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Ausgabe:

Dezember/2004

Spalte:

1267–1282

Kategorie:

Aufsätze

Autor/Hrsg.:

Herzer, Jens

Titel/Untertitel:

Abschied vom Konsens? Die Pseudepigraphie der Pastoralbriefe als Herausforderung an die neutestamentliche Wissenschaft

Seit 1990 zählen die Register mindestens 15 neue Kommentare zu den Pastoralbriefen. Die hier anzuzeigenden von L. Oberlinner1, J. D. Quinn2, J. D. Quinn/W. C. Wacker3, L. T. Johnson4 und A. Weiser5 bilden daher einen zwar begrenzten, aber repräsentativen Ausschnitt der neueren Forschung.

Nach den kritischen Studien zum ersten Timotheusbrief durch J. E. C. Schmidt (1804) und F. D. E. Schleiermacher (1807) sowie der erweiterten Kritik J. G. Eichhorns (1812) und F. C. Baurs (1835) steht für den überwiegenden Teil der Forschung die Pseudonymität der Pastoralbriefe (= Past) und ihre kompositorische Einheit fest. Fragt man jedoch genauer, was die Past seien, warum sie geschrieben wurden und wem sie galten, dann stößt man auf so divergierende Auffassungen, dass eine systematische Darstellung der aktuellen Forschung kaum möglich ist. Der Konsens in der Forschung zu den Past besteht daher nur scheinbar, insofern er grundlegende Aspekte wie die pseudepigraphische Verfasserschaft, die einheitliche Konzeption und die doppelte Fiktionalität betrifft. Gelegentlich entsteht der Eindruck, dass vor diesem Hintergrund die Bemühungen um eine angemessene Interpretation der Briefe zu einem Wettstreit von subjektiven Empfindungen und phantasievollen Deutungen geworden sind. Dem hat L. Oberlinner zu Recht und unmissverständlich Ausdruck verliehen, wenn er von "zwiespältigen Gefühlen" spricht, die eine Beschäftigung mit den Past hervorrufe.6 Angesichts der sich zum Teil ausschließenden Ergebnisse der Forschung wird zunehmend fraglich, ob die Past unter pseudepigraphischer Voraussetzung tatsächlich besser verstanden werden können und ob sie tatsächlich eine konsistente Theologie, Christologie oder Ekklesiologie aufweisen. Selbst die Art der Pseudepigraphie bleibt kontrovers, ist sie doch weit entfernt von dem, was man akzeptierte Schulpseudepigraphie nennen kann, sondern vielmehr der literarischen Fälschung mit einer auch im Altertum negativ beurteilten Täuschungsabsicht zuzuordnen.7 Unter diesem Vorzeichen waren kanonkritische Tendenzen der älteren Forschung des 19. Jh.s hinsichtlich der Past konsequent. Bis auf wenige Ausnahmen ist gegenwärtig die Auffassung verbreitet, dass diese Probleme einer grundlegenden Reflexion nicht bedürfen. Der interpretatorische Aufwand, zu dem die allgemein anerkannten Voraussetzungen führen, ist allerdings Indikator des Problems. Dies wird nicht nur in Kommentaren deutlich, sondern auch in den zahlreichen neueren Monographien zu den Past, die sich mit unterschiedlichen Ergebnissen um deren thematische Geschlossenheit bemühen.8

Bevor auf verschiedene Werke näher eingegangen wird, sei auf ein interessantes Phänomen hingewiesen, das freilich keine inhaltlichen, sondern pragmatische Gründe hat. Die in der Forschung etablierte Auffassung der Past als einer kompositorischen Einheit steht in gewisser Spannung zur Einzelkommentierung in bestimmten Reihen. Von den hier anzuzeigenden Kommentaren umfasst allein der von Oberlinner alle drei Briefe, wobei innerhalb seiner Kommentierung Unausgeglichenheiten stehen bleiben. Die von J. Roloff im EKK mit dem 1Tim begonnene Auslegung9 hat Weiser mit dem Kommentar zum 2Tim fortgeführt. Zwar stimmen beide Autoren in grundlegenden Entscheidungen überein, weichen aber im Detail erwartungsgemäß voneinander ab. In der Reihe der Anchor Bible ist 1990 - zwei Jahre nach dem Tod des Autors - in einem ersten Band die Auslegung zum Tit von Quinn erschienen; 1Tim und 2Tim sind in dieser Reihe von Johnson bearbeitet worden. Mit dem Wechsel des Autors hat sich das Konzept grundlegend geändert. Während Quinn selbstverständlich die Pseudonymität der Past voraussetzte, geht Johnson von deren Authentizität aus. Wacker hat es in verdienstvoller Weise unternommen, die von Quinn bereits begonnene Auslegung der beiden Timotheusbriefe postum zu bearbeiten und in Eerdmans Critical Commentary herauszugegeben. Dies ist insofern ein interessantes Projekt, als Wacker - so ist bestimmten Äußerungen des Vorwortes zu entnehmen - hinsichtlich der Autorschaft der Past durchaus anderer Meinung zu sein scheint als Quinn, dies aber aus Loyalität dem Lehrer gegenüber nicht in die Darstellung einfließen lässt.10

Im Folgenden ist die Konzentration auf die Darstellung der grundlegenden Ansätze unumgänglich. Die Kommentare von Oberlinner als Repräsentant der verbreiteten Auffassung und Johnson als Herausforderer dieses Konsenses sollen etwas ausführlicher zu Wort kommen. Dabei sollen die Grundlagen und Voraussetzungen der pseudepigraphischen Interpretation der Past und die damit verbundenen Probleme im Vordergrund stehen, da hierin eine besondere Herausforderung liegt, der sich die zukünftige Arbeit mit den Past methodisch wie inhaltlich (erneut) zu stellen hat. Im Rahmen einer solchen Problemanzeige ist - anders als in einer Rezension - eine zusätzliche und ohnehin eher zufällige Erörterung einzelner Inhalte der jeweiligen Kommentierung nicht möglich und bleibt anderen Gelegenheiten vorbehalten.

I.

Die dreibändige Kommentierung der Past durch Oberlinner auf insgesamt 776 S. bietet wenig Überraschungen. In der Einleitung zu den Past im ersten Band werden die klassischen Fragen im Sinne des Forschungskonsenses dargestellt und im Anschluss an E. Lohse gleich zu Beginn festgehalten: "Auch wenn Vertreter der Authentizität mit dem Gewicht der Selbstvorstellung des Verfassers als Apostel Paulus auf ihrer Seite den Bestreitern die Möglichkeit absprechen, eine Abfassung durch Paulus als unmöglich nachzuweisen, so lassen es m. E. die bislang gesammelten Einzelbeobachtungen gerechtfertigt erscheinen, den pseudepigraphischen Charakter der Pastoralbriefe als Ergebnis der kritischen Forschung zur Voraussetzung der Interpretation zu machen." (I, XXI f.)11 Dazu gehört, dass die Past "abgefasst worden sind als ein zusammengehöriges Briefkorpus" (I, XXVI).12 Der literarische Charakter als Briefe wird dadurch bestimmt und zugleich relativiert: "Für die Past ist gerade nicht mehr die individuelle Zielsetzung bestimmend und charakteristisch, also der direkte Bezug zwischen den Adressaten und dem Briefschreiber, somit auch nicht mehr die Bindung an spezifische, von Gemeinde zu Gemeinde wechselnde und durch konkrete Situationen bedingte Probleme und Fragen." (I, XXIV) Im Unterschied zu den authentischen Paulusbriefen tragen sie eine "stärker normierende und direktive Note" und gegenüber dem "kerygmatisch-theologischen Akzent" bei Paulus ist "das kirchenrechtliche Moment als das bestimmende an[zu]sehen" (ebd.). "Die Past sind damit am besten zu charakterisieren als kirchenamtliche Lehr- und Mahnschreiben, gerichtet an die Vorsteher der Gemeinden, denen aufgrund ihres Leitungsamtes die Verantwortung und die Sorge für den Glauben und damit auch für das Heil der Gemeinden aufgetragen ist." (I, XXVI) Dass der 2Tim aus diesem Rahmen fällt, wird immerhin vermerkt.13 "Der Apostel verabschiedet sich mit diesen Briefen von seinen Gemeinden (vgl. bes. 2Tim) ..." (Ebd.) Die Frage, warum für diesen Zweck ein solches "Triptychon" (P. Trummer) mit persönlichen Adressaten gewählt wurde, lässt Raum für weitere Vermutungen: "Die Dreizahl der Briefe sollte wohl die Bedeutung und das Gewicht dieses apostolischen Vermächtnisses unterstreichen." (I, XXVII) Die Mitarbeiter Timotheus und Titus als aus der Biographie des Paulus bekannte Personen bekommen "eine stellvertretende Funktion" im Blick auf den Gemeindeleiter: "In Timotheus und Titus werden im übergreifenden Sinn die Gemeindeleiter, die Hirten angesprochen, wie die Beschreibung der Stellung und des Aufgabenbereiches der beiden Apostelschüler wie auch der zum großen Teil allgemein gehaltene Charakter der von Paulus verfügten Anordnungen und Bestimmungen erkennen lassen." (I, XXIII, vgl. XXX)14

