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Ausgabe:

Juli/August/2023

Spalte:

692-694

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Angelini, Anna

Titel/Untertitel:

L’imaginaire du démoniaque dans la Septante. Une analyse comparée de la notion de »démon« dans la Septante et dans la Bible Hébraïque.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2021. XIV, 392 S. = Supplements to the Journal for the Study of Judaism, 197. Geb. EUR 134,00. ISBN 9789004468467.

Rezensent:

Martin Rösel

Die anzuzeigende Studie zeichnet die biblischen Vorstellungen von dämonischen Kräften nach. Dazu wählt Anna Angelini einen interessanten methodischen Ansatz, der aus dem Untertitel hervorgeht: Im Vergleich von Septuaginta und hebräischer Bibel sollen die unterschiedlichen Facetten biblischer Dämonologie herausgearbeitet werden. In der Introduction (1–19) wird das Programm erläutert, wonach der Septuaginta eine Schlüsselposition eingeräumt wird. Sie gilt der Vfn. als zentrale Urkunde des hellenistischen Judentums, in der sich sowohl die aus der hebräischen Bibel wie auch die aus dem orientalischen und griechischen Umfeld stammenden Aspekte zu einem Gesamtbild fügen. Die Arbeit sei daher interkulturell und komparatistisch ausgerichtet. Für die Forschung an der LXX ist dabei wichtig, dass nicht, wie oft bei vor allem textkritisch orientierter Arbeitsweise, isoliert ein Vergleich einzelner Lesarten durchgeführt wird, sondern der jeweilige kulturelle Kontext mit einbezogen wird.

Auch bei der Frage, was eigentlich als »Dämon/dämonisch« anzusehen ist, wählt die Vfn. einen weiten Ansatz, bei dem zunächst die in den Texten überlieferten Phänomene gesammelt werden, statt vorgefertigte Kategorien (etwa Ablösung von dämonischen Mächten durch den Monotheismus oder Gegenüberstellung von Engelvorstellungen) anzulegen. Da das griechische Wortfeld »Dämon/dämonisch« durch die LXX an die Phänomene als Deutekategorie herangetragen wurde und sie zugleich das umfangreichste griechisch-sprachige Corpus postklassischer Literatur ist, wird sie zum Ausgangspunkt der jeweiligen Textbefunde. Damit soll auch eine »Anthropologie der Übersetzung« formuliert werden (8 f.), durch die deutlicher als bisher wird, wie die Übersetzung sowohl in der Perspektive der Übersetzer als auch der der Rezipienten verstanden wurde.

Untersuchungsgegenstand sind nach dem Gesagten Texte, die sich über den Kanon der LXX erschließen lassen, also auch die hebräisch-aramäischen Prätexte. In den ersten beiden Hauptteilen werden zunächst »Dämonen im alten Israel im Licht ihres nahöstlichen Kontextes« (20–50) dargestellt. In Ermangelung eines präziseren Begriffs wird dabei »Dämon« zur Beschreibung von Wirkmächten beibehalten (25), die z. B. in Ugarit als Verursacher von Krankheiten gesehen wurden und durch Beschwörungen u. a. gebannt werden konnten. Es wird ein sehr kenntnisreicher Überblick über Phänomene aus der Levante, Mesopotamien und Ägypten gegeben, durch den die Komplexität der Befunde gut deutlich wird, etwa wenn beschrieben wird, wie in Ägypten Dämonen später als Götter verehrt werden können und Götter (so Seth) zum Dämon werden (41–43). Auch die Bewertungen dämonischer Mächte können ambivalent sein, sie sind nicht notwendig zerstörerisch (45 f.). Im Anschluss an Wittgensteins Prinzip der Familienähnlichkeit werden zusammenfassend Merkmale umschrieben, die in unterschiedlicher Ausprägung zum Dämonischen gehören; etwa fehlende Verhandlungsmöglichkeit mit Menschen, ein begrenzter Handlungsbereich, ein ambivalentes Verhältnis zu Göttern, eine Randexistenz zwischen menschlichem und göttlichem Bereich, oft auf der Seite des Chaos, nicht der Ordnung (48 f.).

Im zweiten Kapitel wird der griechische und hellenistische Kontext des Wortfeldes δαίμονες/δαιμόνια mit den zugehörigen kulturellen und religiösen Vorstellungen dargestellt (51–78). Dabei ist wichtig, dass es zwar eine dem zuvor dargestellten Umfeld vergleichbare Vorstellung von dämonischen Mächten gibt, dass aber das gr. Lexem daimon auch positiv konnotiert sein und Göttliches bezeichnen kann. Die Vfn. zeichnet dann nach, wie sich der Begriff des daimon mit der (negativen) Vorstellung des Dämon überlagert (71); ähnlich ambivalent ist der Gebrauch von daimonion. Als Arbeitshypothese wird formuliert, dass erst in hellenistischer Zeit der Begriff semantisch eindeutig wird und auf negativ »Dämonisches« weist (78).

