mit ihren Ergebnissen dem Gefälle des Denkens Barths zu ordnen lässt und als ökumenische Wegweisung für den konziliaren Prozess zu dienen vermag. Darüber hinaus stellt sich grundsätzlich die Frage, wie eine partielle Interpretation der Theologie Barths, die schon innerprotestantisch nicht leicht kommunikabel ist, als allgemeine Grundlage zur Erneuerung der weltweiten interkonfessionellen Ökumene kommuniziert werden soll. Ein Blick auf Barths trinitätstheologische Besinnung, die den heilsgeschichtlichen Zu sam men hang unter Berücksichtigung des Israelbundes mehr aufzuweiten vermag, ohne die ökumenischen Kriterien zu vermengen, wäre hier hilfreich, zumal eine Anknüpfungsmöglichkeit an die trinitäts theo logische Besinnung in den anderen Konfessionen be steht, die wiederum Kriterien für den interreligiösen Dialog bereithält. Außerdem könnte durch eine angemessene Zuordnung von schöpfungstheologischer, christologischer und pneumatologischer Di mension eine differenzierte Zuordnung von Universalität und Partikularität gelingen, so dass die Ziele des Paradigmenwechsels ohne die aufgezeigten Gefahren erreicht werden.

Es bleibt aber das Verdienst H.s, dass er den Zusammenhang von Barths Theologie und ihrem ökumenischen Kontext dezidiert aufgezeigt hat und dadurch einzelne Impulse herausarbeiten konnte, die Barths Versöhnungsethik für den konziliaren Prozess nach wie vor bereithält. Die so gegebenen Anregungen ließen sich allerdings besser aufnehmen, wenn das Lesen durch eine angemessenere Schriftgröße weniger beschwerlich wäre.