Im Anschluss werden die fünf klassischen Argumente gegen die paulinische Verfasserschaft erläutert: die geschichtlichen Bedingungen; Sprache und Stil; das Profil der Irrlehrer; die Struktur der Gemeinden; die Theologie, insbesondere die veränderte Eschatologie. Dies ist im Einzelnen hier nicht darzustellen, da die bekannten Aspekte benannt werden. Die Plausibilität ist kumulativ: "Bei den aufgezählten Differenzpunkten mag im Einzelfall eine Abfassung der Past durch Paulus unter besonderen Bedingungen noch als möglich und denkbar erachtet werden." (I, XXXIX) Allein die Summe der Unterschiede zeige, dass die Past weder zu konkreten Situationen aus dem Leben des Paulus noch zu den Bedingungen der Gemeinden seiner Zeit noch zu seinen theologischen Positionen passen (I, XXXIXf.). Daher scheint eine Abfassung am "Übergang vom ersten zum zweiten Jahrhundert am überzeugendsten" (I, XLVI), wobei sich für den Ort keine genauen Angaben machen lassen. "Zu denken ist an einen Bereich, wo Paulus-Traditionen besonders lebendig waren und sich damit das Problem der Interpretation der paulinischen Überlieferung stellte. Das würde v. a. zutreffen für den kleinasiatischen Raum, in abgeschwächter Form auch für Griechenland." (Ebd.)

Auch für Oberlinner erleichtert die Annahme einer pseudepigraphischen Verfasserschaft das Verständnis der Past (I, XLII). Er verweist auf das "gemeinantike Traditionsdenken" und versteht "Pseudepigraphie als eine Art Personalisierung der Tradition". "[I]m Wesen dieser Personalisierung von Tradition liegt es, daß die Wahrheit und die Unverfälschtheit einer Überlieferung garantiert gesehen werden in der Anbindung an eine Person aus der Geschichte, deren Autorität für einen bestimmten Bereich bzw. für bestimmte Personengruppen mit gemeinsamer (Glaubens-)Überzeugung unbestritten ist." (I, XLIII) Wie schon zu Lebzeiten die apostolische Parusie durch einen Brief oder einen Mitarbeiter "ersetzt" werden konnte, so erst recht, nachdem der Apostel gestorben war. "In den von Paulus zurückgelassenen Briefen und in deren Auslegung sowie in der Verkündigung, die sich an Paulus orientiert, ist der Apostel weiterhin in den Gemeinden gegenwärtig." (I, XLIV) Das gilt ohne Zweifel, schließt aber nicht die Möglichkeit oder gar Notwendigkeit gefälschter Briefe ein, um diese Art der apostolischen Präsenz weiterzuführen. Zu erweisen wäre nämlich, inwiefern die Past eine sich an Paulus orientierende Verkündigung repräsentieren, wenn es stimmt, dass es inhaltlich um die Bewahrung der "in den Paulusbriefen vorliegenden Glaubensinhalte" geht. Dass dies aber nicht der Fall ist, nötigt zu der Erklärung: "Für die Past ist Kontinuität der Verkündigung nicht gleichbedeutend mit Identität." (I, XLV) Der Satz: "Auf dieser Linie der Aktualisierung und Interpretation des Paulus liegen die paulinischen Pseudepigrapha, also auch die Past" (ebd.), bleibt aus meiner Sicht eine nicht begründbare Behauptung, da sich die Past charakteristisch von anderen paulinischen Pseudepigrapha wie etwa dem Eph unterscheiden. Daher muss Oberlinner den Satz hypothetisch erweitern: "Im Vergleich zu Eph und Kol haben wir in den Past ein weiter fortgeschrittenes Stadium vorliegen; die Past blicken nicht nur auf Paulus zurück, sondern sie schauen auch schon zurück auf die Schüler und Nachfolger des Paulus, so daß man mit gutem Recht von Tritopaulinen sprechen kann." (I, XLV)

In einem letzten Abschnitt nimmt Oberlinner zu den "Past im Urteil der Theologen" Stellung. Darin wendet er sich zu Recht gegen Tendenzen der älteren Forschung, die Past "im Vergleich mit Paulus theologisch zu kritisieren" und sie als unpaulinisch zu charakterisieren (I, XLVII; gegen S. Schulz; H. Köster, so schon grundlegend H. J. Holtzmann). So wichtig die Kritik an dieser Sicht ist, so wenig überzeugend bleibt die Alternative: "Der Stellenwert der Past kann nicht bestimmt werden anhand der Übereinstimmung mit Paulus; wichtiger und aussagekräftiger für eine sachgerechte Beurteilung sind vielmehr gerade die Unterschiede. Die Beurteilung hat dabei zu bedenken, daß der Verfasser der Past zumindest einen Teil der paulinischen Briefe und damit in jedem Fall Grundzüge der paulinischen Theologie kennt, und daß die Differenz Paulus gegenüber eine bewußt getroffene Entscheidung darstellt, die allerdings gerade für Paulus Stellung bezieht." (I, XLVIII) Wie kann aber die bewusste Differenz zu Paulus Ausdruck jener gegenwärtig bleibenden Verkündigung des Apostels sein, zumal wenn die Aussagen an den bekannten Paulusbriefen geprüft werden können und die Theologie des Apostels dort ohnehin viel besser zur Geltung kommt? Unter traditionsgeschichtlichen Aspekten überzeugt das nicht.

Obwohl der 2Tim mit seiner Bestimmung als "testamentarische Mahnrede" (II, 2)15 als Ausnahme benannt worden ist, muss er als Teil der Komposition interpretiert werden. Bei der in der Forschung nicht einheitlich beantworteten Frage nach der intendierten Anordnung der Past geht Oberlinner in Band II davon aus, dass 2Tim wegen seines Testamentscharakters sowohl auf 1Tim wie auf Tit bezogen und daher die kanonische Reihenfolge mit dem 2Tim in der Mitte vom Verfasser intendiert sei (II, 5). Demgegenüber konnte es in I, XLII heißen: "Da die Abfassung als zusammengehöriges Briefcorpus anzunehmen ist, ist die Frage nach der Reihenfolge der Entstehung der einzelnen Briefe kaum mehr zu klären und letztlich für die Interpretation belanglos." Als vom Verfasser intendierte Lesereihenfolge vermutete Oberlinner hier dennoch Tit - 1Tim - 2Tim.16 Für das Verständnis als pseudepigraphische Briefe sei es unumgänglich, "daß die drei Briefe je ihre Eigenart haben und sich so [!] insgesamt zu einem wohl konzipierten Ganzen zusammenfügen" (II, 4).17 Welcher Konzeption allerdings der Autor der Past folgt, bleibt angesichts der Unsicherheit hinsichtlich der intendierten Reihenfolge unklar. Eine intendierte Lesereihenfolge kann für die Interpretation nicht "belanglos" sein. Daraus ergeben sich rezeptionstheoretische Fragen, die methodisch aufzuarbeiten sind.

Der Kommentar zum Tit bietet keine einleitenden Bemerkungen. Hier finden sich jedoch Exkurse zu den übergreifenden Themen der Irrlehrer ("Frühform christlicher Gnosis", III, 84), der Ekklesiologie (ideale, episkopale Haus-Ekklesiologie) und der Christologie (als hellenistisch geprägte und durch die Begriffe des soter und der epiphaneia bestimmte Soteriologie), die unter der Voraussetzung der einheitlichen Komposition notwendig sind und zusammen geradezu monographische Länge aufweisen.

Unter den gegebenen Voraussetzungen bietet die fortlaufende Auslegung Oberlinners eine Interpretation der Past, die die Probleme des Textes ausführlich erörtert und ein in sich geschlossenes Bild zeichnet. Oberlinner vermittelt somit einen repräsentativen Eindruck des Konsenses der gegenwärtigen Forschung. Ein bestimmter Fokus für die Auslegung wird - im Unterschied zu den anderen Kommentaren - nicht formuliert.

II.