Kapitel 3 geht dann zur LXX über und beschreibt »Szenarien des Dämonischen« (79–108), einsetzend mit der Darstellung, dass daimonion vor allem negativ konnotiert zur Wiedergabe verschiedener hebräischer Lexeme verwendet wurde (85 f.). Detailliert werden danach drei besondere Zusammenhänge dargestellt: Die Nicht-Erwähnung von Azazel in Lev 16 LXX; Lilith, die in Jes 34,14 durch »Esel-Zentaur« übersetzt wird, und die Übersetzung von Gen 4,7, die in der LXX nicht auf einen Dämon bezogen werden kann (im MT aber auch nicht). Es zeigt sich eine überlegte Übersetzungsweise, die in den genannten Fällen das dämonische Element nicht verstärkt.

In Kapitel 4 geht es um »Dämonen als Zerstörungsmächte, zwischen Tieren und Krankheiten« (109–144). Die Vfn. beginnt auf herkömmliche Weise bei den hebräischen Texten von Dtn 32,22–24; Hab 3,3–5; Ps 91,3–6; Ex 12. Hier geht es jeweils um Mächte mit sprechenden Namen wie »Plage, Pest, Flamme, Verderber«, die zum Teil explizit an JHWH zurückgebunden sind (Ex 12), aber auch aus dem Umfeld Israels bekannt sind (z. B. Reschef). Nach einer detaillierten Darstellung des Forschungsstandes zum hebräischen Text werden die zum Teil signifikanten Differenzen in der LXX vorgeführt. Sie werden so interpretiert, dass die Vorstellungen von dämonischen Mächten in ein stärker dualistisches Weltbild eingezeichnet werden.

Kapitel 5 »Die Bewohner der Ruinen« (145–183) beschäftigt sich mit dem vor allem in prophetischen Völkersprüchen, aber auch in der Umwelt begegnenden Topos von zerstörten und verlassenen Orten, die von bösen Mächten bewohnt werden (vgl. ibs. Jes 13+34). In der LXX wird für die zum Teil schwer verständlichen hebräischen Lexeme eine große Bandbreite von Worten zur Übersetzung genutzt, von Tieren bis hin zu mythischen Wesen wie Sirenen oder Esel-Zentauren (170; 176). Dabei ist interessant, dass wie auch sonst in hellenistischer Weltbeschreibung die Grenzen zwischen Natürlichem und Wunderhaftem fließend werden, das dämonische Element des hebräischen Textes aber beibehalten wird (182 f.).

Kapitel 6, »Die Götter der anderen« (184–224) zeichnet dann in detaillierten Exegesen von Dtn 32* und Jes 65* nach, wie in der LXX die Kategorie des Dämonischen auch verwendet wird, um fremde Gottheiten als »Götzen« abzuwerten. In Kapitel 7 »Geister und Besessenheit« (225–266) geht es um die Übersetzung von rûah. , wenn es für Formen von Besessenheit verwendet wird (1Sam 16–19, auch 1Kön 22). Die Auslegung der LXX-Versionen führt zu einer Bestimmung der Semantik von pneuma, dessen Plural nahe an schädliche Dämonen gerückt wird (258). Das letzte Hauptkapitel 8, »Engel und Dämonen« (267–303), stellt zum einen die erweiterte Angelologie der LXX dar und setzt sie ins Verhältnis zur Dämonologie (mit einer knappen Auslegung des Tobitbuches). Dabei kommt die Vfn. zu dem Ergebnis, dass es in der LXX noch keine dualistische Gegenüberstellung gibt. In den Conclusions (304–316) werden die Ergebnisse nochmals zusammengefasst dargestellt und die Bedeutung der LXX herausgestrichen.

Die Arbeit belegt einmal mehr, wie differenziert die griechischen Übersetzer ihre Ausgangstexte in eine kulturell und religiös veränderte Situation hinein übertragen haben. Zugleich stellt sie eindrucksvoll unter Beweis, wie hilfreich das Integrieren der LXX bei der Auslegung biblischer und außerbiblischer Texte sein kann. Register der Stellen und modernen Autoren erschließen die Studie, die per open access zugänglich ist, was den hohen Preis der Print-Ausgabe relativiert.