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Ausgabe:

Januar/2007

Spalte:

46-48

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Wilckens, Ulrich:

Titel/Untertitel:

Theologie des Neuen Testaments. Bd. I: Geschichte der urchristlichen Theologie.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2005. Teilbd. 3: Die Briefe des Urchristentums: Paulus und seine Schüler, Theologen aus dem Bereich judenchristlicher Heidenmission. XVIII, 389 S. 8°. Kart. EUR 29,90. ISBN 3-7887-1907-9. Teilbd. 4: Die Evangelien, die Apostelgeschichte, die Johannesbriefe, die Offenbarung und die Entstehung des Kanons. 377 S. 8°. Kart. EUR 29,90. ISBN 3-7887-2092-1.

Rezensent:

Ferdinand Hahn

Mit den kurz hintereinander erschienenen Teilbänden 3 und 4 schließt W. seine Darstellung der urchristlichen Theologiegeschichte ab. Nachdem er zunächst die Geschichte Jesu und die Anfänge der christlichen Kirche behandelt hat, geht es jetzt um die einzelnen Schriften des Neuen Testaments. Die beiden Eingangskapitel über die Geschichte der christlichen Gemeinden bis 70 n. Chr. (I/3, 1­24) und die Geschichte des Paulus (I/3, 25­53) stellen eine Überleitung dar; ein Kapitel über die »Entstehung des Kanons Heiliger Schrift« (I/4, 290­334) rundet die Darstellung ab.

1. W. setzt die in I/1 programmatisch entwickelte Konzeption konsequent fort. Auch bei der Behandlung der jeweiligen Schriften geht es vor allem um das konkrete Geschehen und damit um die Bedeutung des Geschehens vor dem damit verbundenen Wort (vgl. meine Rezension von I/1 und I/2 in ThLZ 129 [2004], 1305­1309, dort 1306). Das zeigt sich einerseits daran, dass sämtliche Schriften des Neuen Testaments einzeln behandelt werden, und andererseits in dem Bemühen, die Texte fortlaufend zu besprechen, wobei vor allem ihr »pragmatisches Anliegen« (I/3, V) sichtbar werden soll.

2. In der Darstellung werden die so genannten Einleitungsprobleme bewusst berücksichtigt. Ihre Verschränkung mit den theologischen Fragen soll sichtbar gemacht werden (vgl. Vorwort zu I/4). Das betrifft neben den Verfasser- und Datierungsfragen vor allem die jeweils vorauszusetzende konkrete Situation. Außerdem wird die Geschichte des Kanons eingehend erörtert, die sonst in den neutestamentlichen Theologien unberücksichtigt bleibt. Hinsichtlich der Beschränkung der Darstellung auf die kanonischen Schriften soll dabei deutlich werden, dass es von Anfang an eine klare Bezeugung der maßgebenden Schriften und ihrer Bedeutung gab. Dass eine Theologie des Neuen Testaments in diesem Sinn verstanden und durchgeführt wird, ist rückhaltlos zu begrüßen.

3. In einem umfangreichen Teilstück des Bandes I/3 werden die paulinischen Briefe in ihrer vermutlich ursprünglichen Reihenfolge behandelt. W. weist darauf hin, dass die fortlaufende Besprechung der Briefe und ihr »historisches Verstehen« nicht im Sinn einer Entwicklung der paulinischen Theologie missverstanden werden darf (Vorwort zu I/3). Es wird zu den Schriften des Apostels jeweils ein Kurzkommentar geboten, der nur beim Galaterbrief in eine Zusammenfassung mündet (I/3, 160­164). Das Schwergewicht ruht auf den Einzelabschnitten und ihrer theologischen Relevanz. Der Materialreichtum dieser Darstellung kann hier nicht näher nachgezeichnet werden. Es werden vor allem der 1. Korintherbrief, der Galaterbrief und der Römerbrief ausführlich behandelt (42, 33 und 76 Seiten), während die sehr viel knappere Besprechung des 2. Korintherbriefes angesichts der theologischen Bedeutung dieses Schreibens überrascht (19 Seiten). Die beiden Schlusskapitel des Paulusteils enthalten zunächst die »letzten Briefe aus der Gefangenschaft in Rom«, Philipper, Philemon und Kolosser (wobei beim Kol die Abfassung durch einen Mitarbeiter, vermutlich Timotheus, angenommen wird, 254), sodann die nachpaulinischen Briefe an die Epheser sowie an Timotheus und Titus. In den weiteren Kapiteln dieses Bandes wird sehr eingehend und mit einer Zusammenfassung der Hebräerbrief behandelt (302­355), dann werden etwas kürzer Jakobusbrief, Petrusbriefe und Judasbrief besprochen (356­389).