Quinn geht ebenfalls von den beschriebenen Voraussetzungen hinsichtlich der Abfassungsverhältnisse der Past aus. Daher kann auf eine Darstellung dessen im Einzelnen verzichtet werden. In der Einleitung zu den Past, die von Wacker aus dem ca. 380 S. starken Titus-Kommentar dem postum bearbeiteten und nochmals 945 S. umfassenden Kommentar zu den Timotheusbriefen erneut vorangestellt wurde, geht Quinn jedoch konzeptionell anders vor als Oberlinner, indem er zunächst eine Bestandsaufnahme der gegebenen Daten versucht, um daraus Hypothesen zur Erklärung der Past plausibel zu machen. Das Interessante an dieser Vorgehensweise ist, dass sich bestimmte Inkonsistenzen zwischen den erhobenen Daten und den erklärenden Hypothesen ergeben, sieht man einmal davon ab, dass bereits das Erheben der Daten von bestimmten Voraussetzungen her geschieht. Wie Oberlinner weist Quinn zu Recht darauf hin, dass der individuelle Charakter der einzelnen Briefe nicht übersehen werden darf (118), wodurch sich die einheitliche Komposition in der Folge Tit - 1Tim - 2Tim ergibt. Quinn betont dabei die primäre Ausrichtung auf die christliche Praxis (2), was freilich so gerade nicht auf alle Briefe gleichermaßen zutrifft, nimmt man ihren individuellen Charakter ernst.

Einen hohen Stellenwert hat bei Quinn die Bestandsaufnahme von Sprache und Stil, die strukturell und terminologisch zwar hellenistisch und weniger semitisch geprägt seien als bei Paulus (4-6), inhaltlich aber Verwandtschaft mit der paulinischen Tradition im Kontext hellenistisch-jüdischer Traditionen aufweisen. In diesem Zusammenhang ist Quinns These der Past als "the last volume of Luke" zu erwähnen.19 Auf Grund der oft beobachteten sprachlichen Nähe zur Apostelgeschichte des Lukas hatte er in den Past jene Ergänzung des lukanischen Werkes vermutet, die den offenen und unbefriedigenden Schluss der Apg erkläre. Allerdings wird die These im Kommentar nicht erneuert, sondern nur als eine Möglichkeit unter anderen genannt (20). Auch in der Einzelauslegung ist die lukanische Perspektive nicht bestimmend.

Gewisse Spannungen ergeben sich ferner in der typologischen Charakterisierung der Gegner, des Absenders, der beiden Adressaten sowie bestimmten konkreten Angaben, wie z. B. den Orten Kreta und Ephesus. "Behind the figures of Paul, Titus and Timothy in the PE stand the unnamed leaders of the churches, leaders whose prerequisite qualities, particularly in verifiable good conduct, are spelled out in lists of vices and virtues." (16) Die am Anfang benannte Notwendigkeit der Beachtung der Spezifik der Briefe verflüchtigt sich in der Typologie. Selbst Kreta und Ephesus "may be understood typologically: but it is any large, Greek-speaking metropolis of the latter first century in which more or less established congregations of Jewish and Gentile Christians live close to one another" (17). Diese Typologie erlaubt - im Gegensatz zu Oberlinner - eine Lokalisierung der Entstehung in Rom, da von dort aus die Perspektive auf die gesamte zentrale Mittelmeerwelt plausibel sei, die durch die Ortsangaben in den Past repräsentiert werde (21).20

Der zweifellos Maßstäbe setzende Kommentar21 von Quinn/ Wacker zu den Past bietet abgesehen von den einleitungswissenschaftlichen Problemen eine profunde lexikalische und quellenkritische Analyse, die trotz der grundlegenden Übereinstimmung mit den klassischen Voraussetzungen einer pseudepigra- phischen Beurteilung eigene Akzente setzt. In weit stärkerem Maße als üblich wird der Einfluss hellenistisch-jüdischer Tradition, Qumran, sowie die antike Moralphilosophie herangezogen, Letztere allerdings nur insofern, als daraus eine bestimmte "pagane" Begrifflichkeit eingebracht wird, die aber - das ist bemerkenswert - nach Einschätzung Quinns die paulinische und damit hellenistisch-jüdische Prägung inhaltlich nicht beeinflusst.

III.

An dritter Stelle soll die neueste, 345 S. umfassende Auslegung des 2Tim von Weiser besprochen werden, die zwar erst zwei Jahre nach Johnsons Kommentar erschienen ist, aber dessen Herausforderung nicht annimmt und seinen Ansatz nicht diskutiert. Weisers Kommentar repräsentiert daher nicht umfassend die aktuelle Forschungslage.22 Auch Weiser geht grundlegend davon aus, dass die Past als pseudepigraphisches "Corpus Pastorale aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit eine geschlossene und einander sinnvoll ergänzende Einheit bilden" (29).

Im Zentrum der Einleitung steht bei Weiser die Erörterung der Gattungsfrage des 2Tim. Weiser versucht eine Synthese zwischen der Topik des Freundschaftsbriefes23 und jüdisch-hellenistischer Testamentenliteratur plausibel zu machen.24



Der Hinweis auf die Topik des Freundschaftsbriefes im Handbuch des (Pseudo-!)Demetrios, Typoi Epistolikoi 1 (31), taugt freilich nur bedingt, denn außer dem Aspekt des intensiven Gedenkens werden die von Weiser benannten Charakteristika dort nicht aufgeführt. Die weiteren Beispiele werden daher aus anderen Briefgattungen zusammengetragen und es wird deutlich, dass Elemente des Freundschaftsbriefes auch in anderen Gattungen enthalten sein können (31 ff.). Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, dass es in der (freilich noch später anzusetzenden) differenzierteren Brieftheorie des Pseudo-Libanius das paränetische Genre ist, das dem Anliegen des 2Tim nahe kommt.25 Dem entspricht, was bei Julius Victor im Rückgriff auf Cato über den persönlichen Brief zu lesen ist (Ars Rhetorica 27): "In familiaribus litteris primo brevitas observanda: ipsarum quoque sententiarum ne diu circumferatur, quod Cato ait ...".26 Die genretypisch gebotene Kürze von Freundschaftsbriefen dokumentieren die Briefe des Cicero Ad Familiares oder an seinen Freund Atticus; in dieses Muster passt der 2Tim nur bedingt.

Weiser kann zeigen, dass 2Tim keiner bestimmten Gattung zugeordnet werden kann und allenfalls Elemente des Testaments enthält, was der vorausgesetzten Situation entspricht. "So führt die Untersuchung der Form- und Gattungsmerkmale zu dem Ergebnis, dass 2Tim ein testamentarisches Mahnschreiben in Form eines Freundschaftsbriefes ist, dessen hauptsächlich symbuleutischen Ausdrucksformen auch epideiktische zugeordnet sind." (44)27 Was eine solche breite Charakterisierung für die Beurteilung und Auslegung des 2Tim austrägt, wird nicht deutlich.

Entscheidend für die Interpretation der Past ist nach Weiser der für die paulinische Überlieferung charakteristische "Parusietopos" (41 ff.). Mit G. Lohfink versteht er unter diesem Aspekt Timotheus und Titus als "die das apostolische Urbild abbildenden Verkörperungen der nachapostolischen Amtsträger, in denen allen Kirchen die Wege des Apostels aufleuchten, nachdem Paulus selbst nicht mehr kommen kann. Er kommt nun endgültig im Brief und in seinen getreuen Mitarbeitern" (43).28 Zwischen Timotheus und Titus bestehe nur ein fiktiver Unterschied; beide sind Typoi der Amtsträger (47). Das Fehlen von Amtsbezeichnungen begründet Weiser in Anlehnung an Brox damit, dass "sie als Apostelschüler nicht einen bestimmten Amtstyp verkörpern, sondern eine Überlieferung garantieren und das Ideal des Amtsträgers allgemein, nicht eine spezielle Funktion repräsentieren, oder aber weil sie Paulus selbst vertreten. Sie beziehen ihre Funktion einzig aus ihrer Existenz als fiktive Adressaten, denen als historischen Mitarbeitern des Paulus nun zeitgenössische Aufgaben zugeschrieben werden, weil sie selbst als Angeredete eben zur Situation der Briefe gehören, in denen sie dadurch Chiffren der apostolischen Überlieferung, aber nicht Beschreibungen eines tatsächlichen Amtstyps sind." (50 f.) Ob und inwiefern dies den Lesern deutlich werden konnte, bleibt fraglich. Weiser zufolge sind die realen Adressaten des Corpus Pastorale "Träger derartiger Dienstämter, die uns namentlich nicht bekannt sind ... Dabei ist aber zu beachten, dass auch die Brief-Form aller drei Schreiben fingiert ist, und dass ein Großteil der Paraklesen auch den Gemeindegliedern vermittelt werden sollte, so dass teils auch die Gesamtgemeinde als die reale Adressatin angesehen werden muss. Dass es sich dabei um eine konkrete Ortsgemeinde, möglicherweise in Ephesus, handelt, ist wahrscheinlich. Trifft dies zu, dann ist der Ortsname Ephesus die einzige real zutreffende Angabe der ansonsten fingierten Briefrahmen aller drei Past." (54)29 Dementsprechend unpräzise fällt die Beschreibung des Entstehungsmilieus "um 100"30 aus: "Der Verfasser der Past und die Christen, denen seine Texte gelten, repräsentieren ein heidenchristliches Milieu mit judenchristlich grundierter Theologie, in der gleichwohl auch Paulus eine hohe Wertschätzung zuteil wird. Zugleich ist es ein Milieu, in dem schon früh gnostisierende Irrlehrer auftraten." (62 f.)31 Die Unklarheit ergibt sich zu einem großen Teil daraus, dass sowohl das Milieu als auch die Kennzeichnung der Gegner auf alle drei Briefe passen muss. Methodisch wie inhaltlich wird man hier einiges neu bedenken müssen.

