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Ausgabe:

Januar/2007

Spalte:

65-67

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Bernhard, Jan-Andrea:

Titel/Untertitel:

Rosius à Porta (1734­1806). Ein Leben im Spannungsfeld von Orthodoxie, Aufklärung und Pietismus.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2005. XXII, 576 S. 8° = Zürcher Beiträge zur Reformationsgeschichte, 22. Kart. EUR 38,00. ISBN 3-290-17345-3.

Rezensent:

Christopher Voigt-Goy

Der Bündner Pfarrer und Reformationshistoriograph seiner Heimat Petrus Dominicus Rosius à Porta ist wohl vor allem Territorialkirchenhistorikern der Schweiz bekannt. Die vorliegende Arbeit, die im Wintersemester 2003/04 als Dissertation von der Theologischen Fakultät Zürich angenommen wurde, legt nun ein Lebens- und Arbeitsbild dieses reformierten Theologen des 18. Jh.s vor. Dafür greift der Vf. nicht nur auf die gedruckten Quellen, sondern auch auf umfangreich gesammelte Archivalien zurück. Zeugnisse akribischer Recherche durchziehen die gesamte Darstellung, bei der der Vf. allerdings öfter erhebliche Spezialkenntnisse der Schweizer Verhältnisse voraussetzt. Aber auch für Leser mit allgemeineren Interessen am 18. Jh. bietet das bewegte Leben à Portas Anknüpfungspunkte, um Einblicke in die spannungsreichen Verhältnisse zu bekommen, die die unterschiedlichen theologischen und politischen Entwicklungen dieses Jahrhunderts ðvor OrtÐ erzeugten:

Aus einem alten Adelsgeschlecht stammend wird der junge à Porta schon durch sein Elternhaus mit herrnhutischen Gedanken bekannt gemacht. 1751 zum Studium der Theologie an der vermeintlich pietismusoffenen Hohen Schule zu Bern bewegt, avanciert er aber nicht zum großen Verteidiger Zinzendorfs, wie à Porta es vor seinem Studium selbst beabsichtigte, sondern akklimatisiert sich an die Schultheologie seiner Zeit. Wohl die hier geschlossenen Kontakte zu ungarischen Studenten lassen à Porta schon nach einem dreiviertel Jahr an das Reformierte Kolleg nach Debrecen ziehen, dem von den Gedanken Descartes¹ und Wolffs sanft berührten ðungarischen GenfÐ. Eineinhalb Jahre später folgt nach Station in Klausenburg ein Studienaufenthalt in Nagyenyed (Siebenbürgen), bis à Porta in Nagykároly das Buchdruckerhandwerk erlernt und von Heimweh getrieben 1756 seine erste Pfarrstelle in Bünden antritt. In den folgenden 50 Amtsjahren wechselt à Porta nicht nur sieben Mal die Pfarrstelle, sondern ist dazu in der Synode kirchenleitend tätig. Seine Amtstätigkeit verläuft keineswegs konfliktfrei: Seiner theologisch gemäßigt orthodoxen bzw. ðaufgeklärtenÐ Orientierung zum Trotz wird à Porta offensichtlich auf Grund seiner Herkunft in die Streitigkeiten um die kirchliche Etablierung der Herrnhuter in der reformierten Kirche Bündens hineingezogen. Als sein Bemühen um einen toleranten Ausgleich der sich verhärtenden kirchenpolitischen Fronten scheitert, wechselt er die Stelle, um sich unversehens im Konflikt mit territorialen Unabhängigkeitsbestrebungen wiederzufinden, in deren Folge die von à Porta betreute Gemeinde zur Emigration gezwungen wird. Bevor es zu diesem traurigen Ereignis kommt, tritt à Porta zutiefst enttäuscht von der Unwirksamkeit josephinischer Toleranzpolitik sein drittletztes Pfarramt an. Neben seiner pfarramtlichen Tätigkeit ist à Porta Privatlehrer und er betreibt eine kleine Druckerei. Unermüdlich arbeitet er Zeit seines Lebens an seiner großen Reformationsgeschichte Bündens, deren ersten beiden Bände 1771­1777 unter dem Titel ðHistoria Reformationis Ecclesiarum RaeticarumÐ erscheinen; sie bleibt unvollendet.