4. Bd. I/4 ist abgesehen von dem Kapitel über den Kanon in erster Linie den Evangelien und der Apostelgeschichte gewidmet. Dabei gewinnt die Darstellung einen ausgesprochen narrativen Zug, was auch mehrfach betont wird. Zusätzlich werden die Johannesbriefe und die Offenbarung behandelt. W. legt wieder eine fortlaufende Behandlung der Texte vor, die nun jeweils in eine abschließende Übersicht über wesentliche theologische Aspekte einmündet. Ihm liegt daran, nicht einen theologischen »Extrakt« zu bieten (136), sondern das geschichtliche Geschehen zu schildern. Überraschenderweise geht er jedoch beim Matthäusevangelium thematisch vor (51­87). Unter Berücksichtigung der Zwei-Quellen-Theorie beginnt er mit der Spruchquelle Q und dem Markusevangelium und lässt Matthäus und das lukanische Doppelwerk folgen. Bei Markus geht es ihm um eine »Christologie als Geschichtsbericht« und damit um ein »neues Modell christologischer Heilsverkündigung« (47). Auffallend ist, dass die Motive der geheimen Offenbarung weitgehend fehlen. Bei Matthäus wird hervorgehoben, dass es sich um das Werk eines »großen judenchristlichen Theologen« handelt, der die Lehrerfunktion Jesu besonders betont hat (54.62­69). Bei Lukas wird die Zusammengehörigkeit von Evangelium und Apostelgeschichte hervorgehoben und die Eigenart dieser großen Erzählung beschrieben (88­150). Auch das Johannesevangelium wird als »Erzählwerk« verstanden (165). Prolog und Abschiedsgebet bilden dabei die Pfeiler (166). Es handelt sich um eine »theologisch vertiefende Deutung der synoptischen Evangelientradition« (152­154). Besonders beachtet wird die Bedeutung der »theologischen Symbolik« (174 f.). Dieser Darstellung wird relativ knapp die Thematik der Johannesbriefe zugeordnet (226­233). Ausführlich wird anschließend die Johannesoffenbarung besprochen (255­289). Während bei den Synoptikern hinsichtlich der Verfasserschaft die altkirchlichen Nachrichten herangezogen werden (18 f.55 f.91 f.), wird das Johannesevangelium als Werk des Jüngers, »den Jesus liebte«, angesehen (155­158). Die Offenbarung stammt dagegen von einem urchristlichen Propheten (255 f.).

5. Blickt man auf den umfangreichen ersten Band des Werkes zurück, so ist festzustellen, dass W. bei allen Vorbehalten gegenüber der historisch-kritischen Methode wesentliche Ergebnisse übernommen hat. Das ist nicht zufällig, da er ja gerade an der konkret-geschichtlichen Dimension der Texte interessiert ist. Was er vermeiden will, ist ein neutraler Gebrauch der Methode; sie muss im Dienste jenes Zeugnisses stehen, das die einzelnen Schriften in je verschiedener Weise zum Ausdruck bringen. Ein zweites Kennzeichen ist die Orientierung an dem fortlaufenden argumentativen oder narrativen Text. Das schließt in einigen Fällen zusammenfassende Abschnitte nicht aus, sie begegnen aber keineswegs überall; vor allem bei den Paulusbriefen wird darauf weitgehend verzichtet. Entsprechend fehlt, was am meisten überrascht, eine umfassende Darstellung der paulinischen Theologie. Man mag gespannt sein, wie nun der zweite Band, der die Einheit der neutestamentlichen Überlieferung insgesamt herausarbeiten will, aufgebaut und durchgeführt wird. Ein besonders hervorzuhebendes Kennzeichen des vorliegenden Werkes ist die intensive Besprechung der Textabschnitte, die sich auf das Verhältnis zu Israel beziehen. Das betrifft ebenso die ausführliche Behandlung von Röm 9­11 (I/3, 217­232) wie die entsprechenden Abschnitte bei Matthäus, Lukas und Johannes (I/4, 75­87.140­146.249­254). Jeweils wird gezeigt, dass es sich bei den Auseinandersetzungen und Anklagen um eine ganz spezifische Situation handelt, die nicht verallgemeinert werden darf, und dass die fundamentale Zusammengehörigkeit von Christentum und Judentum nicht in Frage gestellt ist.