Weisers Kommentar repräsentiert in eindrucksvoller Weise die "vorherrschende Sicht" (65) über die Past. Die differenzierten Ergebnisse der Pseudepigraphiedebatte hinsichtlich der verschiedenen Arten von Briefliteratur, deren Höhepunkt das bisher unerreichte Werk von W. Speyer32 darstellt und die bis heute für die Forschung an den Past nicht hinreichend aufgearbeitet sind,33 werden wie bei Oberlinner und Quinn nicht herangezogen. Die Bemerkungen Weisers dazu sind so gewählt, dass sie das zuvor aus dem Forschungskonsens Erhobene bestätigen. Dass im Lichte der Pseudepigraphiedebatte die Past als Fälschung mit Täuschungsabsicht interpretiert werden müssen34, wird - im Unterschied zu Oberlinner - nicht thematisiert und gilt nicht mehr als Problem. Unter den gegebenen Voraussetzungen ist jedoch die Kommentierung Weisers konsistent und befindet sich auf hohem philologischen und interpretatorischen Niveau. Für die Erklärung des 2Tim im Einzelnen ist sie mit großem Gewinn zu konsultieren, auch wenn man im Blick auf die Einleitungsfragen anderer Meinung sein kann und sich daraus eine andere Perspektive ergibt, etwa für die Interpretation der persönlichen Notizen, die für den 2Tim in besonderer Weise charakteristisch sind.

IV.

In ungewöhnlicher Deutlichkeit hat Johnson die gegenwärtige Forschung hinsichtlich der grundlegenden Voraussetzungen der Interpretation der Past herausgefordert. Wer dies tut, mutet sich einiges zu. Die Einleitung zum 494 S. umfassenden Band der Anchor Bible ist entsprechend angelegt und stellt eine erweiterte Fassung der Einleitung des Kommentars von 1996 dar, ergänzt durch eine ausführliche Forschungsgeschichte. Während in der früheren Darstellung die Frage nach der Authentizität nur insofern eine Rolle spielt, als die Briefe nach ihrem eigenen Anspruch "as real rather than fictional letters" behandelt werden (1996, 32 f.), was nicht notwendig impliziert, die Briefe seien tatsächlich auch von Paulus geschrieben,35 ist im Kommentar von 2001 die Abfassung durch Paulus ausdrücklich vorausgesetzt (2001, 98). Auf Grund dieser Herausforderung ist es gerechtfertigt, Johnsons Ansatz ausführlicher vorzustellen, auch wenn einer solchen Position oft apologetische Motive unterstellt werden und sie daher nicht mehr der Rede wert zu sein scheint.36 Gerade in Johnsons Darstellung treten Stärken und Schwächen dieses Ansatzes zu Tage, weil er zwar um eine stärkere Differenzierung bemüht ist, diesem Anspruch aber im Ergebnis nicht hinreichend gerecht wird.

Johnson führt den Konsens über die Past auf einen sozial-ideologischen Prozess zurück, der zu einer Konstruktion von Wirklichkeit ("construal") geführt habe, die nicht mehr hinterfragt wird (55). "The more one construal is handed on to generations that have not examined its premises and arguments as a settled fact, the more natural and self-evident it becomes. The textual evidence itself becomes less relevant. The social fact of consensus is the primary and convincing argument in favor of one position or another." (56) Dabei ist Johnson mit großem Recht kritisch gegenüber einer fundamentalistischen Vereinnahmung der Past als authentische Briefe zu ideologischen Zwecken (56 f.).

In der methodologischen Diskussion der Frage der Authentizität werden fünf Aspekte näher betrachtet:

1. Autorschaft und paulinische Mission (58-62.65-68): Das Verhältnis von Paulus und den Mitarbeitern bei der Abfassung von Briefen muss präziser bestimmt werden. Nicht nur die bekannten Briefschlüsse, sondern auch die Nennung von Mitabsendern sowie der für hellenistischen bzw. jüdischen Schulbetrieb charakteristische diatribische und midraschische Stil des Paulus lassen auf einen komplexen Entstehungsvorgang schließen. Johnson rechnet mit der Präsenz einer paulinischen "Schule" bereits zu Lebzeiten des Apostels. "The social context of the Pauline correspondence, in a word, is as complex as the social context of his entire ministry." (60) Allerdings sei weder aus Apg noch aus den anerkannten Paulusbriefen die Mission des Paulus hinreichend präzise zu rekonstruieren, als dass alle Briefe unzweifelhaft eingeordnet werden könnten. Auch wenn gegenwärtig der Apg wieder ein größerer historischer Wert beigemessen wird, könne nicht behauptet werden, sie sei eine hinreichend zuverlässige Quelle für die Details der paulinischen Mission.37 Da weder Apg noch Paulus selbst einen konsistenten und adäquaten Bericht seines Wirkens geben (67 f.), können die Past Informationen bieten, welche die der Apg korrigieren oder ergänzen.38

2. Stil (60.68-72): Die Stilunterschiede zwischen den Past und den unbestrittenen Paulusbriefen wären nur dann relativ aussagefähig, wenn Paulus für den Stil seiner Briefe allein verantwortlich wäre und dieser darüber hinaus konsistent wäre. "In fact, however, neither is true ... Failure to acknowledge the significant stylistic differences among 1 Thessalonians, 1 and 2 Corinthians, Galatians, Romans, Philippians, and Philemon is serious enough to call into question any conclusions drawn from such comparisons. More serious still, the romantic notion that the style is the person is thoroughly anachronistic." (60) Das ist ein Aspekt, der nicht übersehen werden darf und nicht nur eine Frage des Stilgefühls oder gar der Bereitschaft ist, etwas anzuerkennen oder nicht. Hellenistischer Briefstil ist wesentlich geprägt von der Variation im Stil, entsprechend der jeweiligen Situation oder Redeform. Der dafür klassische Begriff der "Prosopopoiïa" meint nicht, jeder Verfasser müsse immer denselben Stil aufweisen, um identifizierbar zu sein, sondern vielmehr, dass jeder Verfasser seinen Stil der Situation anpasst, in der er sich mündlich oder schriftlich äußert. Wer brieftheoretisch gebotene Stilunterschiede nicht beachtet, gilt als schlechter Rhetor oder Briefschreiber.39 Als größtes Problem der Stilanalysen benennt Johnson daher zu Recht nicht nur die methodische Durchführung, die auch bei einer gleichwertigen und isolierten Untersuchung einzelner Paulusbriefe im Vergleich zum Gesamtkorpus zu unterschiedlichen Urteilen führen würde und in der Vergangenheit ja auch geführt hat, sondern vor allem die daraus abgeleiteten Konsequenzen, die oft stark von subjektiven Urteilen geprägt seien (72).40

3. Identifizierung der Gegner (72 f.): Die Beschreibung der Gegner mit Aspekten aus allen drei Briefen ergibt keine plausible Charakteristik einer bekannten Häresie (vgl. 2Tim 2,17 f.; 1Tim 4,3.8; 1Tim 1,7; Tit 3, 9; Tit 1,10.15) (72 f.). Daher sind die Identifikationen widersprüchlich, angefangen von der marcionitischen Gnosis des 2. Jh.s über Frühformen christlicher Gnosis41 bis hin zu judenchristlichen Visionären,42 die zeitlich nicht festgelegt werden können. Aber jedes einzelne Element sei auch in den anerkannten Paulusbriefen zu finden (73: 1Kor 7,1; 8,1-3; 15,17-19; Gal 4,8-10; Kol 2,20-22) bzw. entspreche rhetorischer Praxis in der Verwendung von Stereotypen für die Argumentation gegen andere Positionen.

