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Ausgabe:

Juni/2002

Spalte:

659 f

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Weeber, Martin

Titel/Untertitel:

Schleiermachers Eschatologie. Eine Untersuchung zum theologischen Spätwerk.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/ Gütersloher Verlagshaus 2000. 205 S. gr.8 = Beiträge zur evangelischen Theologie, 118. Lw. ¬ 49,95. ISBN 3-579-02652-6.

Rezensent:

Reinhard Leuze

Die Eschatologie gehört sicher zu den vernachlässigten Gebieten der Schleiermacher-Forschung. Insofern ist es zu begrüßen, dass sich der Vf. in seiner Tübinger Dissertation diesem Thema zuwendet. Er will in seiner Untersuchung die Frage klären, ob Schleiermachers Eschatologie häretisch oder orthodox sei, oder ob "auf Grund von Undeutlichkeiten und Inkonsistenzen eine begründete Entscheidung zwischen jenen Interpretationsalternativen gar nicht möglich" sei (10).

Man mag bezweifeln, ob diese Alternative eine begründete Aussicht bietet, dem Denken eines bedeutenden Autors gerecht zu werden. Auch der Vf. gesteht "ohne weiteres" zu, diese Fragestellung "sei zu plakativ" (10). Trotzdem behält er sie bei, weil er, ohne zureichende Begründung, von ihrem heuristischen Wert (10) überzeugt ist. Immerhin soll sie "nicht die Darstellung des Materials dominieren" (10), sondern erst am Ende der Arbeit wieder aufgenommen werden.

Schauen wir auf dieses Ende, so stellen wir eine merkwürdige terminologische Verschiebung fest: Die Alternative lautet jetzt nicht mehr orthodox-häretisch, sondern orthodox-heterodox (192). Damit wird der Eindruck suggeriert, häretisch und heterodox meinten dasselbe, wovon überhaupt nicht die Rede sein kann.

Sehen wir von dieser konfusen Begrifflichkeit ab und wenden uns der These zu, die der Vf. als Resultat seiner Forschungsarbeit vorstellen will: Er meint, die Eschatologie der Glaubenslehre sei orthodox, weil sie "eine kritische Überschau über die überlieferte kirchlich-dogmatische Eschatologie" biete, "nicht aber Schleiermachers eigene Konzeption" (188). Diese fände sich in anderen Bereichen, vor allem in den Predigten, denen sozusagen die Aufgabe zukomme, den heterodoxen Part zu übernehmen. Der Vf. bemüht sich, diese These zu erhärten, indem er auf der einen Seite die Aussagen der Glaubenslehre - unter Einbeziehung eines minutiösen Vergleiches von erster und zweiter Auflage - analysiert, auf der anderen Seite Predigten Schleiermachers heranzieht, die sich eschatologischen Themen zuwenden, genauer gesagt die Totensonntagspredigten von 1823, 1824 und 1826.

Gleichwohl halte ich das von ihm formulierte Resultat für überspitzt: Die eschatologischen Aussagen der Glaubenslehre werden zu sehr ihrer kreativen Impulse beraubt, während sich im Gegensatz dazu die Predigten eine Über-Interpretation gefallen lassen müssen. Man braucht sich nur die vom Vf. selbst hervorgehobene Deutung des Todes als eines Naturphänomens (84.96) oder die Ablehnung der Lehre von der ewigen Verdammnis (vgl. 152) zu vergegenwärtigen, um ermessen zu können, wie weit Schleiermacher über eine kritische Sichtung das kirchlichen Bestandes hinausgeht. Umgekehrt kann die Betonung präsentischer Eschatologie in den Predigten noch nicht die Behauptung tragen, hier werde "eine Alternativkonzeption zur klassisch-kirchlichen Dogmatik" vorgestellt (193).

So hinterlässt die Arbeit, deren sprachliche Form leider durch hässliche Partizipial-Konstruktionen beschädigt wird (vgl. 44. 51.113), einen zwiespältigen Eindruck. Trotz des ausgebreiteten Detail-Wissens ist ihr systematischer Ertrag gering, wahrscheinlich auch deshalb, weil das Grundproblem Schleiermachers, dass die eschatologischen Aussagen keine Beschreibungen unseres wirklichen Selbstbewusstseins sind, zwar angesprochen (103), aber nicht systematisch entfaltet wird.