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Ausgabe:

Juni/2002

Spalte:

675–677

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schüßler, Werner

Titel/Untertitel:

"Was uns unbedingt angeht". Studien zur Theologie und Philosophie Paul Tillichs.

Verlag:

Münster-Hamburg-London: LIT 1999. 271 S. gr.8 = Tillich-Studien, 1. Kart. ¬ 25,90. ISBN 3-8258-4167-7.

Rezensent:

Hermann Fischer

Im Rahmen einer neuen, inzwischen bereits auf mehrere Bände angewachsenen Reihe "Tillich-Studien", die die interdisziplinär und international ausgerichtete Tillich-Forschung bündeln soll, legt W. Schüßler, durch mehrere Monographien zu Paul Tillichs Werk als Kenner der Materie ausgewiesen, als ersten Band eine Sammlung von Aufsätzen über Tillich vor. Bis auf einen sind diese Beiträge alle schon einmal erschienen. Eine mehr formal als inhaltlich angelegte Gliederung weist dem ersten Teil Abhandlungen zur Theologie, einem zweiten Teil solche zur Philosophie zu, weil Tillich trotz seiner Konzeption einer "philosophischen Theologie" doch unterschiedlich akzentuiert. Dennoch erweist sich diese Gliederung als nur begrenzt überzeugend, weil Gott bzw. das Absolute für Tillich "nicht nur ein Thema der Theologie, sondern immer auch der Philosophie" ist (7). Die Verschränkung beider Aspekte zeigt sich schon in den Titeln der einzelnen Abhandlungen. So finden sich im zweiten Teil Aufsätze, die sich mühelos dem ersten theologischen Teil zuweisen ließen wie etwa: "Gott über Gott. Ein Zentralbegriff Paul Tillichs" (133-141), "Was uns unbedingt angeht. Aspekte des religionsphilosophischen Denkens Paul Tillichs" (143- 160), "Protestantisches Prinzip versus natürliche Theologie? Zu Paul Tillichs Problemen mit einer natürlichen Theologie" (161-173), "Metaphysik und Theologie. Zu Paul Tillichs Umwendung der Metaphysik in der Dogmatik von 1925" (175- 186).

Die Beiträge dieses theologischen Teils kreisen um zentrale Begriffe der Theologie Tillichs wie etwa den Glaubensbegriff und den Religionsbegriff, erläutern das Theologieverständnis, das Verhältnis von Autorität und Offenbarung oder das "Fortwirken des christologischen Paradoxes in der Religionsphilosophie und Religionstheologie Paul Tillichs" (107-117). Abgeschlossen wird dieser erste Teil mit einer Analyse der bekannten Kontroverse über das Paradox zwischen Tillich und Barth in den 20er Jahren. Tillich entwickelt seine Theologie im Horizont der Säkularisierung, ohne allerdings zu einer förmlichen Theorie der Säkularisierung vorzustoßen (15-31). Er will die religiöse Dimension in der säkularen Welt aufdecken, will dem säkularisierten Menschen "deutlich machen, daß er in seiner eigenen Tiefe letztlich nicht atheistisch ist, sondern eine Beziehung zum Absoluten, Unbedingten hat" (26). In Übereinstimmung mit Einsichten der deutschen idealistischen Philosophie und Schleiermachers hält Tillich den Atheismus für selbstzerstörerisch und urteilt: "Atheismus kann folglich nur als Versuch verstanden werden, jedes unbedingte Anliegen zu leugnen, d. h. also Ablehnung der Frage nach dem Sinn des Lebens [ ...] Wen die Frage nach Gott gleichgültig läßt, obwohl er weiß, daß sie zugleich die Frage nach dem Sinn seines Lebens ist, der hat sich seiner eigentlichen Menschlichkeit begeben" (hier zitiert 37).

Auf weiten Strecken weiß Schüßler sich in Übereinstimmung mit Tillich. Das ist für einen katholischen Religionsphilosophen nicht selbstverständlich. Nur vereinzelt kommt es zu kritischen Einsprüchen. So bemängelt der Autor, dass Tillich die "natürliche Theologie" unsachgemäß auf die Gottesbeweise reduziert. Nach Schüßlers Urteil folgt Tillich in der Ablehnung des Beweischarakters solch eines theologischen Denkweges unkritisch der Kantischen Destruktion der Gottesbeweise, bleibt in dieser Einschätzung überdies seinem protestantischen Erbe verpflichtet (164 ff.).

