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Ausgabe: | Oktober/2023 |
Spalte: | 956-960 |
Kategorie: | Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie |
Autor/Hrsg.: | Bendemann, Reinhard von |
Titel/Untertitel: | Christus der Arzt. Frühchristliche Soteriologie und Anthropologie im Licht antik-medizinischer Konzepte. |
Verlag: | Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag 2022. 440 S. = Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament, 234. Kart. EUR 109,00. ISBN 9783170410541. |
Rezensent: | Marco Frenschkowski |
Die Zeiten einer (sozusagen kerygmatheologischen) Vernachlässigung der Wunderüberlieferung Jesu im Schatten der Wortüberlieferung dürften endgültig vorbei sein. Aber der Ertrag, der sich bei einer Kontextualisierung des Heilungshandelns Jesu im Rahmen antiker Medizinkulturen (Plural!) ergibt, zeichnet sich gerade erst ab. Ein wichtiger Schritt war hier die große thematisch angrenzende Quellensammlung A. Weissenrieder, K. Dolle (Hg.), Körper und Verkörperung. Biblische Anthropologie im Kontext antiker Medizin und Philosophie. Ein Quellenbuch für die Septuaginta und das Neue Testament, Berlin/Boston 2019 (FoSub 8). Dazu tritt nun der hier zu referierende Band Reinhard von Bendemanns mit einer weitreichenden Analyse vieler Facetten frühchristlicher Heilungsnarrative, gelesen vor dem Horizont der antiken medizinischen und medizin-relevanten Literatur, die in bisher kaum dagewesener Gründlichkeit herangezogen wird.
Eine Einleitung (13–33) präzisiert den methodischen Zugang und stellt die Bedeutung des Theologumenons »Christus der Arzt« in der Alten Kirche sowie die Forschungsgeschichte vor (deren wichtigste frühe Etappe nach wie vor die Arbeiten Harnacks zur Sache sind). Die Seiten 37–66 behandeln Krankheitskonzepte im Markusevangelium – mit größter Zurückhaltung gegenüber einer medizinischen Identifizierbarkeit der Krankheitsbilder und steter Aufmerksamkeit gegenüber der kulturellen Variabilität der Krankheitskonzepte. Auf den Seiten 67–90 wird dieser Aspekt weiter vertieft. Ein binäres Paradigma »Krankheit« vs. »Gesundheit« wird heute niemand mehr vertreten. Dennoch ist Krankheit nicht einfach kulturelles Konstrukt (vB. geht hier etwas weiter, als ich es tun würde), aber eben doch auch ein Ausdruck von Paradigmen, die wir erst kultur- und medizingeschichtlich erschließen müssen. Er führt genau diese Kontextualisierung programmatisch und exemplarisch vor Augen. Der vielbeschworene Rationalismus der spätantiken Medizin sei dabei sehr wohl zu beobachten, sei aber nicht kohärent im modernen Sinn.
Der Teil 159–188 behandelt Fieberheilungen: »Die frühchristlichen Fiebertherapien gehören insgesamt nicht in den Zusammenhang einer dämonologischen Pyretologie, deren Bedeutung oftmals pauschalisiert und für das 1. Jahrhundert überschätzt worden ist« (188). Das trifft sich mit der Tendenz, die Krankheitskonzepte genau zu kontextualisieren und nicht hinter jedem Busch Dämonen zu wittern. 189–216 wird der »Rückfall« (Q 11,24–26) analysiert, mit einer Art Exkurs zur Tollwut. (Phänomene eines Rückfalls nach charismatischen Heilungen sind in heutigen Heilungsbewegungen oft mit Peinlichkeiten besetzt, aber überaus häufig: sollte man das zu unserem Text vielleicht noch stärker mitbedenken?) Die Seiten 217–235 widmet sich dem Tauben und Stummen Mk 7,31–37. Mk stimmt seine Therapien und Exorzismen sorgfältig »auf die Kommunikation mit seiner Leserschaft ab« (231). Sehr plausibel macht vB. sichtbar, welche Bedeutung die heilende Transformation von Menschen für das »Hören«, »Verkündigen« und »Glauben« gerade bei Mk hat (234 u. o.).
