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Ausgabe: | Juli/August/2023 |
Spalte: | 747-749 |
Kategorie: | Philosophie, Religionsphilosophie |
Autor/Hrsg.: | Schicha, Christian |
Titel/Untertitel: | Bildethik. Grundlagen, Anwendungen, Bewertungen. |
Verlag: | Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag 2021. 305 S. = utb. Lehrbuch. Kart. EUR 24,90. ISBN 9783825255190. |
Rezensent: | Wolfgang Vögele |
Christian Schicha, Professor für Medienethik in Erlangen, hat es sich zur Aufgabe gestellt, in einem Handbuch die Bedeutung von Bildern in Wahrnehmung und Kommunikation aufzuarbeiten. Bildethik versteht er dabei als die Beschäftigung mit »Formen, Anwendungen und Bewertungen der Bildkommunikation aus einer normativen Perspektive« (9). Entscheidend sei die Frage, »welche Bilder in welchem Kontext unter welchen Bedingungen welchem Personenkreis gezeigt werden dürfen« (9). Das Handbuch ist in einen Grundlagen- (15–52), einen Anwendungs- (53–216) und einen Bewertungsteil (217–252) aufgeteilt. Aus dieser quantitativen Verteilung erhellt sich schon der Schwerpunkt von S.s Arbeit. Und es erhebt sich gleich zu Beginn die Frage, ob S. einen prägnanten eigenen Ansatz der Bildethik entwickeln oder nur bestehende Positionen referieren, abgleichen und für Studierende aufbereiten will. Der Umgang mit Bildern ist ein umstrittenes, hoch volatiles Feld, in dem weder über die Referenz auf Werte, Entscheidungsfindung und ethische Urteile große Einigkeit herrscht.
Schon der Bildbegriff kommt vieldeutig daher und umfasst unter anderem Fotos, Gemälde, Grafiken, aber auch bewegte Bilder wie Filme (18 ff.) Im Zeitalter der Digitalisierung nimmt die Produktion von Bildern immer mehr zu und scheint Texte als Kommunikationsmittel zu verdrängen, auch weil sie den Eindruck einer »unmittelbaren Wirklichkeitswiedergabe« (22) erwecken. Damit beschäftigen sich die heterogenen Bildwissenschaften, aber auch die kritischer angelegten Visual Culture Studies (20). Innerhalb von Kommunikation können Bilder bestimmte Aufgaben wie Dokumentieren, Emotionalisieren, Dekorieren, Veranschaulichen, Motivieren übernehmen. Bestimmte Szenen können ikonischen Status erlangen. In den Medien leben Bilder auch von der hohen dokumentarischen Glaubwürdigkeit, die ihnen in der Rezeption zugeschrieben wird.
Der normative Zugang zu Bildern ist bestimmt von Bild- und Urheberrecht (41–45), der eigentlichen Bildethik (46–49) und der freiwilligen Selbstkontrolle der Medien (49–52). Alle fußen für S. auf Grundwerten wie Menschenwürde, Menschenrechten, Pluralismus und Demokratie (41). Ansonsten wird nicht problematisiert, inwiefern diese sehr allgemein gefassten Normen gerade für Bildkommunikation gelten sollen. Die Verletzung von Bildrechten hat der Gesetzgeber mit Sanktionen bewehrt, während Bildethik keine analoge Form moralischer Ächtung von Verstößen zur Verfügung steht, sondern auf Reflexion, Sensibilisierung und Einsichten (46) setzt. Bildethik im eigentlichen Sinne wird nun als »Reflexions- und Steuerungsinstanz« (47) für die Entscheidungen menschlicher Akteure, d. h. der Produzenten, Multiplikatoren und Rezipienten von Bildern verstanden. Als solche sei sie eine angewandte Ethik, in der Normen und Praxisformen miteinander vermittelt werden müssten. Es fällt jedoch auf, dass schon im nächsten normativen Abschnitt über den Deutschen Presserat nur dessen Statuten und dann ausführlich bestimmte Beispielfälle zitiert werden. Dabei fallen wichtige Begriffe wie Sorgfalt, Ehre, Angemessenheit etc. Sie würden die eigentliche ethische und normative Reflexion lohnen, aber diese findet leider nicht statt.
Im Anwendungsteil stellt S. zuerst prominente Fotografen vor. Bildethische Reflexion, so erhellt sich daraus, ist offensichtlich auch von ästhetischen Urteilen abhängig. Schon die Auswahl S.s erscheint als subjektiv. Was er dann zum Beispiel über Henri Cartier-Bresson schreibt, besitzt eher lexikalischen Charakter. Die Besonderheit des augenblicks- und zufallsorientierten fotografischen Ansatzes (58) des berühmten Fotografen bleibt im Unklaren.
