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Ausgabe:

Februar/2007

Spalte:

220-222

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Grefen, Jochen:

Titel/Untertitel:

Kirchenasyl im Rechtsstaat: Christliche Beistandspflicht und staatliche Flüchtlingspolitik. Kirchenrechtliche und verfassungsrechtliche Untersuchung zum sogenannten Kirchenasyl in der Bundesrepublik Deutschland.

Verlag:

Berlin: Duncker & Humblot 2001. 317 S. gr.8° = Schriften zum Öffentlichen Recht, 848. Kart. EUR 49,00. ISBN 3-428-09834-X.

Rezensent:

Helmut Goerlich

Die bei Wolfgang Rüfner in Köln gefertigte Dissertation bietet ein solides Stück historischer und rechtsdogmatischer Arbeit. Sie verdient auch nach einigen Jahren unverändert Beachtung, zumal sie am Ende einer Entwicklung veröffentlicht wurde, die zu mehreren Arbeiten zu diesem Thema geführt hatte und nur wenig später noch durch eine Publikation zur amerikanischen Sanctuary-Bewegung ergänzt wurde (vgl. die Nachweise mit Rezensionen von H. u. A. Radtke, in: ZevKiR 46 [2001], 478 ff. u. 490 ff.; diese Autoren waren auch zuvor durch einen Beitrag zu »ðKirchenasylÐ und strafrechtliche Verantwortlichkeit von Mitgliedern des Kirchenvorstandes«, in: ZevKiR 42 [1997], 23 ff., hervorgetreten). Ein praktisches Problem stellt das »Kirchenasyl« im Übrigen nach wie vor dar: Nach epd-Meldungen befinden sich in Deutschland ca. 100 Personen in diesem Status, zu einem großen Teil offen bei nahezu 30 evangelischen oder katholischen Gemeinden, zu einem kleineren Teil auch im »stillen Asyl«. Wenige enden mit einer staatlichen Duldung des Aufenthalts oder der Anerkennung als Flüchtling, doch es kommt seltener zur Abschiebung aus dem Kirchenasyl.

Nach einer Einleitung zur Problemübersicht und zum Gang der Untersuchung folgt eine historische Entwicklung des Kirchenasyls von der Antike bis zur Gegenwart, darauf ein großer Abschnitt über die Praxis des Kirchenasyls in der Bundesrepublik Deutschland; dann schließen sich die heutige kirchenrechtliche Einordnung des Kirchenasyls aus katholischer und protestantischer Perspektive und eine eingehende verfassungsrechtliche Einordnung des Kirchenasyls an. Schließlich wird eine Zusammenfassung geboten, die ebenso übersichtlich und klar gehalten ist wie alle Teile des Buches.

Näher betrachtet kommt die Arbeit zu folgenden Ergebnissen: Historisch ist das Asylrecht hervorgegangen aus der antiken Schutzgewähr an heidnisch heiligen Orten (reverentia loci). Daraus folgte für die frühe Kirche eine Pflicht, für Verfolgte einzutreten (intercessio). Kirchenrechtlich ergab sich daraus ein vorläufiges Auslieferungsverbot. Teilweise führte dies zu einer staatlichen Anerkennung kirchlichen Asyls. Während des Kirchenasyls konnte dann die staatliche Sanktion nicht durchgreifen. Allerdings verschwand diese weitreichende Form mit dem Aufstieg des neuzeitlichen Territorialstaates allmählich. Diese Entwicklung ist mit dem Ausgang des 18. Jh.s abgeschlossen, doch die römisch-katholische Kirche wi dersetzte sich ihr. Sie verzichtete erst 1983 auf eine förmliche Neuregelung des Asyls im kanonischen Gesetzbuch. Dennoch blieb der Gedanke des Kirchenasyls erhalten, und es kam um diese Zeit zu ersten Fällen des »Kirchenasyls« in der Bundesrepublik. Dieses stellt kirchlicherseits das staatliche Asylmonopol nicht in Frage, sucht aber christliche Gerechtigkeitsvorstellungen umzusetzen, soweit im weltlich-staatlichen Recht humane Mindestanforderungen derzeit nicht gewahrt sind. Insoweit gehört zum Kirchenasyl auch die Gewährung von Unterkunft und Verpflegung, was aber nicht be deutet, dass der kirchliche Raum etwa im Sinne eines heiligen Ortes vom staatlichen Recht ausgenommen sein soll. Die Formen dieses Asyls unterscheiden offenes, halboffenes und verstecktes Asyl, wo bei in unterschiedlicher Weise Publizität und Öffentlichkeit als Instrumente des Aufbaus politischen Drucks genutzt werden können und Kirchenasyl grundsätzlich von »Privatasyl« abzugrenzen bleibt.