Der Abschnitt 237–269 untersucht ärztliche und medizinische Metaphern für das Handeln der Gottheit bei Plutarch und Gottes bzw. Christi im frühen Christentum, im Kontakt mit kognitionswissenschaftlichen Metapherntheorien à la George Lakoff und Mark Johnson (s. aber behutsam hinterfragend 237–241). Dabei wird v. a. Plutarchs De sera numinis vindicta beigezogen, wobei auch wichtige Beobachtungen zu den Grenzen metaphorischer Sprache sichtbar werden (etwa zum Jenseitsimaginarium: 254), oder zur Gesund-Krank-Metaphorik in den Pastoralbriefen (259 f.). Gerade mit seinen heilkundlichen Metaphern betritt das frühe Christentum »die philosophische Arena« (261): eine überraschende Einsicht. Wie so viele Metaphern wird die Arzt-Metapher zunehmend von Gott auf Jesus übertragen (deutlich Ign. Eph. 7, 2; dazu 262). Geradezu auffällig ist dabei das Fehlen medizinischer Metaphern bei Paulus, die in der Popularphilosophie sehr häufig sind (297 A. 48). 257. 261 wird das Verhältnis Logos-Mythos bei Platon, Plutarch und im Neuen Testament (vielleicht etwas zügig) kontrastiert, insbesondere nimmt der Begriff des Mythos (der bei Platon eine »wahrscheinliche Geschichte« mit spielerischen Elementen meint) ganz unterschiedliche Schattierungen an.
Die Seiten 273–321 dokumentieren, wie medizinische und neutestamentlich-theologische Paradigmen mit Schmerzerfahrungen umgehen, auch hier wieder mit hoher Sensibilität gegenüber den Fragen der Versprachlichung und Konzeptualisierung (dazu mit Ausführungen zur »Gynäkologie« des Soranus von Ephesus, dessen Buch über die Seele wichtig für Tertullian wurde, und zur antiken Entdeckung des Nervensystems, die sich nicht allgemein durchsetzte). 292 A. 34 widerlegt die traditionelle Übersetzung von Gen 32,26.33 (dort auch einige Ergänzungen zu Weissenrieder/Dolle; auch 337 u. ö.). Das Thema findet auch sonst viel Interesse; s. zuletzt: Jacqueline Clarke, Daniel King, Han Baltussen (Hg.), Pain Narratives in Greco-Roman Writings. Studies in the Representation of Physical and Mental Suffering, Leiden 2023 (Studies in Ancient Medicine 58). Etwas kurios ist, wie wenig Beachtung der Schmerz an sich im NT findet; das spezifische Vokabular zur Sache kommt fast nicht vor (314 f.). Deutlich wird, dass von schmerzhaftem Leiden nur unter dem Aspekt seiner Überwindung durch Gott bzw. den Heiler Jesus die Rede ist (320), ganz anders als in der medizinischen Literatur. Das ist eine durchaus ambivalente Beobachtung. Der Abschnitt 323–352 untersucht »Körperkonzeptionen im Corpus Paulinum« (wichtige Übersicht über Medizinisches bei den jüdischen Autoren: 331 f.). Dabei sticht wieder das völlige Fehlen medikaler Metaphern bei Paulus hervor, das ihn von den hellenistischen Popularphilosophen (und auch von Denkern wie Philon und Plutarch) deutlich unterscheidet (333). Einige Indizien, wie medikale Kultur in die Leben paulinischer Gemeinden dennoch hineinragen könnte, werden dann im Folgenden diskutiert, so zum Heilungscharisma (1Kor 12,9.28.30), zur Leib-Christi-Metaphorik, zum Natur-Paradigma, oder zur abwägend-komparativen Sprache des Paulus in 1Kor 7, die durchaus anschlussfähig sei an medizinisch-diätetische Ideen (überraschend 343 zur »Jungfräulichkeit« als positivem Wert in antiker Medizin). 1Kor 11,29f. führe jedoch die Gerichtssprache des Paulus in Hinsicht auf Krankheits- und Todesfälle gerade aus dem medikalen Raum heraus (346). Einen Ausblick auf die Krankheit des Paulus (348–350) liest man angesichts der medizingeschichtlichen Kenntnisse vB.s mit besonderem Interesse. Hier wird nun allerdings die These vertreten, dass die Inkommensurabilität der Sprache des Paulus zu griech.-röm. Medizin jede rückblickende Diagnose unmöglich mache, und die Versuche in diese Richtung allesamt Eintragungen in den Text seien. Die relevanten Aussagen können zwar nicht als deutliche Krankheitsgeschichte gelesen werden, wohl aber in ihrer Funktion in der Kommunikationssituation des Briefes. Das ist ernüchternd, bedarf aber wohl doch weiterer Diskussion. Nicht behandelt wird das Thema »Lukas der Arzt«; darüber hatte vB. aber in seinem Art. Lukas, RAC 23 (2010), 646–676, hier 646–657 alles Wichtige gesagt.
