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Ausgabe:

Juni/2002

Spalte:

671–673

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Daecke, Sigurd Martin, u. Jürgen Schnakenberg [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gottesglaube - ein Selektionsvorteil? Religion in der Evolution - Natur- und Geisteswissenschaftler im Gespräch.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 2000. 208 S. m. Abb. 8. Kart. ¬ 29,95. ISBN 3-579-02662-3.

Rezensent:

Dorothea Baudy

Wer die Beiträge dieses aus einem Aachener Symposion entstandenen Buchs nacheinander liest, wird zusehends neugieriger: Wie mag wohl die Diskussion unter den Referenten ausgesehen haben? Die beiden Herausgeber, der evangelische Theologe Sigurd M. Daecke und der Physiker Jürgen Schnakenberg, haben Vertreter mehrerer Disziplinen, die sich mit Religion befassen, um sich versammelt. Ohne lebhafte Kontroversen kann es angesichts der verschiedenartigen Ansätze nicht abgegangen sein. Die Lektüre ist daher nicht nur bereichernd, sondern auch spannend.

In eindrucksvoller Klarheit präsentiert Sch. unter der Überschrift "Schöpfung und Evolution" das "Votum eines Physikers". Er erläutert, inwiefern die Physik mit ihrer bewährten "Arbeitshypothese", dass "sämtliche Erscheinungen, die sich im Universum seit seinem Beginn beobachten lassen, auf Naturgesetze" zurückzuführen sind, nach wie vor gut fährt (26). Wer sich verleiten lässt, in den Randbereichen des empirisch Erforschbaren, etwa bei der Frage nach dem Ursprung des Universums, den Schöpfergott als Subjekt einzusetzen, beschließt damit implizit, "keine physikalischen Fragen mehr zu stellen" (27).

Hennig Stieve legt in seinem Aufsatz "Über biologische Wurzeln religiösen Verhaltens" einige diskussionswürdige Thesen zu den "Wirkungen von Religion" vor, die "in der Evolution eine Rolle spielen" könnten (43). Dass seine Vorstellung von Religion dabei in manchen Punkten hinter dem zurückbleibt, was die Religionswissenschaft erarbeitet hat, sollte ihm nicht über Gebühr angelastet werden. Wer sich über die Grenzen seiner Disziplin hinausbegibt, gerät unweigerlich in schwieriges Gelände und braucht dort Handreichungen, keine Verbotstafeln, wie sie die Kulturwissenschaften zur Reviermarkierung gerne aufstellen.

Entsprechendes gilt für Volker Sommers Spekulation über den "Ursprung der Religion im Konfliktfeld der Geschlechter". Als solche gekennzeichnet, ist sie methodisch unbedenklich. Allerdings basiert sie auf so manchem inakzeptablen Versatzstück. Das sollte jedoch nicht zum Vorwand dienen, die Kommunikation mit einem lebhaften Verfechter der Evolutionstheorie abzubrechen, der nach dem Ursprung kollektiver "Fiktionen" und "Illusionen" fragt (66 f.79 f.).

K. Helmut Reich thematisiert die "Entstehung und Entwicklung einer Mensch-Gott-Beziehung" zunächst in einer phylogenetischen Ursprungstheorie, die ebenfalls nicht ohne religionswissenschaftlich unhaltbare Annahmen auskommt. Die anschließende Untersuchung der ontogenetischen Entwicklung persönlicher Religiosität enttäuscht, da die "Stufentheorie des Religiösen Urteils" (89 ff.), offenbar angelehnt an die Theorie der Entwicklung des moralischen Urteilsvermögens, kaum geeignet scheint, religiöse Verhaltens- und Vorstellungsweisen zu erklären.

