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Ausgabe:

Februar/2007

Spalte:

202-204

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Hartmann, Wolfgang:

Titel/Untertitel:

Existenzielle Verantwortungsethik. Eine moraltheologische Denkform als Ansatz in den theologisch-ethischen Entwürfen von Karl Rahner und Dietrich Bonhoeffer.

Verlag:

Münster: LIT 2005. 320 S. gr.8° = Studien der Moraltheologie, 31. Kart. EUR 29,90. ISBN 3-8258-8504-6.

Rezensent:

Christiane Tietz

Einem Paradigmenwechsel in der katholischen Moraltheologie gilt die Aufmerksamkeit dieser Erfurter Dissertation. Gemeint ist eine seit dem II. Vatikanum vollzogene Wende: weg von einem rein naturrechtlichen Ansatz hin zu stärker personalen Kategorien. Während ersterer »eher objektivistisch« (12) Prinzipien des Naturrechts auf konkrete Situationen anwenden will, rückt letzterer den Ruf Gottes an den Einzelnen und das darauf antwortende Handeln ins Zentrum. Mit dieser Verschiebung nimmt die nachkonziliare theologische Ethik »die existenzielle Einmaligkeit des ethischen Individuums in seiner psychischen und sozialen Bedingtheit neu in den Blick« (14) und macht dialogisch gedachte Verantwortung zum Leitbegriff ethischen Denkens. Solche Orientierung am Konzept der Verantwortung entspricht nach dem Urteil des Vf.s »der Komplexität der Lebensverhältnisse, in die sich der Mensch gestellt sieht und die mit allgemeinen Weisungen nicht zu bewältigen sind«, wobei die konstruktive Leistung einer Verantwortungsethik darin besteht, dass der Handelnde trotz aller empfundenen Relativität »in ein Beziehungsgeschehen eingebettet« (16 f.) und also nicht sich selbst überlassen ist.

Grundlage ethischen Handelns ist konkret eine »existenzielle Gotteserfahrung«, nämlich die »Erfahrung personaler Identität« als Erleben, »im gesamten moralischen Tun in Gott selbst gehalten zu sein« (19). Da Karl Rahner in seinem existenzialethischen Ansatz um diese unmittelbare Gotteserfahrung kreist, erörtert die Arbeit in den ersten beiden Kapiteln konzentriert und kurzweilig die Ausführungen des großen jesuitischen Theologen. Wird das konkrete Angesprochensein von Gott zur Grundlage eines ethischen Konzepts gemacht, dann bleibt der Mensch »vor einem ethischen Rationalismus bewahrt, der Gott aus den ethischen Entscheidungen ausklammert und Moralität Š lediglich auf die Einhaltung von Prinzip und Norm reduziert« (112). Stattdessen ist Verantwortung als »unvertretbares subjektives Geschehen« (21) gefordert. Einer durchgeführten Verantwortungsethik, genauer derjenigen Dietrich Bonhoeffers, gilt deshalb das dritte Kapitel der Arbeit. Das vierte und letzte Kapitel unternimmt eine Zusammenschau beider Entwürfe.

Das erste Kapitel also widmet sich der »Innigkeit der Gottesbeziehung« (25), wie sie von Karl Rahner herausgestellt worden ist, und erörtert eindrücklich Rahners Deutung der Ignatianischen Exerzitien als eines Instrumentes, diese unmittelbare Gotteserfahrung zu machen. Ethisch bedeutsam sind die Exerzitien, weil Gott hier seinen konkreten Willen unmittelbar mitteilt. Dieser widerspricht nicht den allgemeinen Normen; er ist angesichts von unterschiedlichem sittlich Möglichen der »Imperativ des Je-Jetzt-Gesollten« (33). Der Vf. arbeitet anschaulich heraus, wie die konkrete Erkenntnis des Willens Gottes vonstatten geht: Basis ist »consolación sin causa precedente, die Tröstung ohne vorhergehende Ursache« (37). Es ist die Gegenstandslosigkeit dieses Frieden, Freude und Ruhe beinhaltenden Trostes, in der Rahner die unmittelbare, subjektkonstitutive Gottesbegegnung entdeckt. Die konkrete Willensfindung baut auf dieser Grundgestimmtheit auf, indem verschiedene Wahlgegenstände (die sich durch ihre allgemeine Sittlichkeit für eine Wahl eignen) mit jener ­ durchaus experimentierend (38) ­ zusammengehalten werden und geprüft wird, ob die Grundgestimmtheit dabei erhalten bleibt. Der Vf. verschweigt nicht die theo logische Kritik an Rahners Existenziallogik (sie sei zu wenig christologisch, letztlich subjektivistisch und gemeinschaftsvergessen; 46 ff.), um ihr dann differenziert zu begegnen. Ein Referat moraltheologischer Weiterführungen von Rahners Ansatz, die sich insbesondere mit dem Verhältnis zum normethischen Ansatz beschäftigen (60 ff.), schließt den Teil ab.