Ein letzter Aufsatz (den man hier nicht unbedingt erwartet, der aber keineswegs überlesen werden darf) ist der alten Frage »Unsterblichkeit der Seele« vs. »Auferstehung des Fleisches« gewidmet (353–379), wie in der jüngeren Forschung fast immer im Widerspruch zu Oscar Cullmanns ehemaliger massiver Entgegensetzung beider Paradigmen. Ganz so »leibverliebt« wie ihnen das Kelsos vorwarf (bei Origen. c. Cels. 7, 36. 39) seien die Christen dann doch nicht. Einer idealisierenden Sicht einer »holistischen« jüdischen Anthropologie wird behutsam widersprochen (357), ebenso derjenigen einer sukzessiven »Hellenisierung« paulinischer Gedanken zur Sache (359). Die Idee, der Tod könne ein »Gewinn« sein (Phil 1,21–23), hat allerdings kaum jüdische Affinitäten, wie ganz richtig gesehen wird (362–364). (Die Geschichte griechischer und römischer Seelenvorstellungen, wie sie von E. Rohde bis J. Bremmer erforscht wurden, wird dabei vor allem nach Ciceros Tusculanae Disputationes Buch I zur Darstellung gebracht, der eine zeitgenössische Übersicht bietet). Paulus nähere sich 2Kor 5,1–10 zwar einer »dichotomischen resp. dualistischen Konzeption« an (370), denke aber nicht von der Kontinuität eines Seelenanteils her, sondern angesichts des »kontingenten Geschenkes« des göttlichen Pneumas. Gewisse Verlegenheiten der Auslegung bleiben, die vB. auch deutlich benennt.
Der programmatische Charakter des Buches bringt es mit sich, dass einiges zu kurz kommen muss. Etwas schade ist es, dass der antike Vergleich Christus-Asklepius nur in eine lange (und sehr lesenswerte) Anmerkung verbannt wird (263 A. 48), ähnlich die Sammlung von positiven Kirchenväter-Zeugnissen über die ärztliche Medizin (267 A. 55), u. a. Viele Anmerkungen hätten eigene kleine Kapitel abgegeben, oder sind überhaupt wertvolle Materialsammlungen (329 A. 31: Medizinisches bei Seneca).
Das Buch lädt auch zu der Frage ein, wie die Forschung weitergehen könnte. Ein historisch-soziale Typologie von Heilerpersönlichkeiten existiert in Anfängen, ist aber ausbaufähig. Es wird gerne betont, dass die Abgrenzungen nicht eindeutig sind: das heißt aber nicht, dass sie nicht existieren. Auf S. 326 f. wird konstatiert, dass man nicht zwischen »low medicine« und »high medicine« unterscheiden könne: das scheint mir vielleicht doch zu pauschal, denkt man an das elitäre Pathos eines Galen. Hilfreich wäre hier vielleicht die Erinnerung an weibliche Heilerinnen, weil diese oft am Rande des etablierten Spektrums wirken, und dessen Konturen deutlicher sichtbar machen.
