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Ausgabe:

Februar/2007

Spalte:

139-141

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

[Jeremias, Jörg:]

Titel/Untertitel:

Schriftprophetie. Festschrift für Jörg Jeremias zum 65. Geburtstag.

Verlag:

Hrsg. v. F. Hartenstein, J. Krispenz u. A. Schart. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2004. XI, 516 S. m. 1 Porträt u. Abb. 8°. Kart. EUR 49,90. ISBN 3-7887-2061-1.

Rezensent:

Walter Dietrich

Wohl dem Manne, dem zu seinem Ausscheiden aus dem aktiven Universitätsdienst eine solch gehaltvolle Festschrift gewidmet wird! Das »Vorwort« entwirft mit wenigen, gekonnten Strichen ein Porträt des ebenso bedeutenden wie bescheidenen Exegeten und Theologen Jörg Jeremias und begründet die Auswahl des Themas und der Mitwirkenden.

In die Gesamtthematik »Schriftprophetie« wollen sich einige Beiträge nicht recht fügen (was nichts über ihre Qualität, wohl aber etwas über die weitreichenden Interessen und vielfältigen Beziehungen des Jubilars verrät). So wird das Buch gerahmt durch Sonderkapitel. Unter »Literatur, Theologie und Sprache des Alten Testaments« finden sich Beiträge von Zacharia Kallai (»From Motiv to Composition. Biblical Historiography and Literary History«, 1­13), Bernd Janowski (»Kanon und Sinnbildung. Perspektiven des Alten Testaments«, 15­36: beachtenswerte Erwägungen zur »Diskursivität« biblischen Redens von Gott, die sowohl diachron, in der Entstehungsgeschichte der Schriften, als auch synchron, in ihrem kanonischen Nebeneinander, zu entfalten ist) und Evangelia G. Dafni (»Zum extensionalen und intentionalen Gehalt der Aussage šbz[a µa švpn yjw hwhy yj [2 Könige 2,2ff.]«, 37­54). Unter »Archäo logie« ­ auch dies ein dem Jubilar durchaus nicht fremdes Forschungsfeld ­ sind folgende Beiträge zusammengestellt: Wolfgang Zwickel (»Kommunikationsmöglichkeiten im alten Israel: Ein Beitrag zu den Rahmenbedingungen der Verschriftlichung biblischer Texte«, 459­479: Da es eine breite Literalität erst ab dem 7. Jh. gab, sind die Verfasser vorexilischer Schriften in hohen gesellschaftlichen Kreisen zu suchen), Othmar Keel (»Eine chalkolithische Harfenspieler-Figur«, 481­492: Ritzzeichnung einer Musikantin aus Megiddo Stratum XIX, mit Vergleichsmaterial), Diethelm Conrad (»Zwei spätbronzezeitliche Figurinen vom Tel Akko«, 493­504). Den Abschluss bilden eine Predigt von Herbert Specht über Ez 18 sowie ein von Judith Gärtner zusammengestelltes Verzeichnis der Publikationen von Jörg Jeremias.

Das Hauptkorpus des Buches setzt sich zusammen aus 18 »Studien zur Schriftprophetie in den Büchern des Alten Testaments« und fünf Beiträgen über »Aspekte der Wirkungsgeschichte von Schriftprophetie«. Um bei den letzteren zu beginnen: Klaus Baltzer und Peter Marinkovic handeln über »ðGröße und Grenze des Menschen.Ð Zum Verhältnis von Gott-Welt-Erde-Mensch in Jes 45,9­13 und im Chorlied der ðAntigoneÐ des Sophokles« (369­379: Am konkreten Beispiel wird die Frage nach der Berührung beider Kulturkreise­ sei es bei der Textentstehung oder bei der Textrezeption ­ untersucht; eine wichtige Rolle kommt der LXX zu); Otto Kaiser über »Die Sibyllinischen Orakel und das Echo biblischer Ethik und Prophetie in ihrem Dritten Buch« (381­400: eine höchst gelungene, sympathetische Einführung in diese eigentümliche Literatur, dem Thema der Festschrift gemäß mit einem Akzent auf deren ðprophetischenÐ Elementen); Hans Klein über »Das Buch der Zwölf Kleinen Propheten in der Apostelgeschichte« (401­414: Lk liest Joel 3,1­5a; Am 5,25­27; 9,11; Hab 1,5 »nicht nur auf Jesus und sein Wirken hin, sondern auf alles, was mit dem Weg der Gemeinde zusammenhängt«); Norbert Ittmann über »Das ðSiegel der ProphetenÐ ­ Muhammads Weg zu einem eigenen Islam« (415­430: An den Themen Fasten, Gebet und Abraham/Ismael sowie am Selbstverständnis Mohammeds wird aufgezeigt, wie dieser sich während seines Aufenthalts in Medina von den jüdisch-christlichen Traditionen gelöst hat); schließlich Reinhard Schwarz über »Prophetische Rede vom messianischen Heil. Jes 9,1­6 in Luthers Auslegung von 1525/26« (431­458: Aufweis, dass und wie bei Luther »prophetische und apostolische Verkündigung des messianischen Heils ineinander verschränkt sind«).