Das zweite Kapitel will die Rahnersche Vorstellung von Transzendenzerfahrung genauer erhellen, indem es deren verschiedene Formen erörtert: alltägliche existenzielle Erfahrungen (vor allem negative wie Einsamkeit, Nicht-Verstehen, Leiden), außergewöhnliche Erfahrungen (Bekehrungserlebnisse u. Ä.) und unmittelbare Transzendenzerfahrungen mystischen Charakters. Interessant ist die vom Vf. geleistete Verknüpfung von negativen existenziellen Erfahrungen und Trosterfahrung (120 ff.), wodurch sich für Letztere ein in der Alltäglichkeit verorteter Anweg andeutet. Insgesamt hält der Vf. kritisch fest ­ darin die bereits notierte theologische Kritik nun doch aufnehmend ­, dass Christusbezogenheit wie Interpersonalität in Rahners Konzeption zu nachrangig bleiben (126).

Die Zuwendung zu Dietrich Bonhoeffer im dritten Kapitel erweist sich von hier aus nur als konsequent, ist Bonhoeffers Ethik doch dezidiert christologisch begründet und relational konzipiert. Der Fokus der Darstellung liegt darauf, die Entstehung von Bonhoeffers Konzept einer Verantwortungsethik nachzuzeichnen. Als grundlegend erweist sich dabei die von Karl Barth übernommene Einsicht Bonhoeffers, theologisches Denken beginne mit dem Weg Gottes zur Welt. »Das inkarnatorische Moment der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus bedeutet für Bonhoeffer die radikale Annahme des irdisch Konkreten und die damit verbundene Übernahme der Verantwortung.« (139) In einem zügigen Durchgang durch Bonhoeffers Texte wird die Entwicklung dieses Ansatzes plastisch vorgeführt (Situationsethik in Barcelona, Bergpredigt seit dem USA-Aufenthalt, konkretes von Christus gesagtes Gebot in den Jahren ökumenischen Engagements, Ausarbeitung der christologischen Verantwortungsethik in den Ethik-Fragmenten). Allerdings werden um dieser Zügigkeit willen manche Differenzen in Bonhoeffers Denken übergangen.

Das zeigt sich vor allem in der Interpretation der »Nachfolge«, die zu stark von der »Ethik« her gelesen wird. Der Vf. versteht die Absicht der »Nachfolge« als »individueller Anruf zur sittlichen Verantwortung« (160), ohne zu berücksichtigen, dass Bonhoeffer den Begriff der Verantwortung in der »Nachfolge« mehrfach ablehnend gebraucht. Bonhoeffer geht es nicht um den »geistlichen Sinn der alltäglichen Situationen« (161), sondern um den Bruch des Jüngers mit der Welt. Dass sich ihm die »Diesseitigkeit des Christentums« erschlossen habe, behauptet Bonhoeffer gerade nicht in Bezug auf die Zeit der »Nachfolge« (ebd.).

Der Vf. macht im abschließenden vierten Kapitel noch einmal die personal-dialogische Konzeption beider Ansätze als Motivation und Ermöglichung verantwortlichen Handelns stark. Sie stelle die »vornormative Eigenart« (288) theologischer Ethik dar, bedürfe allerdings »der notwendigen Ergänzung durch die normative Rationalität« (289; 1. Hervorhebung: C. T.). Um die Eingangsthese eines hermeneutischen Zirkels von subjektiver Motivation und objektiver Normfindung (22) deutlicher einzulösen, wäre eine Herausarbeitung des nicht nur motivationalen, sondern eben auch inhaltlich-normativen Anspruchs von Bonhoeffers christologisch-relationalem Entwurf hilfreich gewesen.