Damit ist Tillich das eigentliche Anliegen der natürlichen Theologie aber verborgen geblieben (170), die in Verbindung mit dem Analogie-Gedanken ganz andere argumentative Möglichkeiten eröffnet als Tillich sie von seinen protestantischen Voraussetzungen her wahrzunehmen vermochte. Zu diesen Voraussetzungen zitiert der Vf. Tillich wie folgt (171): "Es ist eines der wichtigsten Dinge, die unsere Generation von Theologen wie Brunner und Barth gelernt hat, daß jeder Versuch, Gott im Denken (z. B. durch logische Schlußverfahren) zu erreichen, genauso dem protestantischen Prinzip widerspricht wie der Versuch, sich Gott auf moralischem Wege durch Erfüllung des Gesetzes zu nähern oder auf rituellem Wege durch Befolgung sakramentaler Vorschriften. Gegen dies alles steht das protestantische Prinzip". In die gleiche Richtung zielt der Einwand gegen Tillichs Verständnis von Metaphysik (175-186). Dem Vf. zufolge reduziert Tillich die Metaphysik auf Ontologie, "auf die Seinslehre und fällt über die Metaphysik als Gotteslehre mit Kant das Todesurteil. Als Seinslehre aber wird sie zum Zulieferer der Theologie degradiert" (183). Diese theologische Funktionalisierung der Ontologie wird der metaphysischen Fragestellung nicht gerecht - so der Vf. (175). Er erläutert auch hier seine Kritik an Tillichs Verständnis der Gottesbeweise und an der näheren Fassung des Gedankens der Absolutheit Gottes und führt sie zu der Behauptung weiter, Tillich habe offensichtlich nicht hinreichend "scharf zwischen Metaphysik und Theologie" zu unterscheiden vermocht (vgl. 181). Nach Ausweis der Marburger Dogmatik von 1925 scheint Tillich die Voraussetzung der dogmatischen Theologie, nach der Aussagen über Gott aus der konkreten Offenbarungskorrelation geboren sind und sich nur als solche legitimieren lassen, "auch als konstitutiv für die Metaphysik anzusehen" (181).

Dieser Vorwurf einer fehlenden Unterscheidung zwischen Theologie und Metaphysik bzw. Philosophie, der lediglich am Leitfaden der Marburger Vorlesung erhoben wird, aber allgemein gemeint ist, da Tillich diese Position nach Meinung des Autors "zeitlebens beibehält" (175), muss, wie sich an Tillichs Schrifttum vielfach belegen lässt, als Verzeichnung seines Verständnisses von Theologie und Philosophie bzw. Metaphysik eingestuft werden. Hier formuliert der katholische Religionsphilosoph mit seinem spezifischen Interesse an der Metaphysik im Blick auf einige ausgewählte und erläuterungsbedürftige Aussagen Tillichs eine Kritik, die dem Gesamtduktus der Theologie Tillichs mit der methodischen Korrelation von Frage und Antwort, von Philosophie und Theologie widerspricht. Eine kritische Vergegenwärtigung der differenzierten begrifflichen und sachlichen Beziehungen zwischen Theologie, Ontologie, Metaphysik und Philosophie bei Tillich bedarf sehr viel tiefer angesetzter und gründlicher durchgeführter Analysen und lässt sich nicht mit einigen wenigen Darlegungen bewältigen. Im Übrigen aber gelingt es dem Vf., die zentralen Interessen, Themen, Einsichten und Urteile Tillichs in durchsichtigen Analysen dem Verstehen zu erschließen. Auch vom Umfang her sind die Aufsätze, die sich - mit wenigen Ausnahmen - im zeitlichen Rahmen eines Vortrages bewegen und jeweils ca. 10-15 Seiten umfassen, gut lesbar. Es versteht sich von selbst, dass sich bei einer Aufsatzsammlung über ein und denselben Denker manche Themen und Fragestellungen überschneiden. Aber die vielen und oft wörtlichen Wiederholungen ganzer Passagen wirken dann doch störend und ermüdend (vgl. etwa 33-39 mit 49-54, 54-57 mit 144-146, 60-61 mit 146-148, 97-101 mit 111- 114). Hier hätte dem Band eine erheblich kritischere Durchsicht und Kürzung gut getan. Insgesamt aber werden dem Leser die Grundlinien des theologisch-philosophischen Systems Tillichs kompetent und verständnisvoll vermittelt.