Von Ärztinnen hören wir öfter, bei Celsus (gemeint hier natürlich der medizinische Autor), Soranus von Ephesus, Galen und Plinius maior. Sie waren vor allem im Bereich Frauenkrankheiten und Abortiva tätig. Die jüdische Evidenz ist spärlich, was aber vielleicht nicht viel besagt, und am Charakter unserer Quellen liegt (schon Hes 13,17–23 spricht doch wohl von magischen Heilerinnen). Die Nachkommen des Elchasai waren wundertätige Heilerinnen (bei denen sogar ihr Speichel als medizinisches Apotropaion galt und aufbewahrt wurde, Epiphan., pan. 19, 2, 3 f.). Der Bezug zum Hexenthema bedarf weiterer Erforschung (etwa zu den berühmten 80 Hexen von Askalon). Miriam, die Schwester des Mose, galt als Heilerin: bTaan. 9a z. B. bringt sie mit einer heilenden Wasserquelle in Verbindung, eine Überlieferung, die vor allem im sephardischen Judentum weiterwirkt. Man erzählte, dass diese Quelle heilende Kräuter sprießen lässt: sie wird zum Urbild aller Heilerinnen (Näheres bei L. Ginzberg, The Legends of the Jews 6, Philadelphia 1928, 22). Galen nennt eine Jüdin Salome, die für Erfolge bei der Behandlung entzündlicher Prozesse bekannt war, und teilt eines ihrer Rezepte mit (compositio medicamentorum 2, 7 Kühn 13, 507). (Über jüdische Heilerinnen vgl. weiter Tal Ilan, Silencing the Queen, Tübingen 2006, 25–27 u. ö.) Octavia, die Schwester des Augustus, schrieb ein Rezeptbuch, das Scribonius Largus benutzte. Auch christliche Ärztinnen sind bald bezeugt. Nützlich zu allen diesen Fragen ist besonders Christian Flügel, Spätantike Arztinschriften als Spiegel des Einflusses des Christentums auf die Medizin, Göttingen 2006, wo auch Frauen diskutiert werden (auch zum Verhältnis Klerus-Ärzte). Das mag hier exemplarisch erwähnt sein, weil es für eine historische Typologie von Heilerpersönlichkeiten von besonderem Interesse sein könnte, die m. E. ein wirkliches Desiderat ist.
Die Frage nach dem Leitparadigma der Heilertätigkeit Jesu könnte sich lösen, wenn man das messianische Davidsohnmotiv (Mk 10,47 f. usw.) als »neuer Salomo« deutet, worauf Q 11,31 (»mehr als Salomo«) deutet. Salomo aber ist der Exorzist par excellence, und genau darum ist es auch Jesus. Der messianische Bezug des Themas würde dann deutlicher.
Sicher richtig sieht vB., dass ein Erkenntnisfortschritt nur in einer konsequent komparativen Perspektive und durch eine Einbeziehung nicht-westlicher oder nicht-moderner Medizinkulturen zu erwarten ist, auch abseits der hippokratischen Medizin. Das wird allerdings nur angedeutet. (Eine erste Vorstellung vom Umfang dessen, was hier zu bedenken ist, vermittelt Helaine Selin (Hg.), Encyclopaedia of the History of Science, Technology, and Medicine in Non-Western Cultures, 5 Bände, 3. Aufl. Dordrecht 2016.). Interessant wäre über vB. hinaus vielleicht auch eine Konfrontation mit späteren Paradigmen, die Heiltätigkeiten Jesu medizinisch und medizinisch-magisch gedeutet haben. Das ist nicht gar so selten. – Ein Beispiel aus vielen: Abraham von Franckenberg, der Jakob-Böhme-Biograph, interpretierte Jesu Wunder als »magische Curen«. Der Gläubige könne sie durchaus nachahmen: so in seinem seinerzeit berühmten medizinisch-magischen Werk »Raphael oder Artzt-Engel« (posthum 1676). Auch die Reiki-Lehre des japanischen Heilers Usui Mikao (1865–1926) interpretiert Jesu Heilungen als erlernbare psychosomatische Technik, usw. Ob sich solche gegenüber dem Wunderdiskurs »anderen« Deutungen schon antik ankündigen, bleibt zu diskutieren. Immer einmal wieder wird bei vB. die Frage eingebracht, inwiefern ausführliche Heilungsschilderungen eine Art Handlungsanweisung für christliche Heilerinnen und Heiler gewesen sein könnten (z. B. 225 A. 29 zu der ausführlichen Erzählung Mk 7,31–37; auch dieser Text hat einen Bezug zu Jes 35,5 f.: 231). Das ist keine neue Frage, bedürfte aber wohl einer erneuten zusammenfassenden Untersuchung, und könnte von Beobachtungen an späteren charismatischen Heilungsbewegungen profitieren.
Jedenfalls öffnet vB. die Tür zu vielen weiteren Fragen. Aber auch schon die Summe der Beobachtungen des vorliegenden Bandes ist eine eindrückliche Leistung, die die Forschung zum frühen Christentum als einer Heilungsbewegung deutlich weiterbringt. Etwas irritierend ist nur, dass der Band als Monographie auftritt, aber faktisch eine Aufsatzsammlung darstellt. Das macht sich vor allem in zahlreichen Überschneidungen bemerkbar, die in einer Monographie vermeidbar gewesen wären. Der Bedeutung des Ansatzes und der Einzelinterpretationen tut das keinen Abbruch. Diskutiert werden sowohl die medizinischen und religiös-medizinischen Gesamtsysteme als auch zahlreichen Einzelfragen.