Als einziger Vertreter einer empirisch arbeitenden Religionswissenschaft in dieser Runde stellt Walter Burkert zusammen mit der systematischen Frage "Wozu braucht der Mensch Religion?" die historische nach der "Mensch-Gott-Beziehung in den alten Religionen". So sehr er einerseits darauf pocht, dass wir erst mit dem Beginn schriftlicher Überlieferung über Material verfügen, in dem sich uns religiöse Vorstellungen erschließen (105 ff.), so offen ist er andererseits für soziobiologisch fundierte Überlegungen, wie Religionsentwicklung und Menschwerdung Hand in Hand gehen konnten (108 ff.).

Die anschließend von Reinhold Bernhardt vorgebrachte Kritik an Burkerts Ansatz wird ihm nicht gerecht. Dies liegt weniger an dessen Reduktion auf die "soziobiologische Religionsdeutung" (127 ff.) als an Bernhardts Versuch, naturwissenschaftliche Forschung zu "taufen" (126): Wer im "Buch der Natur" lesen will, erhält das "Buch der Heiligen Schrift" als Leitfaden. Daher verwirft B. das soziobiologische Paradigma zu Gunsten eines idealistischen bzw. theologischen Konzepts (136) und schafft so eine "nicht überbrückbare Kluft" (144) zwischen den verschiedenen Ansätzen.

Der Philosoph Dieter Wandschneider hingegen will in seiner Abhandlung "Über das Göttliche in der Natur" Theologie und Naturwissenschaft ein gemeinsames Thema im Bereich der jenseits der Empirie liegenden Grundsatzfragen aufzeigen. Sein Angebot, im Rahmen einer objektiv-idealistischen Naturontologie des Platonisch-Hegelschen Typs den Geist als Ziel der Evolution und Gott als Schöpfer der Naturgesetze einzusetzen, mag, wie er hofft, "theologisch von Interesse sein" (155) - der Empirie verpflichtete Forscher werden sich eher fragen, ob es denn immer noch nötig ist, die Philosophie der Theologie als Magd anzudienen. Attraktiv könnte für sie nur ein philosophischer Entwurf sein, der ohne Teleologie und "anthropisches Prinzip" auskommt.

Ulrich Lüke, ein katholischer Theologe, untersucht den "Beitrag der Naturwissenschaften zur natürlichen Theologie und Gotteserkenntnis". Aus der dogmatischen Konstitution Dei Filius von 1870 leitet er ein "naturwissenschaftliches Mitspracherecht" und zugleich eine "theologische Konsultationspflicht" in allen Fragen, die das "Buch der Natur" betreffen, ab (164 ff.). Sofern nun die Theologie durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse zu Reflexionsleistungen genötigt wird, entwickelt sich mit ihr selbst auch die Religion weiter. Schade nur, dass L. so inkonsequent ist, die Biologie auszugrenzen - und so die Religion in ihrer Evolution zu bremsen.

Der evangelische Theologe Sigurd Martin Daecke hingegen bezieht die Evolutionstheorie mit guten Argumenten in die "natürliche Gotteserkenntnis" ein und legt so mit seiner Abhandlung über "Religion - Schöpfung Gottes in der Evolution" einen Entwurf vor, der Respekt abnötigt. Es gelingt ihm, naturwissenschaftliche Aussagen in ein religiöses Weltbild zu integrieren, ohne dabei die Grenze zwischen "strenger" Wissenschaft und spekulativen Entwürfen oder Glaubensaussagen zu verwischen.

Die Theologie als solche muss sich der Evolutionstheorie stellen, während es für den einzelnen Naturwissenschaftler eine persönliche Entscheidung ist, ob er die Evolution "auch als Schöpfung Gottes" betrachten will (198) - oder ob er seine wissenschaftliche Neugier auf das schwierige Feld der Religionsforschung ausdehnt. Wenn die Theologie in derart offener Weise zum Gespräch einlädt, wie dies hier vorgeführt wird, entsteht auf jeden Fall eine fruchtbare Diskussion, die unbedingt weitergeführt werden sollte.