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Ausgabe:

Januar/2007

Spalte:

31-33

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

< B>Sheehan, Jonathan:

Titel/Untertitel:

The Enlightenment Bible. Translation, Scholarship, Culture.

Verlag:

Princeton-Oxford: Princeton University Press 2005. XVII, 273 S. m. Abb. gr.8°. Lw. £ 22,95. ISBN 0-691-11887-6.

Rezensent:

Henning Graf Reventlow

Die Arbeit Sheehans beschreibt die Geschichte des Überlebens der Bibel unter grundsätzlich veränderten Vorzeichen in ihrer aktuellen Bedeutung in der westlichen Kultur (Deutschland und England) als einen Prozess, der durch die Epoche der Aufklärung bewirkt wurde. Vorher ein durch seine theologische Autorität verbindliches Buch, fällt es der Kritik der Aufklärung nicht endgültig zum Opfer, sondern gewinnt nach ihrem Ausklang neues Ansehen als kulturelles Erbe westlicher Kultur.

In einem einleitenden Kapitel (Kapitel 1: »The Vernacular Bible: Reformation and Baroque«, 1­25), in dem S. die Bedeutung der muttersprachlichen Übersetzungen in den reformatorischen Kirchen Deutschlands und Englands behandelt, verbindet er dies mit dem Hinweis darauf, dass sich die Fachwissenschaft, obwohl an ihrer Entstehung maßgeblich beteiligt, von den muttersprachlichen Bibeln mehr und mehr fernhielt. Hier vermisst man einen Hinweis auf den starken humanistischen Einfluss, der zu dieser Entwicklung führte. Anschließend behandelt S. in einem ersten Hauptteil (»The Birth of the Enlightenment Bible«, 27­92) in zwei Kapiteln die mit dem 18. Jh. einsetzende Kritik am Neuen Testament: Kapitel 2 (31­57). Zunächst in England: Deisten und Apologeten. S. beurteilt deren Festhalten an den religiösen Traditionen negativ als Hindernis für die Entwicklung einer »productive and positive relationship between scholarship and the Bible« (53). Kapitel 3 (57­85) dann in Deutschland: Beim Pietismus konzentriert sich S. bewusst auf dessen Praxis (59). Hierzu lässt sich natürlich im Hinblick auf A. H. Francke und sein Hallesches Collegium Orientale Theologicum (60) einiges sagen. S. ist aber im Zuge seines Ansatzes mehr interessiert an den Bemühungen radikalerer Pietisten um eine »post-theological Bible« (63), worunter die »Biblia Pentapla« von J. O. Glüsing den ersten Platz einnimmt. Die dort enthaltene Bibelübersetzung von Johann Heinrich Reitz (als »Das Neue Testament Unsers Herrn JEsu Christi/Auffs neue ausm Grund verteutschet/und mit Anziehung d. verschiedenen Lesungen/u. vieler übereinstimmenden Schrifft-Oerter/versehen«, übrigens bereits separat in Offenbach 1703 erschienen) wird als beachtlicher erster Versuch zu einer wörtlichen Übertragung (»linguistic objectivism«, 64) des Neuen Testaments hervorgehoben. S. weist anschließend auf die Spannung hin, die zwischen diesem Objektivismus und den subjektiven Zielen der pietistischen Übersetzer entstand.

Die bekannte Berleburger Bibel (1726­40) wird vor allem für ihren ungeheuren Anmerkungsapparat, der den übersetzten Text weit überragt, hervorgehoben, auch in Parallele zu Bayles »Dictionnaire historique et critique« (73­85).

Der ausführliche Mittelteil (Teil II »The Forms of the Enligthenment Bible«, 87­217) bespricht in vier Kapiteln die Formen, in denen sich die »Aufklärungsbibel« darstellt. »The Enlightenment Bible was produced when Germans broke this essential link between theology and the Bible« (90). Zugleich aber gilt: »the new answers were efforts at recuperation, efforts to keep the Bible safe and well in a post-theological age« (91). Zu diesen Bestrebungen rechnet S. »Philology: The Bible from Text to Document« (Kapitel 4; 93­117). J. A. Bengels Übersetzung und Textkritik des Neuen Testaments sind in ihrer Kombination ein Musterbeispiel für eine philologische Sicherung des neutestamentlichen Textes. Kapitel 5 (118­147) handelt von der pädagogischen Seite der Aufklärungsbibel. Hier entstanden vor allem Bibelübersetzungen (J. L. Schmidts »Wertheimer Bibel« bis K. F. Bahrdt), deren Verfasser von der moralischen Autorität der Bibel überzeugt waren, die durch Vernunft und Rationalität der modernen Leserschaft plausibel gemacht werden sollten.

