Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2007

Spalte:

85-86

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Gebhard, Ulrich, Hößle, Corinna, u. Friedrich Johannsen:

Titel/Untertitel:

Eingriff in das vorgeburtliche menschliche Leben. Biologische Grundlagen und ethische Reflexionen.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlagshaus 2005. 209 S. m. Abb. 8° = Neukirchener Forum. Kart. EUR 16,90. ISBN 3-7975-0075-0.

Rezensent:

Reinhold Mokrosch

Die drei Autoren, Biologie- und Religionsdidaktiker der Universitäten Hamburg und Hannover, legen ein brisantes Arbeitsbuch zu vier hoch aktuellen Problemfeldern aus den Bereichen der Reproduktionsmedizin, Gen- und Biotechnik vor: »Ungewollte Kinderlosigkeit«, »Präimplantationsdiagnostik«, »Klonierung« und »Verbrauchende Embryonenforschung«. »Pränatale Diagnostik« thematisieren sie nicht, da diese »kein[en] Eingriff in das vorgeburtliche menschliche Leben« bedeute. Darüber könnte man streiten; aber die Entscheidung ist zu respektieren.

Der Band richtet sich an interessierte Laien, Biologie-, Philosophie-, Ethik- und Religionslehrkräfte. Er möchte, wie der Klappentext ankündigt, »zu einer eigenständigen ethischen Urteilsbildung in bioethischen Konfliktbereichen anleiten«. Das ist den Verfassern bestens gelungen! Als biologisch und medizinisch unkundiger Laie habe ich mit Vergnügen die komplizierten Vorgänge und Prozesse reproduktionsmedizinischer und genbiologischer Techniken der In-vitro-Fertilisation, der Präimplantationsdiagnostik, des reproduktiven und des therapeutischen Klonens und der humanen Stammzellenforschung gelesen und ­ wie ich meine ­ auch verstanden. Hier liegt eine ausgezeichnete Einführung für Laien mit ethischem Interesse vor. Dazu werden dem Leser ethische Argumentationstypen vorgelegt, an denen er sein eigenes Urteil orientieren kann. Und schließlich legen die Verfasser noch die Ergebnisse einer Befragung unter Jugendlichen zu den genannten vier Problemfeldern vor, in denen man sich als Leser geradezu spiegeln kann.

Im Einzelnen: Der Dschungel der komplizierten »Reproduktionsmedizin« mit IVF, Eizellmicroinjektion, Intratubarem Gametentransfer, Kryokonservierung, Leihmutterschaft, Eizell- und Embryonenspende wird anschaulich gelichtet und von ersten ethischen Überlegungen angesichts von Befruchtungstourismus, Samenbänken, Eizellmärkten, Screening-Tests, Paid-egg-sharing u. a. begleitet.­ Die »Präimplantationsdiagnostik« wird medizinisch und rechtlich bestens vorgestellt und die Vorteile (Aussicht auf ein gesundes Kind trotz elterlicher Erbkrankheiten) und Nachteile (Eugenik) abgewogen. ­ Das reproduktive (Verdoppelung) und das therapeutische (Gewebeherstellung für Transplantationen) »Klonen« durch Embryosplitting oder Kerntransfer werden dem Laien erklärt und Nachteile (Genetizismus) und Vorteile (Therapien) dargestellt. ­ Und schließlich werden Verfahren, Nutzen und Gefahren der »Verbrauchenden Embryonenforschung« anschaulich dargelegt.

Als Brücke zwischen diesen medizinischen und den späteren ethischen Überlegungen dienen Reflexionen zum »Beginn menschlichen Lebens« und zu »Alltagsmythen und Phantasievorstellungen« zu den beschriebenen vier Problemfeldern: Die Verfasser referieren alle nur denkbaren biologischen, rechtlichen, philosophischen und theologischen Antworten auf die »Frage nach dem Beginn menschlichen Lebens« aus Geschichte und Gegenwart, ohne selbst Position zu beziehen. Und ebenso nehmen sie den Leser zu einem Streifzug durch die »Alltagsmythen«, die sich in der Bevölkerung zur Reproduktionsmedizin gebildet haben, an die Hand: die Mythen, dass sich der Mensch zum »Schöpfer«, »homo faber« und Ähnlichem mache, andere aber zur »Maschine« und zum »Ersatzteillager« degradiere, anstatt seine »Gottebenbildlichkeit« und »einzigartige Individualität« wahrzunehmen; die Mythen von der Heiligkeit der Natur, des Lebens, der Gesundheit und der Individualität, welche durch Reproduktionsmedizin und Gentechnik zerstört würden. Zwischendurch werden die Ergebnisse der bereits erwähnten Befragung unter Jugendlichen bezüglich deren Meinung zu solchen Alltagsmythen wiedergegeben, welche m. E. nicht viel zur ethischen Urteilsbildung des Lesers beitragen. Außerdem frage ich mich bei manchen Antworten, ob hier wirklich Jugendliche zitiert werden.Im Schlussteil präsentieren die Verfasser »drei ethische Grundpositionen«: die Position, welche dem Embryo uneingeschränkt Menschenwürde und Personenschutz zubilligt und jeden Eingriff ablehnt; die Position, die dem Fötus erst ab einem bestimmten Stadium (z. B. Beginn der Hirntätigkeit, der Herztätigkeit, der Schmerzfähigkeit) Menschenwürde und Personenschutz zuerkennt; und die Position, die dem Embryo Lebensschutz, aber noch keine Menschenwürde zuspricht. Das Herz der Verfasser scheint mir bei der ersten Position zu schlagen.

Das Buch ist für Unterricht und Gemeindearbeit bestens geeignet, weil es Jugendlichen und Erwachsenen ein eigenständiges ethisches Urteil zu diesen belasteten Konfliktfeldern ermöglicht.