Kirchenrechtlich gesehen gibt es auch im katholischen Bereich kein Asyl des heiligen Ortes mehr. Der Rechtsanspruch der Kirche auf territoriale Rechtshoheit bleibt aufgegeben. Auch die evange lische Seite sieht dies nicht anders. Ihr ist das Heiligtumsasyl schlechthin fremd, da ihr Kirchenverständnis heilige Orte nicht kennt. Aber dennoch und unabhängig davon gilt für beide Kirchen das Interzessionsrecht zu Gunsten Bedrängter und die Schutzgewähr im Falle staatlicher Maßnahmen zur Unzeit sowie in der Folge von Gefahren für Leib und Leben. Die Ausübung dieser Befugnisse steht den Pfarrgemeinden vor Ort zu. Die Hilfe beschränkt sich aber auf ein Interzessionsasyl im genannten Sinne, das die staatliche Rechtsordnung nicht zurückweist. Aus diesem Grunde kommt eine Begründung der Asylgewähr aus einem wie immer gearteten ­ etwa naturrechtlichen ­ Widerstandsrecht oder einer Befugnis zum zivilen Ungehorsam nicht in Betracht.

Verfassungsrechtlich gründet das so verstandene Kirchenasyl auf dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht und führt zu einem Beteiligungsanspruch an staatlichen Rechtsverfahren des Asyl- und Ausländerrechts. Dessen Begründung beruht darauf, dass das Selbstverständnis der Kirchen maßgeblich ist für die Bestimmung der Reichweite der Selbstbestimmungsgewährleistung der Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV. Im Verhältnis zur Grenze dieses Rechts im »für alle geltenden Gesetz« hat eine Zuordnung von Recht und Schranke zu erfolgen, die das Selbstverständnis nicht verdrängt. Allerdings gewähren weder Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV noch Art. 4 Abs. 2 GG einen Anspruch auf eine bestimmte Sachentscheidung, da sonst Art. 16 a GG leerlaufen könnte. Insoweit muss die Zuordnung der relevanten Verfassungsnormen in praktischer Konkordanz unter Wahrung eines einschlägigen Anwendungsbereiches auch zu Gunsten staatlicher Befugnisse und sonstiger Berechtigungen, d. h. hier des Asylanspruchs kraft staatlichen Rechts, erfolgen.

Neben religionsrechtlichen Garantien ist es den Kirchen aber un benommen, sich auf Art. 13 und Art. 17 GG, also den Schutz gegen Eingriffe in Wohnung und Räume oder das staatliche Petitionsrecht, zu berufen. Auch kann an der öffentlichen Debatte gemäß den Garantien des Art. 5 Abs. 1 GG teilgenommen werden, wobei den Kirchen als juristischen Personen dazu und insoweit Art. 19 Abs.3 GG verhilft, während dieser ergänzende Rückgriff auf eine Erweiterung des Anwendungsbereichs von Individualgrundrechten für das einzelne Kirchenmitglied als natürliche Rechtsperson nicht erforderlich ist.

Im staatlichen Recht findet sich allerdings kein Recht auf »zivilen Ungehorsam« und kein für das Kirchenasyl weiterhelfendes Widerstandsrecht. Allerdings kann das Kirchenasyl bewirken, dass staatliche Verwaltungsbehörden und Gerichte bei Anwendung von asylverfahrens-, verwaltungsverfahrens- und ausländerrechtlichen Vorschriften eine verfassungskonforme Auslegung dahin vorzunehmen haben, dass das Interzessionsasyl der Kirchen zu berück sichtigen und bei der Bewertung von Sachverhalten einzubeziehen ist. Auch ist die Anordnung von Abschiebungshaft während eines andauernden Interzessionsasyls aus diesem Grunde unzulässig, zu mal schon kein Haftgrund vorliegt. Und schließlich wirkt das Interzessionsasyl als Rechtfertigungsgrund für Kirchenmitglieder und Kirchenbedienstete, so dass sie für die Gewährung von Interzessionsasyl nicht bestraft werden können.

Dieser Aufriss zeigt, wie zahlreich die Fragen sind, die dieses Buch näher durchdringt und in qualifizierter Weise beantwortet. Es ist immer noch die beste Arbeit in diesem Kontext. Und das wird geraume Zeit so bleiben, da die Recherchen erschöpfend, die Analysen vollständig und die Schlüsse auf dieser wissenschaftlich fundierten Basis überzeugend sind und bleiben werden.