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Ausgabe:

Februar/2007

Spalte:

199-202

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Dietz, Alexander:

Titel/Untertitel:

Der homo oeconomicus. Theologische und wirtschaftsethische Perspektiven auf ein ökonomisches Modell.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2005. 319 S. 8° = Lenken. Leiten. Gestalten, 18. Kart. EUR 34,95. ISBN 3-579-05310-8.

Rezensent:

Friedrich Lohmann

Moralische Urteile sind entscheidend von grundlegenden Weichenstellungen auf dem Gebiet der Anthropologie geprägt. Diese Tatsache findet gegenwärtig, angeregt vor allem durch die Debatten in Bio- und Medizinethik, immer mehr Anerkennung. Auch für den Bereich der Wirtschaft gilt, dass das »Menschengerechte« (A. Rich), an dem sich das Urteil bemisst, unausweichlich von einer zumindest implizit vorausgesetzten Bestimmung im Blick auf wesentliche Eigenschaften und Bedürfnisse des Menschen abhängt. Das Menschenbild, das traditionell die Wirtschaftswissenschaften bestimmt, hat bereits bei Adam Smith seine klassische Formulierung gefunden in der Gestalt des Bäckers, der nicht aus Liebe, sondern aus rationalem Interesse an persönlichem Vorteil seine Brote verkauft. Typisiert zum »homo oeconomicus« ist diese Denkvoraussetzung der Ökonomie in den letzten Jahren ins Zentrum vielfältiger Stellungnahmen und Veröffentlichungen gerückt. Eine monographische Behandlung aus theologischer Sicht war allerdings für lange Zeit ein Desiderat der Forschung ­ eine Lücke, die nunmehr durch die Heidelberger Dissertation von Alexander Dietz geschlossen wird.

D. nennt in der Einleitung (17 f.) drei Ziele seiner Arbeit: Er möchte 1. interessierten Theologen das nötige Sachwissen an die Hand geben, um informiert zum »Modell« des »homo oeconomicus« Stellung beziehen zu können, 2. unausgesprochene anthropologische und ethische Vorannahmen des Modells transparent machen und 3. das so explizierte und analysierte Konzept theologisch würdigen. Will man dieser dreifachen Zielsetzung gerecht werden, so müssen offensichtlich die Darstellung der ökonomischen Theorie und das theologische Urteil so weit als möglich auseinandergehalten werden. Dieser methodischen Maßgabe entspricht D. mit der Gliederung der Studie: Nach der kurzen Einleitung informiert das zweite Kapitel über Geschichte und Gehalt des zur Debatte stehenden Modells; Kapitel 3 und 4 sind dem Menschenbild und dem Ethos gewidmet, die ihm zu Grunde liegen, während Kapitel 5 und 6 in umgekehrter Reihenfolge nach der Vereinbarkeit von Ethos und Menschenbild mit den entsprechenden theologischen Leitvorstellungen fragen.

Was finden die Leser bei D.? Den genannten Zielen entsprechend lassen sich drei Ebenen unterscheiden. 1. Information: D. hat sich vorzüglich in die Wirtschaftswissenschaften eingearbeitet. Da das vorausgesetzte Menschenbild einen zentralen Bestandteil ökonomischer Theoriebildung darstellt, findet man in D.s Buch sachhaltige Bemerkungen zu vielen ihrer wesentlichen Repräsentanten und Fragestellungen. 2. Problembewusstsein: Schon die schlagwortartige Rede vom »homo oeconomicus« wird von D. als keineswegs klar durchschaut (vgl. 36­41): Ist ihr Relat ein empirisches Faktum, eine theoretische Fiktion oder eine ­ Empirie und Theorie aufeinander beziehende ­ Hypothese? Indem D. von einem »Modell« spricht, signalisiert er seine Option, die den »homo oeconomicus« im Anschluss an Schlösser als »Fiktion mit hypothetischen Elementen« versteht (41; vgl. 188: »eine methodologische Fiktion mit empirischen Elementen«). D.s Problematisierungen machen auch vor der Theologie nicht Halt. Insbesondere kirchliche Stellungnahmen, die sich mit einer oberflächlichen Kenntnisnahme des ökonomischen Sachstandes begnügen und stattdessen einem falsch verstandenen Biblizismus huldigen, werden kritisiert (wobei man sich über D.s Thema hinausgehend fragen kann, warum eigentlich gerade die Wirtschaftsethik ­ ganz anders als etwa die Sexualethik ­ hier zu Kurzschlüssen verführt). 3. Urteil: Die Vorbehalte gegenüber dem common sense mancher kirchlicher Verlautbarungen weisen bereits auf einen wesentlichen Zug von D.s Arbeit hin. Zwar wird mit Kritik am Menschenbild des »homo oeconomicus« nicht gespart, wobei, der Gliederung der Studie entsprechend, zunächst immanent ökonomisch (was auch heißt: empirisch) und erst dann theologisch argumentiert wird. Aber: So kritisch D. mit seinem Untersuchungsgegenstand umgeht, so stark möchte er doch seine particula veri zur Geltung bringen. Gerade damit betritt er freilich weitgehend theologisches Neuland, was es erforderlich macht, sich im Gestus des Aufklärers gegen weit verbreitete (Vor-)Urteile zu wenden.