4. Organisation der Kirche (74 ff.): Das verbreitete Bild der Kirche, die sich vom Leib Christi hin zum Haus/Haushalt Gottes (1Tim 3,15) entwickelt habe, durch eine Hierarchie von Bischof, Diakon, Ältesten und Witwen geprägt sei und deren charismatische Struktur einer Institutionalisierung gewichen ist, "is actually one of the weakest arguments against authenticity" (75). Von einer Kirchenordnung zu sprechen sei unangemessen, da in 2Tim davon nicht die Rede sei und das in Tit Beschriebene kaum zu dem in 1Tim Gesagten passt. Alles, was gemeindeordnend gesagt sei, bleibe auf die moralische Qualifikation der Führungspersonen bezogen. Auch in anerkannten Paulusbriefen werden Funktionen wie in den Pastoralbriefen sowie andere Führungspersonen erwähnt (Phil 1,1; Röm 16,1; u. a.). Die Parallelen der Gemeindestrukturen der Pastoralbriefe liegen weit näher zu Paulus als zu den (bekannten) Strukturen des 2. Jh.s. Und selbst in Qumran gab es theologisch legitimierte Hierarchien.43

5. Thematische Konsistenz (62 f.77 f.): Die einheitliche Behandlung eines Themas durch einen Autor in allen seinen Schriften sei nicht als selbstverständlich vorauszusetzen. Das ist innerhalb der anerkannten Paulusbriefe unbestritten, im Blick auf die Beurteilung der Past untereinander sowie im Vergleich zu anderen Paulusbriefen jedoch nicht. Bei dem oft bemühten Thema der unterschiedlichen Eschatologie z. B. wäre präziser zu reflektieren, dass Paulus durchaus mit unterschiedlichen Akzentuierungen und beeinflusst von situativen Gegebenheiten ein solch zentrales Thema behandeln konnte (62 f.). Wie solche Unterschiede zu beurteilen sind, darüber besteht ohnehin kein Einvernehmen. Die umstrittene These von Wandlungen im paulinischen Denken ist ein Versuch, Differenzen plausibel zu erklären. Aber die Plausibilität ist nicht hinreichend überzeugend, wie die Debatte darum zeigt. In der älteren Forschung, angefangen bei F. C. Baur, haben gerade die Unterschiede in der Eschatologie etwa zwischen 1Thess und 1Kor dazu geführt, den 1Thess für unecht zu halten.44

"These, then, are five tendencies in the discussion about authenticity that dramatically affect the integrity of the debate on the Pastoral Letters. They are of such fundamental importance that it is surprising, perhaps even shocking, that they have not been thematized and more frequently been made the subject of direct discussion. At the very least, readers of this commentary should be aware of the great and puzzling gap between the massive social fact of the present scholarly consensus and the quality of the methods and arguments purportedly used to support it. The cumulative effect of critical scholarship on every other aspect of Pauline studies over the past thirty years ought, at the very least, allow for a different way of approaching the entire question of the authenticity of the Pastorals." (64)

Insbesondere auf die Konsequenzen der mangelnden Differenzierung zwischen den einzelnen Past und ihrer Gruppierung zu einem einheitlichen, geschlossenen Korpus weist Johnson zu Recht hin. "The first consequence is that characterizations are drawn from the evidence provided by all three letters as a whole and then (inappropriately) applied to each of them individually, even though a particular letter may lack a trait entirely." (63) Im Blick auf die in neuerer Zeit zahlreichen Bemühungen um die Darstellung einer Christologie, Theologie oder Ekklesiologie der Past45 hätte eine solche Differenzierung weitreichende Auswirkungen, besonders auf die Behauptung einer im Vergleich zu Paulus differenzierteren Kirchenordnung, die im 2Tim nicht, im Tit höchstens in ein paar undeutlichen Notizen zu finden ist46 und sich also im Wesentlichen auf Angaben im 1Tim stützen muss. Auch die Gegner werden stets mit Notizen aus allen drei Briefen charakterisiert, obwohl jeder Brief für sich genommen ein eigenes Profil zeichnet. Ebenso wird das abstrakte Paulusbild in einer Kombination verstreuter Notizen (mit stets unterschiedlichen Ergebnissen) herausgearbeitet. "Contrary to the dictum first enunciated by Eichhorn and repeated endlessly since, it simply is not necessary to decide for the authenticity or inauthenticity of all three Pastorals together. It is possible to consider the letters separately as distinct literary productions." (64)

Hinter dieser berechtigten Feststellung bleibt Johnson jedoch selbst zurück, wenn er letztlich von der Authentizität aller drei Briefe ausgeht. Angesichts der zu Recht angemahnten differenzierten Verhältnisbestimmung der Past ist dies inkonsequent und der vorhandenen Sachlage nicht angemessen, weil dabei deren unterschiedliches Profil nicht hinreichend zur Geltung kommt. W. A. Richards hat unter anderen Voraussetzungen und Schlussfolgerungen erneut auf den relativ großen Abstand des 1Tim und seine Abhängigkeit sowohl von Tit als auch von 2Tim hingewiesen.47 Angesichts der berechtigten Differenzierung und unter zusätzlicher Berücksichtigung pseudepigraphischer Briefpraxis wird man überlegen müssen, ob die drei Briefe nicht auch hinsichtlich ihrer Authentizität unterschiedlich zu beurteilen sind, ohne mit komplizierten Fragmentenhypothesen rechnen zu müssen. Im Unterschied zu Tit und 2Tim gibt es jedenfalls plausible Gründe, 1Tim als Schulschreiben zu verstehen, das an vorhandene Mitarbeiterbriefe anknüpft, Timotheus als Adressaten wählt, um die Parallelität zu Tit aufzunehmen, dessen Themen verschärft, Gemeindestrukturen deutlicher differenziert und zugleich ethische "Schulübungen"48 als Interpretation und Applikation paulinischer Ethik bietet. Ob man im Ergebnis Richards folgt, ist eher unwahrscheinlich, denn all das kann von 2Tim und Tit nicht gesagt werden. Die Verhältnisbestimmung der Briefe bleibt ein offenes Problem.

Dem Ansatz entsprechend versieht Johnson jeden Brief mit einer eigenen Einleitung, in der die Umstände der Abfassung konkret beschrieben werden. Kritisch hingewiesen sei nur auf die Argumentation zur historischen Verortung des 1Tim in der paulinischen Mission, die weit mehr als der Tit und der 2Tim Probleme bereitet. Im Blick auf den 1Tim ist Johnson gewillt und genötigt, mit vielen Variablen und Annahmen zu rechnen, was insgesamt nicht überzeugt. Die Problematik seiner Rekonstruktion zum 1Tim gesteht Johnson selbst zu, wenn er schreibt: "In any case, the mis-en-scène for 1 Timothy is plausible, if not probative. It matches perfectly the assignments given to delegates, and it reflects as well the busy traffic among Macedonia, Corinth, and Ephesus that is revealed in our other sources. There is nothing historically disqualifying or anachronistic in its self-presentation." (137) Genau diese Passgenauigkeit ist aber ein wesentlicher Unterschied zwischen 1Tim sowie 2Tim und Tit, denn für diese gibt es keine so passende Situation in der bekannten Missionsgeschichte des Paulus. Das aber wäre für einen pseudepigraphischen Autor wenig verständlich, da er - wie im Falle des 1Tim - eine Situation hätte konstruieren können, in die hinein der fingierte Brief "passt". Im Gegenteil gilt, dass angesichts der Unsicherheiten in der Rekonstruktion der paulinischen Missionsgeschichte nicht notwendig zu erwarten ist, dass für jeden authentischen Brief eine passende Situation gefunden werden kann.

Ein wichtiger Anhaltspunkt für die Plausibilität der Authentizität des 1Tim ist für Johnson das literarische Genre, das er mit den so genannten "Königsbriefen" (mandata principis) vergleicht, die durch Inschriften und Papyri bekannt sind und als individuelle Briefe öffentlichen Charakter tragen (139 f.).49 Die Frage nach der Authentizität kann damit freilich nicht begründet werden, da auch ein pseudepigraphischer Autor dieses Genre hätte verwenden können.

Nicht überzeugend sind auch die Ausführungen zu der in 1Tim vorausgesetzten Situation der ephesinischen Kirche, die Johnson vor allem mit dem Rekurs auf die oikodome-Passagen im 1Kor beschreibt (144 f.). Aber die paulinische Vorstellung von der oikodome ist (noch) nicht die des oikos theu. Darüber hinaus müsste für Ephesus gelten, was an Korinth gerichtet ist. Warum sollte Paulus den für ihn so charakteristischen Begriff der oikodome mit dem des oikos austauschen? In 2Tim und Tit begegnet dieses Konzept noch nicht, vielmehr werden - vor allem durch das Bild in 2Tim 2,20 - Spuren gelegt, an die 1Tim wie an andere Paulusbriefe anknüpfen konnte.