Kapitel 6 »Poetry: National Literature, History, and the Hebrew Bible« (148­181) schildert die poetischen Zugänge zur Bibel, beginnend mit R. Lowth, dessen Jesajaübersetzung (1778), S. mit Recht als »surely a major literary monument« einstuft (148). Dagegen wird J. J. Cramers (des Schülers Klopstocks) Werk »Poetische Übersetzung der Psalmen mit Abhandlungen über dieselben« (4 Bde., 1755 bis 1764) ­ bei S. wird nur ein englischer Kurztitel und das Erstpublikationsjahr genannt! (152.155) ­ als wegen der Kraft original hebräischer Poesie wenig geglückter Versuch geschildert, den Geist davidischer Poesie durch Umsetzung in zeitgenössische Poesieregeln den Zeitgenossen nachfühlbar zu machen. Dem »Job revival« in England und Deutschland (um 1760­80) wird ein eigener Abschnitt (160­168) gewidmet. Die poetische Bibel als deutsche Nationalliteratur zu fassen, wurde nach Klopstock und Cramer bekanntlich durch Herder propagiert. S. erwähnt aber auch die Konsequenzen für die deutschen Juden (176­181).

Kapitel 7 widmet sich unter der Überschrift »History: The Archival and Alien Old Testament« (182­217) der dänischen Expedition nach Arabien (Jemen) unter Carsten Niebuhr mit ihrer Suche nach biblischen Realia, vor dem Hintergrund der Ablehnung jeglicher missionarischer Interessen, und der kommentierten Monumentalübersetzung der gesamten Bibel durch Johann David Michaelis, die als streng historisch-philologisches Werk gestaltet war. Die historische Sicht der Bibel gewinnt die Oberhand. Beide Unternehmen sehen von der theologischen Bedeutung der Schrift weitgehend ab.

Teil III »The Cultural Bible« (219­258) bringt unter dieser Überschrift noch einmal zwei Entwicklungen, je eine in Deutschland 1790­1830 (Kapitel 8; 223­240) und in England 1780­1870 (Kapitel 9; 241­258), die gegensätzlich verlaufen, ins Gespräch. Die Entwicklung zu dieser neuen Form von Sicht und Wirkung der Bibel durch eine Vereinigung von Religion und Kultur setzt S. aktuell um 1780­1800 bei Herder an (219) mit einer die Vorstufen zusammenfassenden Wertung, die zugleich die Produktion neuer Übersetzungen zum Erliegen bringt (220). Die Krise des Rationalismus um 1800 fällt zusammen mit einer Renaissance der Lutherbibel (224­227). Schleiermacher steht für eine neue Auffassung von Religion. Allerdings wird J. P. Gabler hier zu Unrecht genannt (230), denn dieser war ein im Grunde konservativer Lutheraner, der gerade aus der Bibel Grundsätze einer lutherischen Dogmatik gewinnen wollte. Die Verbindung von deutschem Nationalgefühl (durch den Ausgang der Französischen Revolution und des Befreiungskampfes von der napoleonischen Herrschaft befördert, was hier im Hintergrund bleibt) und Religion restaurierte auch die moralische Autorität der Bibel. S. betont auch hier (237­240) die entstandene Schieflage für das Judentum. Kapitel 9 beschreibt eine entsprechende Entwicklung in England.

Die Fülle des verarbeiteten Stoffes und die Konzentration auf ein enger begrenztes Gesamtthema in Liebe zum Detail bei einem umfassenden Zeitrahmen gestaltet das Werk zu einer anregenden Lektüre. Die Stoffe selbst sind dem Fachmann bekannt, aber ihre Zusammenstellung zu einer dialektischen Gesamtentwicklung eröffnet in vieler Hinsicht neue Perspektiven. Der Werdegang des amerikanischen Autors mit häufigen längeren Aufenthalten in deutschen Bibliotheken machte eine deutsch-englische Zusammenschau (in ähnlicher Weise wie etwa bei J. W. Rogerson) möglich.

Zwei wesentliche Mängel müssen jedoch moniert werden:

1. Die methodische Ausklammerung der geistesgeschichtlich-ideologischen Hintergründe macht die Aufeinanderfolge der geschilderten Perioden ohne Vorkenntnisse schwer verständlich. Wie kommt es z. B. plötzlich zur Ausbildung des Pietismus? Ein paar Worte zu seinen Ursachen wären hilfreich gewesen.

2. Mehr technisch bedingt, aber in der Auswirkung noch schwerwiegender ist das völlige Fehlen einer bibliographischen Grundlegung.

Wenn schon eine umfassende Bibliographie fehlt, hätte der Index auf die in Text und Anmerkungen erwähnten Quellen und die umfangreich verarbeitete Sekundärliteratur vollständig verweisen müssen. Solche Verweise sind aber äußerst lückenhaft. Viele in den Anmerkungen erwähnten Titel fehlen im Index ganz. Wurde der nur auf Grund des Haupttextes erstellt? Wenn im Index Namen genannt werden, findet man außerdem häufig an der betreffenden Stelle nur unvollständige Angaben. Wer die lückenhaft oder fragmentarisch erwähnte Literatur weiterverfolgen will, kann sich oft nur durch unabhängige Suche an anderer Stelle (in Katalogen, Internet usw.) helfen. Oder es wird ein Name genannt, aber die Fundstellen sind unvollständig erfasst. Wie es zu dieser Unordnung gekommen ist, lässt sich nicht von außen erklären. Zeitmangel bei der Fertigstellung des Manuskripts? Unterbrechung der Arbeit? Bei einer eventuellen Neuauflage wäre S. dringend zu raten, diese nötige Aufgabe noch zu erledigen.