Um seine differenzierende Stellungnahme zu etablieren, unterscheidet D. empirische Beschreibung und normatives Leitbild. Im Sinne einer umfassenden Leitperspektive für alle Lebensbereiche ist der »homo oeconomicus«, allen Behauptungen der ökonomischen Imperialisten zum Trotz, unzureichend, ja selbstwidersprüchlich (»Verhalten gemäß der so verstandenen Eigennutz-Maxime zerstört die gesellschaftlichen Strukturen, die notwendig sind, damit ein Mensch langfristig seine eigenen Interessen verfolgen kann.«, 214) ­ ganz zu schweigen von seiner Unvereinbarkeit mit dem Leitbild der christlichen Anthropologie. Aber: »Theologische Anthropologie nimmt die egoistische Tendenz des Menschen infolge seiner Bestimmungsverfehlung ebenfalls ernst Š« (259). Die christliche Theo logie ist realistisch genug, um zu erkennen, dass unter den Bedingungen der Sünde menschliches Handeln de facto entscheidend von Vorteilserwägungen geprägt ist. Gerade aus ihrer Sicht gibt das Modell des »homo oeconomicus«, verstanden als fragmentarische Beschreibung eines menschlichen Charakterzugs, durchaus eine entscheidende Wahrheit über den empirischen Menschen wieder. Die konkreten Ordnungen menschlichen Zusammenlebens ­ vor allem die Wirtschaft, aber auch Recht und Politik ­ haben dem Rechnung zu tragen, wie es vorbildlich in der recht verstandenen Zwei-Regimenten-Lehre Luthers geschieht. »[T]heologische Ethik in der Tradition von Luthers Zwei-Regimenten-Lehre plädiert infolgedessen für die Schaffung ðhomo-oeconomicus-tauglicherÐ sozio-ökonomischer Strukturen« (259). Aus der Sicht D.s impliziert dies ein klares Votum für die Soziale Marktwirtschaft (z. B. 240­242).

Hinter dem bestimmenden Motiv des Abwägens wird somit eine klare Position sichtbar. Auch ansonsten ist Klarheit eine Tugend von D.s Buch. Eine ergebnissichernde Zusammenfassung beschließt jeden Unterabschnitt. Zur Klarheit kommt Gründlichkeit. Jede Bezugnahme wird sorgsam belegt, wobei die Breite der herangezogenen Literatur positiv auffällt: Außer Theologie und Ökonomie kommen auch Philosophie und Belletristik zu Wort.Zu kritisieren ist es, wenn D. ­ dem Anliegen entsprechend, die, wenn auch begrenzte, »Legitimität des Modells« (172) zu erweisen ­ gelegentlich übers Ziel hinausschießt. Semantisch grundgelegt ist das in einer Äquivokation im Begriff des Fragmentarischen. D. arbeitet wiederholt mit der Unterscheidung »fragmentarisch ­ umfassend«, wobei der »homo oeconomicus« als umfassende Beschreibung des Menschseins abgelehnt, als fragmentarisches Modell aber gutgeheißen wird. Diese Unterscheidung kann nun in zweifacher Weise ausgelegt werden. »Fragmentarisch« kann zum einen heißen: notwendiger, aber nicht hinreichender Bestandteil einer umfassenden Beschreibung der empirischen Wirklichkeit des Menschen, der sich auf alle Bereiche der menschlichen Wirklichkeit auswirkt, bzw. »vorläufig [!] leider sinnvolle methodische Annahme« (190) unter den Bedingungen der Sünde. Dies ist D.s Hauptperspektive, und auf sie hat sich dementsprechend obige Darstellung bezogen. »Fragmentarisch« kann aber auch bedeuten: beschränkt auf einen spezifischen Bereich menschlichen Handelns, in diesem aber angemessen. In diesem Sinne schreibt D. beispielsweise: »Solange dieses Menschenbild [sc. des ðhomo oeconomicusÐ] nur für die Bearbeitung bestimmter Fragestellungen im Wirtschaftsbereich verwendet wird, sind die anthropologischen Reduktionen, die es vornimmt, aus methodischen Gründen sinnvoll und beinahe unproblematisch« (189).

