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Ausgabe:

Januar/2007

Spalte:

28-29

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Dreher, Matthias:

Titel/Untertitel:

Rudolf Bultmann als Kritiker in seinen Rezensionen und Forschungsberichten. Kommentierende Auswertung.

Verlag:

Münster: LIT 2005. 499 S. gr.8° = Beiträge zum Verstehen der Bibel, 11. Kart. EUR 39,90. ISBN 3-8258-8545-3.

Rezensent:

Werner Zager

Auf der Grundlage der von Matthias Dreher und Klaus W. Müller besorgten Edition von ausgewählten Rezensionen und Forschungsberichten Rudolf Bultmanns, die 2002 unter dem Titel »Theologie als Kritik« erschien (vgl. die Rezension von Hans Hübner, in: ThLZ 128 [2003], 1304­1310), hat D. in seiner im Wintersemester 2002/2003 angenommenen und von Otto Merk betreuten Erlanger Dissertation eine kommentierende Auswertung sämtlicher 153 Rezensionen und Forschungsberichte Bultmanns aus den Jahren 1908­1930 vorgelegt. Die zeitliche Beschränkung wird zum einen damit erklärt, dass eine Einzelauswertung aller 240 in Betracht kommenden Texte den Rahmen einer Dissertation gesprengt hätte; zum anderen rechtfertigt D., den Einschnitt im Jahr 1930 vorzunehmen, damit, dass mit Bultmanns Paulus-Artikel für die RGG2 dessen »theologisch-hermeneutische Entwicklung« im Wesentlichen zum Abschluss gekommen sei (19).

Der Einzelauswertung ist eine knapp gehaltene Einführung (14­21) vorangestellt, die über den Stand der historisch orientierten Bultmann-Forschung informiert, die Bedeutung der Rezensionen herausstellt und deren gesonderte Auswertung begründet. So lassen die Rezensionen die Beeinflussung durch Lehrer und Kollegen erkennen und bieten die Möglichkeit, die Genese der Theologie Bultmanns detailliert nachzuvollziehen. Der separaten Auswertung wird gegenüber der Auswertung nach Sachthemen der Vorzug gegeben, da sonst »das stets im Hintergrund wirkende Verständnis von Exegese, Religion und Geschichte aus seinem organischen Zusammenhang mit den Sachthemen gelöst« würde (20). Außerdem »würde eine Sachordnung ein Wahrnehmungsraster bedeuten, das der Breite von Bultmanns Horizont, der Fülle der von ihm rezipierten Bücher und Denkanstöße nicht gerecht würde« (ebd.). Die Auswertung leiten folgende Fragestellungen:

»1. Wovon handelt das betreffende Buch? 2. Welche Auffassung hat Bultmann von dem Buch? 3. Was ist Bultmanns eigene Auffassung der Sache? 4. In welchem geschichtlichen und sachlichen Kontext steht diese Auffassung? 5. Besteht eine Abhängigkeit zwischen der Auffassung des Buches und derjenigen Bultmanns? 6. Wie hat Bultmann später über diesen Punkt gedacht?« (21)

Es schließt sich die Einzelauswertung der Rezensionen und Forschungsberichte für die Jahre 1908 bis 1930 an (22­426), die den Kernbestand des Buches ausmacht. Hier werden auch solche Texte analysiert, die in der Auswahl-Edition »Theologie als Kritik« nicht enthalten sind, weil sie beispielsweise in einem leicht zugänglichen Band bereits zum zweiten Mal veröffentlicht sind. Wie sich anhand seiner Rezensionen der Denkweg Bultmanns nachzeichnen lässt, hat H. Hübner (s. o.) überzeugend dargelegt. Darauf kann folglich an dieser Stelle verzichtet werden. Stattdessen sollen einige forschungsgeschichtliche Ergebnisse D.s aufgezeigt werden:

­ Innerhalb der »Geschichte der synoptischen Tradition« (1921) vertretene formgeschichtliche Auffassungen begegnen bereits in Rezensionen des Jahres 1914. Sie dürften daher aus Gesprächen Bultmanns mit Hermann Gunkel und Johannes Weiß bzw. aus der Beschäftigung mit deren Schriften oder auch aus der Rezensionsarbeit selbst erwachsen sein (82).

­ D.s eingehende Analyse von Bultmanns Rezension der 2. Auflage von Karl Barths »Römerbrief« macht zweierlei deutlich:

»1. Bereits die ðRömerbriefÐ-Rezension ist ganz von dem erst später offen zutage tretenden Grund-Dissens um die anthropologische Ausrichtung der Theologie geprägt. Die Rezension hat nichts mit einem Manifest der dialektischen Theologie zu tun. 2. Bultmanns theologische Entwicklung verläuft ­ stärker als bei Barth ­ kontinuierlich. Er nimmt zwar immer wieder neue Eindrücke und Einflüsse auf ­ hier z. B. das Gewicht der Krisis und das Schriftverständnis­, bleibt aber den Grundlegungen seiner Theologie im Denken [Wilhelm] Herrmanns und der Religionsgeschichtlichen Schule treu.« (186)

Mit der liberalen Theologie verbindet Bultmann das Anliegen, »den modernen Gläubigen davor zu bewahren, von der Ratio nicht gedeckte Sätze intellektualistisch anzunehmen« (264).

Die Ausarbeitung der existentialen Methode führt nicht zur Aufgabe der idealistisch-historischen Methode; Bultmann hält an der Methodendualität von Rekonstruktion und Interpretation fest (260).

Auf den Hauptteil folgt ein »Ausblick auf die Jahre 1931­1969« (427­454), der die Rezensionen Bultmanns während dieser Zeit thematisch auswertet ­ und zwar im Blick auf folgende Fragestellungen: exegetische und hermeneutische Methodik (mit einer anschaulichen Grafik zu Bultmanns Auslegungskonzept: 429), Synoptikerforschung, Paulus, Johannesevangelium, spätantike Religionsgeschichte und Theologumena. Am Ende des Ausblicks zieht D. das Fazit, »dass Bultmanns methodische wie theologische Entwicklung bereits um das Jahr 1927 sachlich abgeschlossen war« (454). Damit wird der vorgenommene Einschnitt bei der Einzelauswertung der Bultmannschen Rezensionen als sachgemäß bestätigt.

Unter der Überschrift »Schluss« (455­457) skizziert D. Bultmanns in seinen Rezensionen zum Ausdruck kommende »Entwicklung eines liberalen, religionsgeschichtlich orientierten Exegeten zum Vertreter einer originären Existenz-Theologie« (455) als einen kontinuierlich verlaufenden Prozess. ­ Abgerundet wird der Band mit einem Literaturverzeichnis (459­499), in dem u. a. sämtliche Rezensionen und Forschungsberichte Bultmanns aufgeführt werden.Insgesamt ist die vorliegende Untersuchung solide gearbeitet und lässt »Bultmann als Kritiker« besser verstehen. Trotz der von D. geäußerten Bedenken hätte eine systematische Darstellung gegenüber der chronologischen Aneinanderreihung von Einzelauswertungen bevorzugt werden sollen ­ freilich eine solche, die die Entwicklungslinien von Bultmanns Denken in den einzelnen Forschungsbereichen aufzeigt.