Weitere Kapitel gelten dem Fotojournalismus, seinen boulevardesken Auswüchsen, dem Phänomen der Paparazzi und ihrem ambivalenten Verhältnis zu den Stars, der Kriegsberichterstattung, der Darstellung der Terroranschläge des 11.9.2001, politischen Bildern und Wahlkampfplakaten, der Propaganda und der Werbung, der Mode und dem Phänomen der Influencerbilder, der Pornographie und dem Phänomen der Selfies. Für alle diese Bildfelder liefert S. jeweils Beispiele, schildert Probleme und Konflikte. Wieder wird deutlich, dass alle diese Felder nicht nach einem im Grundlagenteil entwickelten »Normenkontrollverfahren« oder nach einer besonderen Methode bewertet werden. Stattdessen wird jedes Mal lexikalisch der Literaturstand referiert. Danach gibt S. eine vorsichtige Einschätzung ab, für welche Position er votiert.
Ein weiteres Kapitel gilt der Bildbearbeitung, von der Überarbeitung einer Fotografie über Satire und Fotomontage bis zur Bildfälschung. Im Kapitel über Satire findet sich auch ein Abschnitt über die Karikaturen Mohammeds und Papst Benedikts XVI. (196–199), aber die Eigenart religiösen Lebens des Islam wie der katholischen Kirche bleibt unterbestimmt.
Abschließend kommt S. zu dem skeptischen Fazit, es ließe sich feststellen, dass die »Bildethik keinen stets gültigen Kriterienkatalog zur grundlegenden Beurteilung von visuellen Angeboten liefern kann« (219). So ist richtig das ist, so sehr hätte man sich gewünscht, S. hätte dann ausführlicher über Verfahren und Methoden nachgedacht, um zu solchen Kriterien und Urteilen zu gelangen. Als Wertgrundlagen der Bildethik lässt S. schließlich Menschenwürde, das Prinzip der Nichtschädigung von Personen und den Persönlichkeitsschutz der Abgebildeten gelten (219). Auf dem Feld der künstlerischen Fotografie gelangt er auf dieser Grundlage zu folgendem, im Grunde banalen Ergebnis: »Insgesamt zeigen die Arbeiten der vorgestellten Fotografen das breite Spektrum ihres kreativen Schaffens, das unterhalten, verstören und aufklären kann.« (224) Die Grenze zwischen dem, was in der Abbildung akzeptabel oder nicht-akzeptabel ist, ist nicht so leicht zu beschreiben.
Am Ende runden Verweise auf einschlägige Institutionen, Webseiten und Portale, eine Reihe von kommentierten Literaturhinweisen sowie ein Literaturverzeichnis den Band ab.
Um die eingangs genannte Frage aufzunehmen: Es handelt sich eigentlich nicht um eine Medienethik, sondern allenfalls um eine Einführung in die Medienethik, was ein gewichtiger Unterschied ist. S. legt keinen eigenen prägnanten bildethischen Ansatz vor, sondern eine Einführung in die Probleme der Bildethik. Es handelt sich also eher um ein Handbuch des Umgangs mit Bildern. Als solche, zur Orientierung in diesem Themenfeld und als Basis zur Literaturrecherche ist der Band, besonders auch für Studierende, zu empfehlen. Nimmt man jedoch den titelgebenden Begriff der Bildethik ernst, so werfen die Ausführungen S.s eine Reihe von Fragen auf.
1. Könnte es sein, dass der Begriff des Bildes viel zu allgemein und zu vielgestaltig ist, um als Grundlage einer ethischen Reflexion zu taugen? Es gibt schließlich auch keine »Schriftethik«, die analog zur Bildethik betrieben würde. Was den von S. vielfach evozierten Journalismus angeht, so lassen sich – Beispiele fake news, »alternative« Wahrheiten – die Probleme von Schriftlichkeit und Bildlichkeit gar nicht richtig trennen. Aus dieser Vermischung würden sich zwei Wege ergeben: Entweder man würde noch prägnanter herausarbeiten, was die Besonderheiten von Bildern sind, oder man würde die Bildethik aufgehen lassen in einer allgemeinen Ethik der medialen Darstellung, in der keine Rolle mehr spielt, ob jemand Personen, Probleme, Fakten beschreibt oder abbildet oder filmt. 2. Wie erwähnt, erscheinen die zugrundegelegten Werte bildethischer Beurteilung sehr allgemein, sie unterscheiden sich nicht von den Werten, die als Grundwerte demokratischer Gesellschaften begriffen werden. Insofern wäre als Grundlagenreflexion zu fragen, wo die spezielle Präg-nanz einer Bildethik im Unterschied zu einer allgemeinen sozialen Theorie oder einer politischen Ethik läge. Ich meine, hier läge ein spannendes Feld, das ethische Reflexion gerade aus den Medien- und Kommunikationswissenschaften verdienen würde.