Dieser positiven Stellungnahme entspricht eine Kritik, die lediglich den ökonomischen Imperialismus ins Auge fasst: »Die Forderung, auf der Basis des Modells alle Lebensbereiche neu zu gestalten (z. B. mehr Markt als Allheilmittel), muss zu rück gewiesen werden, weil sie das, was (eine spezifische) Erhaltungsordnung sein soll, zur Erlösungsordnung erhebt« (190). Eine solche Sicht des Fragmentarischen im Sinne einer bloß methodischen Re duktion, die sich auf den wirtschaftlichen Bereich beschränken lasse, unterschätzt m. E. deren Tragweite. Schon der Gedanke, eine Reduktion »auf die Aspekte, die (vom Mainstream der Ökonomik) als relevant im Hinblick auf das Verhalten von Wirtschaftssubjekten angesehen werden« (58), sei überhaupt möglich, impliziert be reits eine schwerwiegende anthropologische Vorentscheidung, und es ist daher kein Zufall, wenn de facto immer Leitbildvorstellungen mit der »homo-oeco nomicus«-Hypothese einhergehen. Die christliche, ganzheitliche Sicht des Menschen steht einer solchen methodischen Reduktion jedenfalls diametral gegenüber. Auch Luthers Unterscheidung von Erhaltungs- und Erlösungsordnung, auf die eines der obigen Zitate anspielt, betont ja gerade die Zusammengehörigkeit beider als Ordnungen eines Gottes. Der christliche Fürst wird sich daher, wie Luther im dritten Teil der Obrigkeitsschrift herausstellt, auch im Bereich der Erhaltungsordnung von der Liebe leiten lassen. Wie D. selbst betont (176), ist Luthers Wirtschaftsethik noch stärker als seine Ethik des Politischen von dieser grundlegend einheitlichen Sicht des Menschen und seines Handelns in der Welt geprägt. Gerade aus Lutherischer Sicht wird man daher zwar »die Schaffung ðhomo-oeconomicus-tauglicherÐ sozio-ökonomischer Strukturen« (259; s. o.) als »vorläufig leider« notwendig vorantreiben, zugleich aber diese Aufgabe unbedingt ergänzen durch die Pflicht zur Ausarbeitung von Strukturen, die dem eigentlichen Wesen des Menschen entsprechen. Denn wer sich »nicht mehr mit dem gegenwärtigen Zustand der Welt abfindet« (188), wird sich, auch im Bereich der Wirtschaft, nicht mit einem Menschenbild zufriedengeben, das erklärtermaßen »defizitär und fragwürdig« (151 f.) ist. Die Rede von einer »Legitimität des Modells« (172) wirkt unter diesem Gesichtspunkt höchst missverständlich.

Die von D. vorgenommene Beurteilung des »homo oeconomicus« müsste im Sinne der skizzierten, skeptischen Hauptperspektive präzisiert werden. Das ist aber auch der einzige Kritikpunkt an einer erstaunlichen Erstlingsschrift, die durch ihren Informationsgehalt und die übersichtliche Darstellung des Stoffs als Einführung in die Wirtschaftswissenschaften für Theologiestudierende bestens geeignet erscheint.