Ähnliches gilt von der Identifizierung der falschen Lehre. Mit guten Belegen bemerkt Johnson, dass die Anklage mit verbreiteten Stereotypen formuliert ist. Entscheidend ist jedoch der Hinweis, dass sich dieses Profil der Gegner deutlich von dem in 2Tim oder Tit unterscheidet. Johnson vermutet "an opposition that represents an intellectual elite that demands performance measured by law and asceticism rather than by grace and conscience." (146) Das gilt aber umso mehr unter pseudepigraphischer Perspektive, wobei hier freilich gefragt werden könnte, ob der pseudepigraphische Autor eine konkrete Gemeindesituation und ihre Gefährdung vor Augen hat oder ob sein Interesse an bestimmten inhaltlichen Problemen nur flankiert wird durch allgemeine Stereotypen von Gegnern, die nicht spezifisch identifiziert werden sollen, sondern auf eine latente Gefahr innerhalb der paulinischen Tradition anspielen, die - wie schon bei Paulus selbst - mit dem Gesetz zusammenhängt.



Unter Berücksichtigung der benannten Probleme, die auch Johnsons Ansatz aufwirft, gilt freilich in der Tat: "The real demonstration is in the details." (Ebd.) In der Einzelauslegung ist Johnsons Kommentar stärker als die anderen auf die Berücksichtigung der antiken Moralphilosophie ausgerichtet und hat darin seinen besonderen Wert. Die Interpretation des 1Tim ist im Unterschied zu der von 2Tim und Tit unter authentischer Perspektive problematisch und im Blick auf die gegebenen Voraussetzungen nicht überzeugend.

V.

Als Konsequenzen der Bestandsaufnahme ergeben sich folgende Aspekte:

1. Abgesehen von Johnsons kritischem Ansatz vermittelt jeder Kommentar für sich genommen den Eindruck, die entscheidenden Probleme der Past seien gelöst und es bestehe ein zuverlässig begründeter Konsens. Doch abgesehen von den Grundannahmen der Pseudepigraphie, des konzipierten und einheitlichen Korpus sowie der doppelten Fiktionalität kann von einem Konsens nicht die Rede sein. In den Konkretionen gehen die Auffassungen so weit auseinander, dass dadurch die Grundannahmen selbst zweifelhaft werden. Johnson hat daher zu Recht den scheinbaren Konsens herausgefordert. Es wird sich zeigen, ob die Forschung in der Lage ist, diese Herausforderung anzunehmen. Unter der Voraussetzung der Pseudepigraphie wäre vor allem die rezeptionstheoretische Fragestellung nach der Verstehbarkeit der Fiktion und deren Auswirkungen auf die Interpretation aufzunehmen. Es konnte bisher nicht plausibel gemacht werden, dass das fiktionale Konzept des Autors von den Lesern verstanden werden konnte, noch dazu unter der zumeist zugestandenen Täuschungsabsicht, die ein Entdecken der Pseudepigraphie vermeiden sollte. Dabei sind die Ergebnisse der Pseudepigraphieforschung präziser und differenzierter zu berücksichtigen, vor allem hinsichtlich antiker Brief- und Schulpseudepigraphie, literarischer und nichtliterarischer Briefe sowie Briefsammlungen. Insbesondere an diesem Punkt besteht die Möglichkeit, über die seit dem 19. Jh. sich kaum verändernden Argumente, die auch die vorgestellten Werke prägen, hinauszukommen, während die oft zu findenden Pauschalurteile nicht weiterhelfen. Dabei wäre auch die Frage nach der Durchschaubarkeit von Schulpseudepigraphie einerseits und der Täuschung mit Fälschungsabsicht andererseits mit dem je eigenen Profil der einzelnen Briefe ins Verhältnis zu setzen. Quinn/ Wacker nehmen das Erstere immerhin als notwendige Voraussetzung für eine positive Aufnahme der Past an. Auch hier fehlt aber bislang die rezeptionstheoretische Plausibilität.

2. Die drei Pastoralbriefe müssen stärker von ihrem eigenen Profil und Anspruch her interpretiert werden. Der Grundsatz einer einheitlichen Beurteilung bzw. einer einheitlichen Komposition hat sich als nicht fruchtbar erwiesen und das Verständnis nicht - wie immer wieder behauptet - erleichtert. Bereits die Exegese der anerkannten Paulusbriefe zeigt, wie unterschiedlich die Ergebnisse selbst bei allgemein geteilten Voraussetzungen sein können. Insbesondere die inhaltlichen und stilistischen Differenzen der anerkannten Paulusbriefe untereinander führen heute nicht mehr, wie noch konsequent bei F. C. Baur und seinen Nachfolgern, zur Infragestellung der meisten dieser Briefe. Woher dafür positive Kriterien gewonnen werden sollten, die unzweifelhaft sind, bleibt ohnehin unklar. Mit dem gleichen Maß müssten die Past gemessen und die Umstände antiken Briefeschreibens umfassender und differenzierter berücksichtigt werden. Dies gilt freilich ebenso für die Voraussetzung der Authentizität, die umgekehrt nicht von vornherein für alle drei Briefe gelten kann. In dieser Hinsicht bleibt auch Johnson hinter seinen Vorgaben zurück.

3. Wie Weiser, Johnson und in gewissem Maße auch Quinn/ Wacker gezeigt haben, ist insbesondere bei der Interpretation der Tugend- und Lasterlisten in stärkerem Maße die antike Moralphilosophie zu konsultieren, die das ethische Bewusstsein in der griechisch-römischen Welt maßgeblich geprägt hat.50

4. Die besprochenen Werke sind - bis auf eine Ausnahme51 - Kommentare für die Wissenschaft und nicht für einen breiteren Leserkreis geschrieben, der ohnehin nur im Editorial des ECC überhaupt benannt ist. Da die Gattung Kommentar mehr und mehr zum Kompendium von Wissenschaft und Forschung wird, ist die damit verfolgte Absicht jenseits verlegerischer Interessen neu zu überdenken.

Summary

The scholarly opinion about the pseudepigraphal character of the Pastoral Epistles seems well established. Yet, despite the widespread agreement about the basic features of their pseudonymity, the interpretation of the letters in detail is far from being homogeneous. Whereas the commentaries of J. D. Quinn/ W. C. Wacker, L. Oberlinner, and A. Weiser provide different perspectives based on the common presuppositions, L. T. Johnson has boldly challenged the scholarly consensus. He does not simply repeat the well-known arguments for the authenticity of the Pastorals, but clearly shows the wrong tracks of the research over the last 200 years. Although Johnson's challenge has to be taken seriously, he himself is not convincing in arguing for the authenticity of all three letters. Taking into account the data of the recent research on pseudonymity in antiquity, the treatment of the Pastorals as a unit - either authentic or pseudonym - is not compelling at all and causes serious problems for an appropriate understanding of the letters.

Fussnoten:

1) Oberlinner, Lorenz: Die Pastoralbriefe. 1. Folge: Kommentar zum Ersten Timotheusbrief. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1994. L, 312 S. gr.8 = Herders Theologischer Kommentar zum Neuen Testament, XI/2. Lw. Euro 55,00. ISBN 3-451-23224-3; ders.: Die Pastoralbriefe. 2. Folge: Kommentar zum Zweiten Timotheusbrief. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1995. XIII, 187 S. gr.8 = Herders Theologischer Kommentar zum Neuen Testament, XI/2. Lw. Euro 35,00. ISBN 3-451-23768-7; ders.: Die Pastoralbriefe. 3. Folge: Kommentar zum Titusbrief. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1996. X, 209 S. gr.8 = Herders Theologischer Kommentar zum Neuen Testament, XI/2. Lw. Euro 35,00. ISBN 3-451-261146 (zitiert als Past I/II/III).

2) Quinn, Jerome D.: The Letter to Titus. A New Translation with Notes and Commentary and an Introduction to Titus, I and II Timothy - The Pastoral Epistles. New York-London-Toronto-Sydney-Auckland: Doubleday 1990. XLVIII, 334 S. gr.8 = The Anchor Bible, 35. Lw. US$ 28,00. ISBN 0-385-05900-0.

3) Quinn, Jerome D., and William C. Wacker: The First and Second Letters to Timothy. A New Translation with Notes and Commentary. Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2000. LXXVIII, 918 S. gr.8 = The Eerdmans Critical Commentary. Lw. US$ 65,00. ISBN 0-8028-2443-9 (nihil obstat/imprimatur von 1995).

4) Johnson, Luke Timothy: The First and Second Letters to Timothy. A New Translation with Introduction and Commentary. New York-London-Toronto-Sydney-Auckland: Doubleday 2001. XIV, 494 S. gr.8 = The Anchor Bible 35A. Lw. US$ 40,00. ISBN 0-385-48422-4; ders.: Letters to Paul's Delegates. 1 Timothy, 2 Timothy, Titus. Valley Forge: Trinity International Press 1996. VIII, 263 S. gr.8 = The New Testament in Context. Lw. ISBN 1-563-38144-3. Vgl. ferner ders.: 1 Timothy, 2 Timothy, Titus, Atlanta 1987.