Die eigentlichen »Studien zur Schriftprophetie« sind nach der kanonischen Abfolge der behandelten Texte geordnet. Sie seien hier knapp vorgestellt.

­ Rüdiger Bartelmus, Schriftprophetie außerhalb des corpus propheticum ­ eine unmögliche Möglichkeit? Das Mose-Lied (Ex 15,1­21) als deuterojesajanisch geprägtes »eschatologisches Loblied« (55­82): Eine semantische und grammatische Analyse ergibt, dass der Autor des Mirjamlieds Ex 15,21b der im 8./7. Jh. wirkende J ist, während das gesamte Moselied »ein sehr junges Produkt« ist.

­ Friedhelm Hartenstein, JHWH und der »Schreckensglanz Assurs« (Jesaja 8,6­8). Traditions- und religionsgeschichtliche Beobachtungen zur »Denkschrift« Jesaja 6­8 (83­102): Die »einzige direkte Sachparallele« zu Jes 8,6­8 liegt in den Babyloninschriften Asarhaddons vor; dies weist auf eine »Denkschrift« aus der Manassezeit, in die ältere Jes-Worte integriert wurden und die in ihrer Zeit »Oppositionsliteratur« war.

­ Klaus-Peter Adam, »Wendet sich nicht ein Volk an seine Götter, zugunsten der Lebenden an die Toten?« (Jes 8,19). Unterwelt und Totenbefragung im Jesajabuch und in 1 Samuel 28 (103­120): Adam sieht einen Gegensatz zwischen »erwartungsvoller Hinwendung zum Totenreich« und Nekromantie. Letztere spiele im Alten Testament wie in seiner Umwelt so gut wie keine Rolle; auch 1Sam 28 sei kein Beleg dafür (was doch dem klaren Textsinn widerspricht).

­ Stefan Timm, Jes 42,10 ff. und Nabonid (121­144): Jes 42,11, insbesondere die Erwähnung von Qedar und Säla, wird auf Grund der Chronik Nabonids und eines 1994 bei es-SilŒ im Ostjordanland entdeckten Bildreliefs plausibel neu gedeutet.

­ Werner H. Schmidt, »Wahrhaftigkeit« und »Wahrheit« bei Jeremia und im Jeremiabuch (145­160): Die Thematik spielt einerseits im ethisch-sozialen Bereich, andererseits im Streit um ðwahre und falsche ProphetieÐ eine Rolle. Die ðSchriftprophetenÐ erheben für bisher Unerhörtes und vorerst Unbeweisbares den Wahrheitsanspruch: für die Schuld- und Strafansage gegen das gesamte Volk und für die Disqualifikation der Heilsprophetie.

­ Seizo Sekine, The Emergence of the Text in the Redaction History of the Book of Jeremiah: On the Question of Authenticity (161­183): Basierend auf Thiel und McKane wird ein (über-)scharfer Gegensatz zwischen dem ðechtenÐ Jeremia und der dtr Redaktion konstruiert, was u. a. zu der Behauptung führt, dass Jer 31,31­34 nicht redaktionell, sondern jeremianisch sei. An sich dachte man, dies wären Debatten der Vergangenheit.

­ Aaron Schart, Die Jeremiavisionen als Fortführung der Amosvisionen (185­202): Jer 1,11 f.; 1,13 f. und 24,1­10* »rezipieren die Amosvisionen im Lichte einer Konzeption, wie sie auch der redaktionellen Zusammenstellung des Hos-Am-Mi-Korpus unterliegt« (wo bleibt Zefanja?). Schon Jeremia selbst bezog sich auf Amos, die Bearbeiter stellten ihn in eine größere prophetische Sukzessionskette.

­ Jutta Krispenz, Die Einsetzung des Jeremia ­ Ambivalenz als Mittel der Sinnkonstitution (203­219): Eine Strukturanalyse unter der Annahme dreier zu unterscheidender »Kommunikationsebenen« erweist Jer 1,4­19 als sinnvoll aufgebaute literarische Einheit. »Die starke Konzentration auf literarkritische Fragen hat bei diesem Text dazu geführt, dass man sozusagen notorisch die Mosaiksteine untersucht und das Mosaik unbeachtet gelassen hat.«

­ Thomas Krüger, Jahwe und die Götter in Jeremia 2 (221­231): Der Text nimmt »eine kritische Reflexion und Selbstkorrektur innerhalb der Religion Israels« vor. Jhwh ist weniger leicht verfügbar als andere Götter, und er steht für einen durch Freiheit und Solidarität gekennzeichneten »way of life«. Zwischen diesem Gott und anderen Göttern (oder keinen Göttern) hat man auch heute zu entscheiden.

­ Hans-Jürgen Hermisson, »Der Feind aus dem Norden« (Jer 4­6). Zu einem Gedichtzyklus Jeremias (233­251): Der Zyklus jeremianischer Gedichte über einen bewusst nicht näher identifizierten »Feind« (Jer 4,5­8; 4,11­18; 4,19­21; 4,29­31; 6,1­8) wurde mit einer Reihe »dialogischer« Texte (5,1­9*; 5,12­14 (?); 6,9­15*; 6,27­30) zu einer »Grundschrift« verwoben, die dann noch durch mindestens drei »Bearbeitungsschichten« erweitert wurde. Der Beitrag zeigt große Einfühlsamkeit für literarische und theologische Fragen.