Sicher kann man bei einem so komplexen Thema über Details auch anderer Auffassung sein. Der materialreiche Abschnitt über Fiebererkrankungen lehnt eine rasche Identifikation lebensbedrohender Erkrankungen mit der Malaria ab. Allerdings übersieht der Autor dabei m.E., dass sich bei Annahme dieser Identifikation schlagartig klärt (was bei ihm unerklärt bleiben muss), warum weder im Alten Testament noch auf den epidaurischen Heilungsinschriften (die von vB. noch nach R. Herzog zitiert werden) Fiebererkrankungen eine Rolle spielen: diese liegen ja zeitlich vor dem spätantiken Siegeszug der Malaria, der recht gut bekannt ist und sich in den zahlreichen späteren Texten zur Sache spiegelt (daher wird diese Sicht auch vertreten in meinem kleinen Beitrag: Seuchengötter, Heilungsgötter. Konkurrierende Deutungen epidemischer Krankheiten in spätantiken Religionen und im antiken Christentum. In: EvTh 81 (2021), 351–362; dort Lit. zur Sache). Nicht völlig frei ist das Buch von der Idee, Magie wäre etwa »Volkstümliches«: es ist aber heute Konsens, dass sie in allen gesellschaftlichen Schichten gleichermaßen vertreten gewesen ist (und auch delegitimiert werden kann). Die »Taten des Petrus und der 12 Apostel« (NHC VI, 2) werden missverständlich als ActPt zitiert (hier die faszinierende Lithargoël-Christus-Legende, über die vB. 91–93 handelt, einer der bemerkenswertesten Texte über Christus als Arzt überhaupt). Ob die Jünger in Mk wirklich so regulär Platzhalter der Leserinnen und Leser des Evangeliums sind (233), ist mir fraglich: dafür kommen sie doch zu schlecht weg. 277 A. 9 (»Medizin und Pharmakologie bilden in der Antike grundsätzlich nicht getrennte Disziplinen«) halte ich angesichts der ganz eigenständigen botanisch-pharmakologischen Literatur für falsch. Die Ausführungen zum Honorar antiker Heiler (50.103.264) differenzieren m. E. nicht genug zwischen Idealbildern und sozialen Realitäten (auch Wahrsager betonen öfter, kein Honorar anzunehmen, erwarten aber üppige Spenden; das Thema spielt bekanntlich auch in der hippokratischen Medizin eine Rolle). Auch Jesus und seine Jünger leben von finanziellen Zuwendungen, nicht zuletzt von reichen Frauen (Lk 8,1–3). Darüber würden wir vielleicht mehr wissen, wenn man bereit wäre, etwas kritischer auf die Belege zu schauen, gerade wieder vergleichend mit anderen Heilungsbewegungen. An ein oder zwei Stellen schießt vB. vielleicht etwas über sein Ziel hinaus: Sollte man wirklich die Rede von »Christus dem Arzt« als das Integral altkirchlicher Christologie sehen dürfen (13)?
Auch die Beigaben des Buches sind wertvoll, so die exzellente Bibliographie, welche die antiken medizinischen Quellen separat aufführt, und die Register, die verhindern, dass man in der Fülle des Materials Spezielles nicht findet. Weiteres relevantes Material würden die altorientalischen Quellen bieten (manche faktisch erst aus hellenistischer Zeit!), dazu die syrischen und arabischen Ärzte in ihrer Kontinuität zur Antike. Nicht berücksichtigt ist auch der vorislamische Sefer Refuot des Asaf ha-Rofe (der älteste erhaltene jüdische Medizinschriftsteller, zu dem man leider auf uralte Ausgaben zurückgreifen muss).
Die Studien vB.s zeigen eindrücklich, wie fruchtbar eine Beschäftigung mit antiken und anderen Medizin- und Heilungskulturen ist, wenn wir die Heilungen und Exorzismen Jesu (und früher Christinnen und Christen) nicht länger im Schatten der Wortüberlieferung verstecken. Damit wird zugleich ein sehr beachtlicher Beitrag zur Jesusforschung und zur Kulturgeschichte der frühen Christus-Gemeinden geleistet.