5) Weiser, Alfons: Der zweite Brief an Timotheus. Düsseldorf: Benzinger Verlag; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2003. XII, 347 S. m. 1 Abb. gr.8 = Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament, XVI/1. Kart. Euro 64,00. ISBN 3-545-23118-6 (Benziger); 3-7887-1886-2 (Neukirchener).

6) Oberlinner, Past I (s. Anm. 1), VII.

7) Vgl. N. Brox, Zum Problemstand in der Erforschung der altchristlichen Pseudepigraphie (1973), in: ders. (Hrsg.): Pseudepigraphie in der heidnischen und jüdisch-christlichen Antike, WdF 484, Darmstadt 1977, 310-334, 324: "Man kann nicht mit theologischen Motivationen darüber hinwegeilen, dass die sog. Past des Neuen Testaments ... vom literarischen Unternehmen her eine methodisch angelegte Täuschung, eine bewusste und künstlerisch raffiniert durchgeführte Autoritätsanmaßung darstellen." Ferner M. Frenschkowski, Pseudepigraphie und Paulusschule. Gedanken zur Verfasserschaft der Deuteropaulinen, insbesondere der Past, in: F. W. Horn (Hrsg.): Das Ende des Paulus: historische, theologische und literaturgeschichtliche Aspekte, BZNW 106, Berlin-New York 2001, 239-272; A. D. Baum: Pseudepigraphie und literarische Fälschung im frühen Christentum. Mit ausgewählten Quellentexten samt deutscher Übersetzung, WUNT II/138, Tübingen 2001 (vgl. ThLZ 128 [2003], 754 ff.), bes. 31-93.

8) Angefangen von 1990 vgl. z. B. R. M. Kidd: Wealth and Beneficence in the Pastoral Epistles, SBL.DS 122, Atlanta 1990; E. Schlarb: Die gesunde Lehre. Häresie und Wahrheit im Spiegel der Pastoralbriefe, MThSt 28, Marburg 1990; F. Young: The Theology of the Pastoral Epistles, Cambridge 1994; Y. Redalié: Paul après Paul. Le temps, le salut, la morale selon les épîtres à Timothée et à Tite, Monde de la Bible 31, Genf 1994; U. Wagener: Die Ordnungen des "Hauses Gottes". Der Ort von Frauen in der Ekklesiologie und Ethik der Pastoralbriefe, WUNT II/65, Tübingen 1994 (vgl. ThLZ 121 [1996], 457-461); A. Y. Lau: Manifest in Flesh. The Epiphany Christology of the Pastoral Epistles, WUNT II/86, Tübingen 1996; K. Läger: Die Christologie der Pastoralbriefe, Hamburger Theologische Studien 12, Münster 1996 (vgl. ThLZ 122 [1997], 806 ff.); S. C. Martin: Pauli Testamentum: 2 Timothy and the Last Words of Moses, Rome 1997; H. Stettler: Die Christologie der Pastoralbriefe, WUNT II/105, Tübingen 1998 (vgl. ThLZ 126 [2001], 934 ff.); G. Häfner: Nützlich zur Belehrung (2Tim 3,16). Die Rolle der Schrift in den Pastoralbriefen im Rahmen der Paulusrezeption, HBS 25, Freiburg u. a. 2000 (vgl. ThLZ 130 [2005], [im Druck]); A. Merz: Die fiktive Selbstauslegung des Paulus. Intertextuelle Studien zur Intention und Rezeption der Pastoralbriefe, NTOA 52, Göttingen-Fribourg 2004.

9) J. Roloff: Der erste Brief an Timotheus, EKK XV, Zürich u. a. 1988.

10) Vgl. Wacker im Vorwort zu Quinn/Wacker: Letters (s. Anm. 3), XI: "Even if Fr. Quinn is not correct about the authorship of the PE, I, at any rate, understand what it means to write in another's name and have some firsthand experience with using source material!" Vgl. auch a. a. O., XIII.

11) Vgl. E. Lohse, Das apostolische Vermächtnis. Zum paulinischen Charakter der Pastoralbriefe, in: W. Schrage (Hrsg.): Studien zum Text und zur Ethik des Neuen Testaments, FS H. Greeven, BZNW 47, Berlin u. a. 1986, 266, der bereits angesichts der "erwiesene[n] Unechtheit der Pastoralbriefe" eine erneute Prüfung der Argumente für nicht mehr erforderlich hielt.

12) In Anlehnung an P. Trummer, Corpus Paulinum - Corpus Pastorale. Zur Ortung der Paulustradition in den Past, in: K. Kertelge (Hrsg.): Paulus in den neutestamentlichen Spätschriften. Zur Paulusrezeption im Neuen Testament, QD 89, Freiburg u. a. 1981, 122-145.

13) Anders z. B. Häfner, Rolle der Schrift (s. Anm. 8), 12 f.

14) Vgl. ders., Past III (s. Anm. 1), 76 f.: Sie sind "Zwischenglied zwischen dem Apostel und dem späteren Episkopos" und werden "paradigmatisch in der Funktion von Amtsträgern" vorgestellt. Darin "zeigt sich deutlich, wenn auch nicht ausdrücklich festgehalten und reflektiert, der Sukzessionsgedanke".

15) Im Anschluss an M. Wolter: Die Pastoralbriefe als Paulustradition, FRLANT 146, Göttingen 1988, 222 f.

16) Anders z. B. Roloff, Timotheus (s. Anm. 9), 45: 1Tim - Tit - 2Tim (Ende des 19. Jh.s vermutete H. J. Holtzmann noch 2Tim - Tit - 1Tim).

17) Zitat von H. von Lips, Von den Pastoralbriefen zum "Corpus Pastorale". Eine Hallische Sprachschöpfung und ihr modernes Pendant als Funktionsbestimmung dreier neutestamentlicher Briefe, in: U. Schnelle (Hrsg.): Reformation und Neuzeit. 300 Jahre Theologie in Halle, Berlin-New York 1994, 49-71, 64.

18) Die Seitenangaben beziehen sich auf die Einleitung im Kommentar zu den Timotheusbriefen.

19) Vgl. J. D. Quinn, The Last Volume of Luke: The Relation of Luke-Acts to the Pastoral Epistles, in: C. H. Talbert (Ed.): Perspectives on Luke-Acts, Danville-Edinburgh 1978, 62-75.

20) Wieder anders bei Weiser, Timotheus (s. Anm. 5), 59: Die Briefe sind auf Ephesus bezogen und wohl auch dort entstanden. Weiser kann sogar so weit gehen und vermuten: "Die Christengemeinden Kretas sind wahrscheinlich unter Mitwirken des Titus von Ephesus aus gegründet worden. Deshalb zeigt sich selbst in der Ortsangabe Kreta (Tit 1,5) eine Beziehung zu Ephesus" (a. a. O., Anm 91; vgl. Roloff, Timotheus [s. Anm. 9], 42 f.)! Von "Wahrscheinlichkeit" kann freilich nicht die Rede sein.

21) Vgl. die Rezension von P. Béchard in CBQ 63 (2001), 161-163.

22) Das Literaturverzeichnis enthält immerhin den älteren Kommentar Johnsons von 1987. In der (unvollständigen) Liste der Vertreter der Authentizität führt Weiser Johnson nicht auf (Timotheus [s. Anm. 5], 55). Auch der Kommentar von Quinn/Wacker geht auf Johnsons Ansatz nicht ein, da er zwar 2000 erschienen ist, das nihil obstat und das imprimatur aber bereits 1995 datieren.

23) Vgl. dazu Wolter, Pastoralbriefe (s. Anm. 15), 209-214.

24) Vgl. dazu Wolter, a. a. O., 222-235; Martin, Pauli Testamentum (s. Anm. 8). Vgl. demgegenüber Johnson, 2001 (s. Anm. 4), 321 f.; W. A. Richards: Difference and Distance in Post-Pauline Christianity: An Epistolary Analysis of the Pastorals, Studies in Biblical Literature 44, New York 2002, 133-136.

25) Vgl. A. Malherbe: Ancient Epistolary Theorists, SBL Sources for Biblical Studies 19, Atlanta 1988, 69.

26) Malherbe, a. a. O., 62; vgl. auch Demetrios, De Elocutione, 231.

27) Vgl. auch A. Weiser, Freundschaftsbrief und Testament. Zur literarischen Gattung des Zweiten Briefes an Timotheus, in: G. Risse (Hrsg.): Zeit-Geschichte und Begegnungen, FS B. Neumann, Paderborn 1998, 158-170.