­ Rainer Kessler, »Gesetze, die nicht gut waren« (Ez 20,25) ­ eine Polemik gegen das Deuteronomium (253­263): Der Titel enthält bereits die These. Das »nachezechielische« Kapitel Ez 20 enthält zwar dtr Züge, entspricht aber nicht dem dtr Geschichtsbild. Theologisch bezieht es im nachexilischen Ringen um die Identität Israels, das auf den »Kompromiss« des Pentateuchs zuläuft, Position gegen das Deuteronomium.

­ Helmut Utzschneider, Micha und die Zeichen der Zeit. Szenen und Zeiten in Mi 4,8­5,3 (265­282): Auf der Suche »nach den gestaltgebenden, ästhetisch-literarischen Faktoren der Textbildung« wird Mi 4,8­5,3 in einer »szenisch- dramaturgischen Einzelanalyse« in mehrere »Szenen und Auftritte« mit verschiedenen Sprechern und Adressaten unterteilt; der Prophet ist damit nur mehr eine ­ freilich die wichtigste ­ »Figur« in einem dramatischen Geschehen, das sich von der »Buchvergangenheit« zur »Buchgegenwart« bewegt.

­ Manfred Görg, JHWH als Ehemann und als Löwe. Ambivalenz und Kohärenz in der Metaphorik des Hoseabuches (283­296): Die beiden genannten Metaphern für das Verhältnis Jhwhs zu Israel sind so unvereinbar nicht, wie es zunächst scheint: Die einzelnen Texte selbst zeigen eine Ambivalenz von Liebe und Gewalt, und Siegelabbildungen zeigen Männer in Löwengestalt, die sich kraftvoll, aber nicht lebensbedrohend einer Frau nähern (in einem Fall allerdings: über sie hinwegschreiten).

­ Hans-Christoph Schmitt, »Reue Gottes« im Joelbuch und in Exodus 32­34 (297­305): In Aufnahme von und in Widerspruch zur berühmten Studie des Jubilars wird bestritten, dass in Joel 2,12­17 menschliche Buße vorgängig zur göttlichen ðReueÐ gedacht sei; vielmehr geschieht diese »allein aus Gnade«. Überhaupt gebe es viele Berührungspunkte zwischen Joel und der Spätdeuteronomistik ­ was genauso für Ex 32­34 gelte. Dies lasse auf gemeinsame Tra dentenkreise schließen. (Schade, dass die Arbeit von Matthias Franz, BWANT 160, noch nicht aufgenommen ist.)

­ Magne Sæbø, Die Gemeinde als Individuum. Bemerkungen zur kollektiven Du-Anrede bei Amos und anderen vorexilischen Propheten (307­320): Ausgehend von H. W. Robinsons Konzept einer ðcorporate personalityÐ ergibt ein Durchgang durch die einschlägigen Texte (Hauptbeleg: Am 4,12), dass das Du bei den Propheten nicht wie in Gesetzes- und Weisheitstexten den Einzelnen meint, sondern wie im Kult das Gottesvolk als ganzes oder die Bewohnerschaft einer Stadt.

­ Dirk Human, Unbearable Lightness of Being (God). The challenge of Wisdom Perspectives in the Theology of Jonah (321­340): Nach einer kurzen (und guten) Gesamtdeutung der Jona-Erzählung und des Jona-Psalms unter starker Betonung der Kategorie »irony« wird das Büchlein als Auseinandersetzung mit der gängigen Weisheitslehre interpretiert: Es ist eine typisch weisheitliche Lehr-Erzählung mit weisheitlich schwer erträglichen Inhalten.

­ Nicholas Ho Fai Tai, The End of the Book of the Twelve. Reading Zechariah 12­14 with Joel (341­350): Während Mal 3 eine inclusio mit dem Hos-Buch bildet, stellt Sach 12­14 mit Joel eine zweite Klammer um das Dodekapropheton dar. Des Näheren wird hier Ez 33­48 aufgenommen. Durch die Einfügung des Textes wird die Kontinuität und die Zukunftsmächtigkeit der Prophetie betont.

­ Erhard S. Gerstenberger: Prophetie in den Chronikbüchern: Jahwes Wort in zweierlei Gestalt? (351­367): Die hohe, über das dtr Geschichtswerk weit hinausgehende Zahl von Propheten in Chr weist nicht etwa auf historische Kenntnis des Chronisten von solchen Propheten oder auch auf ein lebendiges Prophetentum in chr Zeit, sondern darauf, dass sich damals das corpus propheticum herauszubilden beginnt.


Diese Festschrift in ihrer thematischen Konzentration wie in ihrer persönlichen und sachlichen Farbigkeit bietet auf ungezwungene Weise einen repräsentativen Überblick über das weit gefächerte Feld heutiger Prophetenforschung.