Die Unmenge an Informationen, aus der der Vf. dieses Lebensbild erstellt, sortiert er in drei Studien: Biographie (1­235), Historiographie (237­423) und Theologie (425­477). Eine ungarische Zusammenfassung (479­489), die wohl dem Studienaufenthalt à Portas in Ungarn, den Archivbesuchen des Vf.s und seinem dortigen Engagement zu verdanken ist, und eine im wahrsten Sinn des Wortes Schlussbemerkung (491­493) beschließen den Darstellungsteil der Arbeit. Im Anhang gibt der Vf. noch eine Aufstellung der Archivbesuche (497­507), die à Porta zwecks Abfassung seiner Reformationsgeschichte absolvierte, sowie der von ihm in seiner Geschichtsschreibung verwendeten Korrespondenzen (509­517).

Lehrreich ist in dieser wuchtigen Materialpräsentation sehr viel, besonders in der ersten Studie. Ob der universitätshistorische Überblick über die Hohen Schulen von Bern und Debrecen, die dichten Beschreibungen der Zinzendorf- und Emigrationskontroversen oder die bildungshistorische Einbettung von à Portas privatgelehrten Interessen, in diesen detaillierten Sequenzen tritt einem die ganze Stärke der Studie deutlich vor Augen. Hier wird die Verbindung von internationalem Horizont der reformierten Protestantismuskultur und ihrer Schweizer Ausprägung vom Vf. ebenso nachdrücklich in Erinnerung gerufen wie der Umstand, dass noch am Ende des 18. Jh.s religiöse Überzeugungen zum Spielball politischer Interessen werden konnten. Ebenso stellt der Vf. die an den Universitäten und in den Kirchen herrschende Zurückhaltung gegenüber neueren theologie- und frömmigkeitsgeschichtlichen Dynamiken vor Augen, die eine flächendeckende Durchsetzung etwa ðaufklärerischenÐ Gedankenguts oder zinzendorfschen Herzensglaubens nachhaltig hemmten. Leider ist der Vf. mit allem, was die Deutung des von ihm präsentierten Materials angeht, zurückhaltend. Gerne hätte der Rezensent auch einmal eine Vermutung etwa über die Frömmigkeit à Portas, seine lebensgeschichtlichen oder politischen Einstellungen und Absichten gelesen. Die Deutungsabstinenz zeigt sich besonders in der zweiten Studie, die wie die erste monographischen Umfang hat. Die Abschnitte über die Quellenverwendung à Portas und die Schwerpunktbildungen seiner Reformationsgeschichte (Religions- und Bekenntnisfreiheit, Emigration italienischer Nonkonformisten und dadurch freigesetzte Abendmahls- und Prädestinationsstreitigkeiten, Bündner Wirren) sind interessant und die Gegenwartsbedeutung offensichtlich, die à Porta seiner Geschichtsschreibung damit gab. Doch was à Porta damit beabsichtigte bleibt dunkel, da eine Querverbindung dieser Studie zur ersten herzustellen dem Leser aufgegeben ist. Nicht einmal das Urteil eines Zeitgenossen, mit à Portas Geschichte »das allerlangweiligste aller existierenden Bücher« gelesen zu haben, führt zum Widerstand, sondern zu der schon bemerkenswert weitreichenden Stellungnahme des Vf.s, dass à Portas »Darstellung streckenweise wirklich trocken ist« (271). Die schwächste Studie ist die dritte. Warum aus Predigten à Portas, die Hauptquellen dieser Studie, eine an traditionellen Loci orientierte ðDogmatikÐ erhoben wird und die Predigten bar ihres homiletischen und predigthistorischen Sitzes im Leben vorgestellt werden, ist dem Rezensenten schlicht unerfindlich. Ob der »integrative und irenische Charakter« der darin aufscheinenden »eklektischen« Theologie (476), die à Porta aus allen möglichen Traditionssträngen vor allem herrnhutischer Provenienz zusammenbaut, nicht doch nahelegt, à Porta als herkunftstreuen Herzensfrommen zu charakterisieren, bleibt unerwägt. Vielleicht hätte sich dadurch das Spannungsfeld von ðOrthodoxieÐ, ðPietismusÐ und ðAufklärungÐ, das der Titel ja verspricht, aufzeigen lassen.

Doch diese kritischen Bemerkungen sollen den Gewinn, den man aus dieser Studie und der vom Vf. geleisteten Arbeit ziehen kann, nicht schmälern. Solche Rekonstruktionen individueller Brechungen großräumiger Entwicklungen im 18. Jh. haben wir viel zu selten.