28) Vgl. G. Lohfink, Paulinische Theologie in der Rezeption der Pastoralbriefe, in: K. Kertelge (Hrsg.): Paulus in den neutestamentlichen Spätschriften. Zur Paulusrezeption im Neuen Testament, QD 89, Freiburg u.a. 1981, 70-121, 117 (im Original kursiv).

29) S. o. Anm. 20.

30) Vgl. Roloff, Timotheus (s. Anm. 9), 46; anders in ders.: Apostolat - Verkündigung - Kirche, Gütersloh 1965, 238: "[M]an wird ... kaum über das Jahr 80 hinausgehen dürfen." Ähnlich Oberlinner, Past I (s. Anm. 1), XLVI; Quinn/Wacker, Timothy (s. Anm. 3), 19: zwischen 80-85.

31) Zitat im Zitat von H. Merkel: Die Pastoralbriefe, NTD 9/1, 1991, 13; Hervorh. J. H.

32) W. Speyer: Die literarische Fälschung im heidnischen und christlichen Altertum. Ein Versuch ihrer Deutung, HAW 1/2, München 1971.

33) Auch die verdienstvollen Arbeiten von Brox, auf die in der Regel rekurriert wird, haben dies bisher nicht in ausreichendem Maße leisten können; vgl. dazu die Problemanzeige bei Brox, Problemstand (s. Anm. 7), der - trotz der oben Anm. 7 zitierten Bemerkung - hinsichtlich der Beurteilung der Fälschung Speyers Bestandsaufnahme widersprochen hat, m. E. jedoch nicht überzeugend. Die Arbeit von Baum, Pseudepigraphie (s. Anm. 7), ist zwar um eine neue Bestandsaufnahme des Phänomens bemüht, im Blick auf die Relevanz für das Verständnis neutestamentlicher Schriften aber nicht hinreichend weiterführend.

34) Vgl. in dieser Konsequenz zu Recht auch Brox, Problemstand (s. Anm. 7); ferner Speyer, Fälschung (s. Anm. 32), 13-21.35-37; Baum, Pseudepigraphie (s. Anm. 7), 80.

35) Vgl. etwa neuere Tendenzen, die unter pseudepigraphischer Voraussetzung die Past als reale Briefe und nicht als literarische Fiktion beurteilen, so etwa Richards, Difference and Distance (s. Anm. 24), der im Ergebnis seiner epistolographischen Analyse die Past als Briefe von drei unterschiedlichen Autoren verstehen kann: Ein "Ältester" schreibt 70-80 an "Titus", ein "Pastor" 90-95 den 2Tim an "den geliebten Timotheus" und ein "Lehrer" im 2. Jh. den 1Tim an "Timotheus den Wahrhaftigen" (238 f.). 1Tim ist daher von Titus und 2Tim abhängig. Sie sind auch als pseudepigraphische Briefe "echt" zu nennen, weil sie mit realen Umständen zu tun haben (241).

36) Vgl. etwa die polemische Bemerkung Häfners, Rolle der Schrift (s. Anm. 8), 2: "Wer die Past für Paulus reklamiert, erkennt auch sonst im NT keine Pseudepigraphie."

37) Auffällig sei vor allem, dass in Apg an keiner Stelle davon die Rede ist, dass Paulus während seiner missionarischen Tätigkeit Briefe geschrieben habe, Johnson, 2001 (s. Anm. 4), 62.

38) Vgl. z. B. auch 2Kor 11,23 f., wo Paulus von mehreren Inhaftierungen spricht, die Apg nicht abdeckt. Auch die Mission in Illyrien (Röm 15,19) wird in Apg nicht erwähnt, auf die in Phrygien (Apg 16,6; 18,23) fehlt ein Hinweis bei Paulus.

39) Cicero z. B. nennt die Unterschiedlichkeit seines Stils charakteristisch (EpFam II 4,1; IV 13,1). Vgl. Malherbe, Theorists (s. Anm. 25), 7; E. R. Richards: The Secretary in the Letters of Paul, WUNT II/42, Tübingen 1991, 92-97.

40) Das wurde bereits Schleiermachers Analyse des 1Tim vorgeworfen und daran hat sich im Prinzip nicht viel verändert. Aber auch die Tatsache sei zu berücksichtigen, dass die alte Kirche die paulinische Autorschaft der Past nie auf der Grundlage von Stilurteilen - im Unterschied zum Hebräerbrief! - in Zweifel gezogen habe (Johnson, 2001 [s. Anm. 4], 72). Die Tragfähigkeit statistischer Argumente sind auch von Quinn/Wacker, Letters (s. Anm. 3), 4, zu Recht in Frage gestellt worden.

41) Vgl. Roloff, Timotheus (s. Anm. 9), 43; Oberlinner, Past III (s. Anm. 1), 84; Häfner, Rolle der Schrift (s. Anm. 8), 18-41.

42) Vgl. z. B. M. Goulder: The Pastor's Wolves: Jewish Christian Visionaries Behind the Pastoral Epistles, NT 38, (1996), 242-256.

43) Vgl. zur Bedeutung von Qumran im Vergleich zu den Pastoralbriefen auch den Ansatz von Quinn s. o.

44) Vgl. dazu A. Malherbe: The Letters to the Thessalonians. A New Translation with Introduction and Commentary, The Anchor Bible, New York u. a. 2000, 368 f., der insgesamt kumulative Beweisführungen - wie sie auch für die Arbeit an den Past charakteristisch sind - für methodisch unzureichend hält.

45) Vgl. oben Anm. 8.

46) Vgl. dazu jetzt A. Malherbe, Paraenesis in the Epistle to Titus, in: J. Starr/T. Engberg-Peterson (Eds.): Early Christian Paraenesis in Context, 297-317 (erscheint in BZNW, 2004).

47) S. o. Anm. 35. Letztlich ist die Unterscheidung zwischen Tit und 2Tim einerseits und 1Tim andererseits schon von Schmidt bzw. Schleiermacher Anfang des 19. Jh.s begründet worden. Bemerkenswerterweise gibt auch die Kanon- und Rezeptionsgeschichte Anhaltspunkte in diese Richtung, die aber bisher nicht in die Diskussion eingeflossen sind.

48) Dies ist natürlich nicht im Sinne einer "Spielerei" gemeint, sondern als Begriff aus der Charakteristik antiker Schulpseudepigraphie aufgenommen. Die Neuinterpretation paulinischer Ethik mit Fokussierungen, die oft weit über Paulus hinausgehen und einzelne, situationsbedingte Äußerungen zu allgemeinen Grundsätzen erheben, ist auch im 1Tim situationsbezogen und insofern Kennzeichen eines zwar literarischen Briefes mit pseudepigraphischer Fiktion, aber doch mit realen Bezugsgrößen!

49) Vgl. u. a. B. Fiore: The Function of Personal Example in the Socratic and Pastoral Epistles, AnBib 105, Rom 1986; Wolter, Pastoralbriefe (s. Anm. 15), 164-165. Die Inanspruchnahme des Tebtunis Papyrus Nr. 703, der Anweisungen eines ägyptischen Beamten an einen Untergebenen enthält, für die Identifizierung des Genres von 1Tim durch Johnson ist von M. Mitchell: PTEBT 703 and the Genre of 1 Timothy: The Curious Career of a Ptolemaic Papyrus in Pauline Scholarship, NT 44, (2002), 344-370, einer grundlegenden Kritik unterzogen worden. Mitchell hebt zu Recht hervor, dass PTEBT 703 kein Brief ist und daher die Bestimmung als "mandata principis letter" durch Johnson falsch und für den Vergleich mit den Past ungeeignet ist. Mit Wolter verweist Mitchell lediglich auf die "vergleichbare Kommunikationsstruktur" beider Texte (a. a. O., 362.368; vgl. Wolter, a. a. O., 163.169 f.). Eine Bestimmung des literarischen Genres des 1Tim bietet Mitchell nicht (vgl. a. a. O., 344: "... the Pastorals are an odd mix of the personal and the public, of church order and personal exhortation, of instruction and command, of the particular and the general").

50) Vgl. z. B. Wagener, Ordnungen (s. Anm. 8); M. R. D'Angelo: Eysebeia Roman Imperial Family Values and the Sexual Politics of 4 Maccabees and the Pastorals, Biblical Interpretation 11, 2003, 139-165; dies., Knowing How to Preside Over His Own Houshold: Imperial Masculinity and Christian Asceticism in the Pastorals, Hermas and Luke-Acts, in: J. Capel Anderson/S. Moore (Eds.): New Testament Masculinities, Semeia Studies, 2003, 241-271; C. Osiek: Pietas in and out of the Frying Plan, Biblical Interpretation 11, 2003, 166-172; Malherbe, Paraenesis in Titus (s. Anm. 46).

51) Johnson, 1996 (s. Anm. 4).